Zuhause alles okay, ich bestelle Lebensmittel für die nächsten Tage, wasche, bügle, sowas. Freitag die Email vom Krankenhaus: Mo wieder dasselbe Prozedere: alle Voruntersuchungen, alle Unterlagen mitbringen, um 8.00 Uhr da sein. (Kein Anruf wegen der Histologie.) Ich hole die neue Einweisung vom Hautarzt. Wird dann wohl seine Richtigkeit haben. Eine Woche ist ja noch nicht rum. Geschlagene 5 Stunden muss ich für das alles wieder einrechnen.
Ich nehm‘ mir am Montagmorgen schnell Bananen mit, bin pünktlich um 8.00 Uhr vor Ort. Nachdem ich alles im Management wieder abgegeben habe und gut 4 Stunden verstrichen sind, sagt mir die Frau vom Patientenmanagement: ‚Bitte nehmen Sie noch Platz, die Oberärztin möchte noch mit Ihnen sprechen. Sie müssen nicht lange warten, ich sag‘ ihr, dass Sie da sind!‘ Vorbesprechung – das ist schön, weiß ich doch danach, wie die mich nun zusammenflicken.
‚Ja, Hallo, setzen Sie sich doch! Wir haben das Ergebnis aus der Histologie bereits! Es muss nachgeschnitten werden rechts, wir machen das morgen früh. Sie wissen ja, es ist gut, dass Sie gekommen sind. Das Wichtigste ist, dass wir alles rausbekommen. Das wächst sonst nur nach und breitet sich weiter aus, wenn wir nicht exakt arbeiten, und das kann Sie ihre Nase und auch Ihr Auge kosten; das wollen wir ja nicht. Ihre kosmetischen Wünsche müssen jetzt erst mal in den Hintergrund treten, tut mir leid. Morgen um 6.00 Uhr melden Sie sich wieder auf Station 19, bitte. Sie sind die 2. auf der OP-Liste. Wir tun alles, um das Ergebnis so gut wie möglich …‘.
Pfff … und meine Tränen lassen sich nicht unterdrücken. So eine Hiobsbotschaft! Nase … Auge verlieren? WHAT? Wir verabschieden uns, verbleiben so.
Okay, ich muss da jetzt also durch. Ein Zurück geht ja nicht. Abbrechen ist auch keine Lösung. Erst mal schnell raus aus diesem Haus. Ich gucke nach dem ‚Ex‘, klar sitzt er da mit Zigarette. Ich geh hin, er freut sich: ‚Ach, kommst Du echt schon wieder? Wie schön! Hast Du noch Zigaretten? Das war meine letzte. Ich muss übrigens wieder ins Pflegeheim, die 3. OP am Freitag ging wieder daneben. Nun muss ich mindestens 6 Monate warten bis zum nächsten Versuch. Irgendwann gegen Ende der Woche werde ich abgeholt und komme erst mal wieder in dieses kack Pflegeheim zu den Bekloppten!‘
‚Oh, Mist, das tut mir wirklich leid. 6 Monate – das ist lange. Ich werde morgen das 2. Mal operiert.‘ ‚Ach, das ist wirklich nicht schlimm mit Deiner Nase …‘
Ich bin so gereizt, völlig angespannt!
Da sitzt noch ein Junge, also ein junger Mann - mit verbundenen Unterarmen. Er bekommt die Situation mit und sagt zu meinem Ex: ‚Wenn ich mich nicht täusche, fliegt Dir gleich ne Handtasche ins Gesicht!‘ – wie Recht er hat! ‚Wir sehen uns noch, bevor Du ins Heim gehst.‘ ‚Ach komm, meine Liebe, lass‘ uns mal drücken, haben wir noch gar nicht gemacht. Wir bleiben doch Freunde, oder? Das mit der Nase, das wird schon. Sieht echt gar nicht schlimm aus!‘
‚Na, sage ich, gucken wir mal, was die Zeit bringt‘ – ich beuge mich runter zur freundschaftlichen Umarmung, gebe ihm noch ein paar Zigaretten und sage, dass ich dann erst mal nach Hause muss. Packen und so. Er ist verunsichert, sagt, er muss wieder hoch zur Antibiose … und rollert davon.
Ich lächle den Jungen an und sage: ‚Gut erkannt! Ich kann’s wirklich nicht mehr hören, immer dasselbe: Och, wird schon und so. Was hast DU denn eigentlich gemacht, dass Deine Arme beide verbunden sind? Sind die gebrochen? Oder hattest Du einen Unfall? Was ist Dir passiert?‘
‚Nee-nee, was ganz anderes: Eigentlich hat alles angefangen mit meiner Zahnspange, ich hatte solche Schmerzen, und nichts hat geholfen. Ich hab mir dann ‚Legal Highs‘ aus Holland geholt, die sollten helfen. Hast Du schon mal gehört von ‚Badesalz‘? Na, jedenfalls hab ich das gespritzt, und mit der Zeit ist die Haut ganz schwarz geworden, abgestorben. Nekrosen, haben die hier gesagt. Die haben das jetzt aufgeschnitten.‘ Er zeigt mir Fotos auf seinem Smartphone. Ich sehe pechschwarze Unterarme, auf dem anderen Foto sehe ich die Unterarme aufgeschnitten. ‚Die nehmen jetzt Haut von den Oberschenkeln zum Abdecken‘, sagt er.
Ich bin schockiert! Richtig platt. Er sagt, er ist 19. 19 Jahre alt und so was. Wie furchtbar. Ich hatte schon mal von solchem Zeug gelesen, aber jemanden, der das benutzt hat, hab ich noch nie kennen gelernt. Ich streichle seine Hand. ‚Mann, das tut mir voll leid! Du musst die anzeigen! Das ist absolut verantwortungslos, so was zu verkaufen.‘ ‚Keine Chance‘, sagt er – das geht gar nicht zurückzuvollziehen, wer da verantwortlich ist, und ich hab mir das ja kurz hinter der holländischen Grenze selbst abgeholt … wegen Zoll und so, weißte?‘ ‚Verstehe‘, sage ich. ‚Puh! Wissen Deine Eltern, dass Du hier bist? Oder sonst jemand? Hast Du eine Freundin – jemanden, der Dich besucht? Du bist ja bestimmt länger hier damit, das ist ja keine Bagatelle.‘
‚Mein Freund weiß das, er hat das dann auch genommen und sieht genauso aus, auch alles schwarz. Er wohnt in Köln und ist mitten im Umzug. Ich bin schwul, weißte, und eigentlich hab ich auch noch einen hier, das heißt, wir waren mal zusammen und ich weiß nicht, wen ich will. Mein Freund in Köln, mit dem läuft das nicht mehr so, das war so schön mit ihm, aber jetzt … Hast Du schon mal von „Puppy Love“ gehört?‘ ‚Nö‘, sage ich, ‚keine Ahnung … was ist das? Ist er so viel älter als Du?‘
‚Nee … warte, zeig ich Dir‘ … und ich gucke wieder auf den Screen. Ich sehe verkleidete Männer, sie tragen Latexklamotten und Masken, die wie Hundegesichter aussehen, haben auch teilweise Leinen, Geschirr um den Hals. ‚Das ist Puppy Love, wir sind eine Community, und es gibt die Puppies, also die Welpen, und die Halter, also so ganz oberflächlich erklärt. Puppy Love gehört zur BDSM-Szene.‘
Ich nicke – ‚ach so … nee, hab ich noch nie was von gehört‘ … er hat es drauf, mich völlig von dem Schock von vorhin abzulenken. So erzählt er mir noch mehr und dass es sein zweites Ich sei und überhaupt so viel und alles, wovon ich noch niemals im Leben auch nur ansatzweise was gehört hätte. 19 Jahre, BDSM, Puppy Love – ist die Welt noch zu retten? Ich fühle mich alt bei dem Gedanken, aber ich gebe vor mir selbst zu: Ich finde es schrecklich. Ich mag schwule Männer total gerne und hab schon viele kennengelernt, mit einem geh ich alle paar Wochen Essen und Quatschen, ein guter Freund – aber ich glaube nicht, dass jemand von meinen Bekannten je aus einem Napf gegessen hat oder etwas, was ihm vom Esstisch auf den Boden geworfen wurde.
Und dabei mag ich diesen Tim, wie er heißt, er ist voll niedlich, irgendwie trotz allem arglos, herzlich in seiner offenen Art, und er weint, weil sein ‚Welpe‘ ihn nicht mehr so tief innerlich, herzlich, berührt wie am Anfang.
Aber jetzt muss ich wirklich nach Hause, schließlich ist morgen die 2. Operation. Wir verabschieden uns … wissen, wir sehen uns wieder, denn er liegt auf?? Station 19!