Unterstützen Sie unsere Arbeit Jetzt spenden!
Hallo Gast
Online-Selbsthilfegruppen Glücksspielsucht
» Mittwochsgruppe    |    » Samstagsgruppe
     

Na dann los

  • 3 Antworten
  • 1024 Aufrufe
Na dann los
« am: 29 Juli 2024, 03:48:19 »
Hey,

nach etlichen Jahren, in denen ich immer mal wieder auf der Seite hier unterwegs war ist jetzt der Zeitpunkt gekommen mich selbst vorzustellen und meine Geschichte mit euch zu teilen, beziehungsweise sie mir auch einmal von der Seele zu schreiben. Ich hoffe es wird nicht zu lange, denn mir schweben tausende Gedanken im Kopf rum.

Ich heisse Mavis (nicht mein echter Name, habe einen recht seltenen und fühle mich damit nicht wohl ihn hier preiszugeben) bin mittlerweile 30 Jahre alt und komme aus Hessen.
Meine Geschichte fing mit 16-17 an, damals ganz klassisch Geld im Dönerladen in den Automaten mit Freunden und so hat sich das gesteigert. Ich habe damals sehr schnell gemerkt, dass ich ein problematisches Verhalten an den Tag lege. Ich habe bereits mit 17 meinen Personalausweis gefälscht um dann an den Frankfurter Hauptbahnhof zu fahren und dort meine Nächte in den Spielotheken zu verbringen. Rückblickend vollkommen surreal für mich, da ich auch immer ein Spätentwickler war und 2-3 Jahre Jünger aussah. Aber ich habe viele Dinge in meiner Suchtlaufbahn getan, die ich im Nachhinein erschreckend finde. Ich habe über die Zeit Familienmitglieder beklaut, Geschichten erfunden um an Geld zu kommen und allerelei Dummheiten angestellt. Dinge, die ich ohne das Spielen niemals getan hätte, aber zu was einem die Sucht verleitet ist einfach unbegreiflich.

Die Zeit ist dann eigentlich wie an mir vorbeigezogen. Dass ich jetzt 30 bin, kann ich ehrlich gesagt garnicht fassen, denn was ich die letzten 10 Jahre spannendes erlebt habe kann ich an einer Hand abzählen. Die Sucht und der starke Fokus darauf haben mir eigentlich alles in meinem Leben verbaut. Ich habe weder eine abgeschlossene Ausbildung noch ein abgeschlossenes Studium. Ich habe selbstständig als Musikproduzent gearbeitet, aber auch das hat einfach unfassbar unter der Sucht gelitten, weil ich nie 100% fokussiert auf längere Sicht arbeiten konnte, obwohl es meine absolute Leidenschaft ist und ich auch ein gewisses Talent dafür habe. Die letzten Jahre lief es dadurch dann immer schlechter und nun stehe ich mit 30 mit nichts da, weiß nicht genau wie es weitergehen soll. Ich habe mich jetzt nochmal für ein Studium eingeschrieben und arbeite Teilzeit in einem ziemlichen Drecks Job. Das Studium mit 30 wird sicher auch kein Zucker schlecken, besonders wenn der Rest des Jahrgangs eher 18-19 ist. Ich profitiere noch davon, dass mich die Leute eher auf Anfang bis Mitte 20 schätzen, aber wohl fühle ich mich nicht wirklich. Auf der anderen Seite würde ich die Chance schon nochmal nutzen wollen und denke mir, dass muss ich jetzt mal durchziehen.

Jedenfalls muss das Thema Spielen unbedingt ein Ende nehmen. Das ist das absolut wichtigste für mich. damit steht und fällt meine komplette Zunkunft. Ich habe schon etliche Male versucht aufzuhören, leider nie mit längerem Erfolg. Aber besonders die letzten Jahre merke ich, dass ich mental darunter immer mehr leide. Mit 18 bis anfang 20 war alles noch einigermaßen verkraftbar, aber irgendwann kommt die Zeit wo das Umfeld sich weiterentwickelt und man selbst stehen bleibt. Und das macht einen fertig.
Letztes Jahr hatte ich sowas wie einen absoluten Tiefpunkt. Ich war 2 Wochen im Krankenhaus, dachte ich muss sterben und war auch der festen Überzeugung dass es irgendwie Karma ist für den ganzen Mist den ich verzapft habe. Im Endeffekt hatte ich nichts, mir wurde diagnostiziert dass ich eine Anpassungsstörung und Depression hatte. Da ist mir erstmal bewusst geworden wie krass ich auch Mental geschädigt bin, denn ich bin mir ziemlich sicher dass das alles durch das jahrelange zocken kommt. Dieses ständige 24/7 unter Strom sein, wie kommt man an Geld, wie lügt man jetzt wieder etc. Und natürlich die ganzen Selbstvorwürfe, denn ich will ja nicht so sein und handeln, wie ich es tue.
Ich habe einen so starken Drang danach nicht mehr zu spielen, aber irgendwie schaffe ich es nicht. Es ist wirklich wahnsinn und echt zum verrückt werden. Ich würde, wenn es mit der Musik wieder besser läuft auch irgendwohin auswandern und von dort aus arbieten, nur um dem Zeug zu entfliehen.

Übrigens, ich bin gesperrt (Oasis) und auch Online habe ich Gamban auf allen meinen Geräten. Online ist auch nicht so ein großes Thema für mich, das hat mich nie so gereizt wie offline spielen. Offline allerdings immer wieder kritisch, weil ich hier und da immer Wege habe/finde zu spielen auch trotz Sperre.

Naja, ich hoffe das war jetzt nicht alles zu wirr und zusammengewürfelt. Könnte hier stundenlang weiterschreiben, aber denke ich belasse es mal dabei.
Ich habe mir für den Anfang vorgenommen, Samstags ins Zoom Meeting zu kommen und dann gucke ich mal weiter. Würde hier gerne, wenn auch nicht täglich in regelmäßigen Abständen schreiben und meine Gedanken verfassen.

Danke fürs lesen :)



*

Offline Olli

  • *****
  • 7.340
Re: Na dann los
« Antwort #1 am: 29 Juli 2024, 09:52:50 »
Guten Morgen Mavis!

Du brauchst Deinen realen Namen gar nicht nennen. Sei ruhig hier Mavis und fühle Dich frei in dem, was und wie viel Du schreibst.
Wie ich lese, bist Du das erste Mal in der Selbsthilfe aktiv. Viele Jahre hast Du Dich immer mal wieder ins Forum begeben ... und nun schreibst Du selbst den ersten Beitrag. Dazu sei gesagt: Alles hat seine Zeit! Sollten sich Gedanken wie: "Hätte ich doch früher mal ... !" einschleichen, dann verscheuche sie ruhig. Das ist nicht zielführend. Wir leben im Hier und im Jetzt!

Ja, ich kenne das auch, dass ich auf mich geschaut habe und viele Jahre keine Entwicklung gesehen habe. Alle anderen bauten sich etwas auf und ich hatte "nichts". Gearbeitet habe ich Tag und Nacht, doch alles landete im Automaten. Trotzdem hat mich das nicht abgehalten insgesamt 20 Jahre zu verschwenden, größtenteils mit der Überzeugung, das Richtige zu tun.
Doch selbst als sich das mit der Zeit änderte, blieb ich noch lange bei dem, was ich kannte.

Ich finde die Idee, einen Abschluss zu erlangen, hier ein Studium, unwahrscheinlich wichtig. Ich kenne einige Leute, die keinen Abschluss haben und für kleines Geld arbeiten. Klar, sie leben, können sich aber nichts leisten. Da rede ich aber von kleinen Dingen ... Zudem, so meine Meinung, muss Arbeit auch Spaß machen. Wenn ich Fahrt- und Arbeitszeiten, sowie die MP addiere, kommen locker 9 und mehr Stunden am Tag zusammen, die mein Leben bestimmen.
Du schreibst, dass Du nicht weisst, wie es weitergehen soll ... und schreibst Dich ein. Du bist auch bereit, den Derecksjob auszuhalten, um Dich und Dein Studium zu finanzieren, Du schreibst hier ... weil alles beim Alten beleiben soll? Wohl nicht ... Du schreibst, weil Du etwas verändern möchtest. Du möchtest sogar am Samstagsmeeting teilnehmen. Also ich finde, dass das sehr wohl nach einem Plan aussieht! Und er liest sich auch gut!

Zitat
Ich habe einen so starken Drang danach nicht mehr zu spielen, aber irgendwie schaffe ich es nicht.

Habe Geduld mit Dir! Das wird schon! Bedenke bitte, dass Du bisher, trotz Deiner sporadischen Besuche hier, alles versucht hast alleine zu regeln. Das ist ein vollkommen normaler Vorgang, der darauf beruht, dass wir unser Leben kontrollieren wollen. Manchmal müssen wir aber einen Teil der Kontrolle abgeben, um die gesamte Kontrolle wieder zu erlangen.
Darauf kommen wir sicher später noch zurück.

Also ... Du bist nun auf der Suche nach Input ... und den wirst Du auch erhalten und Dir dann das herauspicken, was Du gebrauchen kannst.

Zu den Depressionen ... die können durchaus durch das Spielen entstanden sein ... das muss aber nicht sein ...
Hier ist es wichtig, dass Du Dir einen Therapeuten suchst, um sie abchecken zu lassen. Da die Kombi Glücksspielsucht und Depressionen sehr häufig vorkommt und alle Profis, die ich kenne, immer darauf drängen beides gemeinsam behandeln zu lassen, solltest Du das auch tun. Medis gegen die Depris könnten Dir den Weg aus der Sucht erleichtern. Was für mich noch für die Profis spricht, ist die lange Zeit, die Du in der Sucht verbracht hast UND auch der frühe Beginn der Sucht, von dem ich mir vorstellen kann, dass daher Deine Anpassungsstörung kommt.
Ich hoffe, ich habe Dich mit diesem Absatz nicht geschockt. Bleibe erst mal bei Deinem Plan, wenn Dir das hier nicht passt.
Rom wurde ja auch nicht an einem Tag erbaut, nicht wahr?

Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

*

Offline Ilona

  • *****
  • 3.892
    • Fachverband Glücksspielsucht e.V.
Re: Na dann los
« Antwort #2 am: 29 Juli 2024, 17:20:17 »
Hallo Mavis,
auch von mir ein herzliches Willkommen hier im Forum. Du hast eine lange Suchtgeschichte hinter dir, bist aber damit nicht der einzige hier im Forum. Du wirst viele finden, die den Weg, den du vor dir hast, bereits gegangen sind. Lass dich davon ermutigen. Du kannst das auch schaffen. Der erste Schritt ist gemacht und für die nächsten hast du bereits Pläne. Alles Gute!
LG Ilona

PS Eine Frage noch zur Umgehung der Sperre: Wie hast du das konkret gemacht? Unser Verband sammelt gerade Erfahrungen, was man bei OASIS verbessern müsste, um das Sperrsystem insgesamt noch sicherer zu machen.

Re: Na dann los
« Antwort #3 am: 29 Juli 2024, 19:30:41 »
@Olli

Vielen Dank für deine Worte,

du bist mir schon seit Jahren, wenn ich mal meinen Weg ins Forum gefunden habe, immer positiv aufgefallen und auch im Gedächtnis geblieben. Ich weiß deine Beiträge im Forum sehr zu schätzen.
Mit dem Thema Depressionen gebe ich dir recht, im Idealfall sollte ich das auch gezielt in Angriff nehmen und genauer untersuchen lassen. Für mich ist die Verbindung zum spielen nicht von der Hand zu weisen. Ich hatte die letzten Jahre immer mal wieder spielfreie Phasen und es ging mir immer deutlich besser. Sobald dann wieder sie Selbstsabotage kam und ich gespielt habe, bin ich wie in die Dunkelheit gezogen worden.
Es war auch nie so, dass meine Rückfälle damals aufgrund von schlechten Gefühlen ausgelöst wurden, eher das Gegenteil war der Fall. Immer wenn es mir sehr gut ging, bin ich meistens Rückfällig geworden.
Ich habe mal gelesen, dass sich das Gehirn danach sehnt, in Zuständen zu sein welche es am meisten gewohnt ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Zustand schlecht oder gut ist. Und das merke ich bei mir extrem. Ich habe schon so früh angefangen zu spielen und lebe seit über einem Jahrzehnt in diesem "Modus", dass sofort die Selbstsabotage rein kickt, wenn es mir mal eine Zeit lang besser geht. Als ob mein Gehirn Angst vor dieser anderen Gefühlslage hat, obwohl sie positiv ist. Das ist ein bisschen wie wenn viele berichten, dass sie sich erleichtert fühlen wenn sie alles verspielt haben. Weil man dann endlich wieder in dieser gewohnten Situation und Gefühlslage ist, nichts zu haben und sich schlecht zu fühlen. Genau das, was das Gehirn halt gewohnt ist. eigentlich total perfide. Hauptsache es bleibt so wie es ist.

@Ilona

Auch dir vielen Dank für deine Worte und deine Arbeit hier im Forum,

um auf die Frage wegen der Spielsperre zurückzukommen. ich wohne in Frankfurt und ich habe 5 Minuten von meiner Haustür entfernt mindestens 5 Läden (Shishabars, Kneipen, Türkische Cafes) die Automaten aufgestellt haben die dauerhaft freigeschaltet sind. In den letzten Jahren ist es definitiv besser geworden, ich würde sagen 90% aller Läden mit Automaten halten sich an die Gesetzgebung aber alleine die 10% reichen halt dicke aus, um als Zocker dauerhaft immer wieder Möglichkeiten zu finden spielen zu gehen.

Ich bin mittlerweile sogar so, wenn ich in so einen Laden gehe und mein Geld verspiele, gehe ich dann zum Besitzer und sage "Guck mal ich bin Spielsüchtig und gesperrt, du hast hier Automaten stehen die für mich eigentlich nicht zugänglich sein sollten. Wenn ich hier nochmal reinkomme und spielen kann ruf ich die Bullen". Das war in der Vergangenheit echt teilweise mega unangenehm und auch gefährlich, besonders in so türkischen Cafes am Hauptbahnhof, aber ich hab da einfach keinen Bock mehr drauf.

Ich glaube ein großes Problem ist, dass es einfach viel zu wenig Kontrollen gibt, es eventuell gar keine speziell ausgebildeten Mitarbeiter gibt, die sich mit dem Thema genügend auskennen und selbst wenn mal was passiert, die Strafen einfach nicht abschreckend sind.
Ich war vor 2-3 Jahren mal in einem türkischem Cafe spielen und neben mir hat jemand an einem Schnellbucher gespielt (also die illegalen viereckigen Kisten, an denen man nur Geld ohne buchen wie in der Spielbank einzahlen kann, aber zum Auszahlen dann den Chef rufen muss)
An diesem Tag war das erste mal in meinem Leben eine Polizeikontrolle. ich dachte mir so, ok jetzt haben sie die auf frischer Tat ertappt, das gibt ärger. Der Beamte hat dann auch relativ schnell gemerkt, dass das Gerät keine Lizenz hat und nicht zugelassen ist. Hat dann gemeint, der Laden müsste jetzt schließen sie beschlagnahmen alles.
Der älter Mann der am Automat gespielt hat, hat dann in gebrochenem Deutsch auf einen aufgeklebten Sticker auf dem Schnellbucher gezeigt wo draufsteht "Nur zum Spaß, keine Auszahlung". Daraufhin hat der Beamte gemeint dann wäre alles Ok und die Polizisten haben sich aus dem Staub gemacht.
An dem Tag wurde mir erstmal so richtig klar, wie sehr die Behörden hier keinen Plan von garnix auf dem Gebiet haben. Das ist ja so, wie wenn ein Paket Kokain am Flughafen entdeckt wurde aber der Dealer mit Edding draufgeschrieben hat "nur Puderzucker" und es durchgewunken wird. Total bescheuert.

lG




 

Wir danken dem AOK Bundesverband für die Finanzierung des technischen Updates dieses Forums