Hallo zusammen!
Heute möchte ich mir einmal ein paar Gedanken zum Thema Loslassen machen. Dieses Wort begegnet mir immer wieder in Spielsuchtforen. „Lasse los!“ heisst es da häufig. Da ist es egal, ob ein Glückspieler gemeint ist, der vom Glückspiel lassen soll, oder eine Angehörige, die ihren uneinsichtigen Spieler loslassen soll.
Doch was heisst das überhaupt? Loslassen … Und wie geht das? Ist das überhaupt rational zu erfassen, vielleicht nur emotional – oder Beides?
Zunächst einmal bedeutet Loslassen, dass wir an etwas festhalten.
Unser ganzes Leben lang unterliegen wir Veränderungen. Bereits im Kindesalter gibt es viele davon, denen wir uns stellen und sie auch meistern. Wir kommen in den Kindergarten in eine Spielgruppe hinein. Vielleicht wechseln wir auch in dieser Zeit die Gruppe einmal.
Dann kommen wir in die Grundschule, in eine Klasse mit überwiegend Kindern, die wir nicht kennen. Auch die erwachsenen Bezugspersonen, die Lehrer, sind für uns neu. Wir müssen uns auf die Personen und die Situationen immer wieder neu einstellen.
Dann kommt die weiterführende Schule – die Unterstufe – die Mittel- und ggf. die Oberstufe.
Wir machen eine Lehre oder studieren. Wir suchen uns einen Arbeitgeber oder machen uns selbstständig. Wir bauen Beziehungen auf und beenden sie wieder.
Einen alten Baum verpflanzt man nicht mehr – heisst es. Dieses Zitat aus dem Volksmund weist nicht nur darauf hin, dass ältere Menschen unflexibler mit Veränderungen umgehen, sondern indirekt, dass in jungen Jahren Veränderungen viel leichter zu bewältigen sind.
Doch wie kommt das? Das erste Schlagwort heisst hier „Gewohnheit“. Unser Gehirn ist so konzipiert, dass es zwischen 60 und 70 % Gewohnheiten abarbeiten muss.
Jeder kennt es … wenn ich Kartoffeln schälen möchte, dann brauche ich nicht erst wieder lernen, wie der Sparschäler funktioniert und die Kartoffel gehalten werden muss.
Auch die Arbeitsabläufe sind so optimiert im Laufe der Jahre, dass ich meinen Gedanken beim Schälen sogar freien Lauf lassen kann.
Das Gehirn schafft für „Gewohnheiten“ Synapsen, die zu Abkürzungen im Gehirn führen.
Sie müssen nicht mehr alle Stationen durchlaufen und das Gehirn spart so Energie.
Die größte Gewohnheit ist der Reflex.
Je öfters ich ein Ereignis oder eine Erfahrung wiederhole, umso mehr Synapsen werden angelegt und trainiert.
Das nächste Schlagwort heisst „Investition“. Damit ist beim Glückspieler natürlich nicht das Geld gemeint. Hier möchte ich noch einmal den vielzitierten Grund angeben, weshalb Spieler häufig spielen: Die Gier ist gemeint, der Schuldenabbau und das Geld verdienen. Das sind in meinen Augen nur vorgeschobene Gründe, die „logisch“ klingen und das Spielen rechtfertigen.
Nein, wir investieren hauptsächlich Zeit in das Glückspiel. Und wir investieren Emotionen.
Gerade wenn wir uns die Formen der Suchtausübung anschauen, so gibt es hier deutliche Unterschiede in der Intensität.
Und nun sagen wir einem beispielsweise glückspielsüchtigen Pokerspieler, der sich über Monate oder über Jahre Wissen angeeignet hat über Psychologie, Mathematik und was weiss ich nicht noch alles, er solle loslassen. Da wird er idR. ein Problem damit haben.
Hier kommt nämlich nun der dritte Punkt hinzu, die „Identität“. Der Glückspieler identifiziert sich mit dem Glückspiel.
Ich selbst als Automatenspieler habe mich erhobenen Hauptes als „Zocker“ betitelt. Der Pokerspieler gehört einem elitären Kreis an. Für den Casinogänger ist es unter seiner Würde eine Spielhalle zu betreten.
Wenn es nun heisst, er solle loslassen, dann entsteht zwangsläufig ein Loch, wo das Glückspiel gewesen ist.
Wir erinnern uns: Die fünf Säulen der Identität (n. Petzold) sind:
1. Körper und Gesundheit
2. Arbeit und Leistung
3. Soziale Beziehungen
4. Finanzielle (materielle) Sicherheit
5. Werte
Das Loch greift in vier der Säulen ein. Die erbrachte Leistung war unnütz, die sozialen Beziehungen im Rahmen des Glückspiels fallen weg. Die Finanzen sind zumeist schon im tiefsten Keller. Auch die Werte werden berührt, da er ja bisher das Glückspielen für richtig gehalten hat, überzeugt davon war und dafür eingetreten ist.
Manchmal sogar hat sogar die Gesundheit unter dem Glückspiel gelitten. Falsche Ernährung, keine Zeit mehr für Sport, mangelnde Körperhygiene, kein Auskurieren von Krankheiten – dann sind sogar alle fünf Säulen berührt.
Jetzt stellen wir uns einmal vor, dass ein Glückspieler ein Trapezartist wäre, der an einem Trapez hängt mit seiner Sucht. Das zweite Trapez, zu welchem er sich schwingen soll, steht für Veränderung/Spielfreiheit.
Jetzt hängt er also da rum und soll loslassen. Sinnbildlich geht es ganz schön weit runter unter diesem ersten Trapez. Er muss also in Bewegung kommen, sich erst einmal hin und her schwingen.
Was oft passiert, die eine Hand packt das zweite Trapez, die Andere hält am Ersten fest.
Da möchte also jemand aussteigen und schafft nicht den Absprung, sondern hängt sozusagen zwischen den Seilen, was sich in Rückfällen äußert.
Greift er aber mit beiden Händen das zweite Trapez, dann lässt er im wahrsten Sinne des Wortes das Erst hinter sich. Er schwingt jetzt nur nicht mehr mit der Glückspielsucht, aber er schwingt.
Ich denke, es ist unnötig zu erwähnen, dass der Wechsel des Trapezes einfacher vonstatten geht, wenn es ein Sicherungsnetz gibt. Also SHG und/oder Suchtberatung und/oder Therapeut/Psychologe. Dazu zählen aber auch Familie und Freunde.
Zu den Löchern: Jedes Einzelne füllt sich automatisch wieder auf. Es kann sein, dass einige Aspekte in den Säulen Arbeit an sich selbst bedeuten, vielleicht auch mit eben professioneller Hilfe.
Doch diese Arbeit investieren wir ja in unsere eigene Person, damit wir unser Leben so gestalten können, wie wir es uns selbst wünschen.
Veränderungen sind der Weg aus der Vergangenheit in die Zukunft. Obwohl viele Veränderungen ohne unser Zutun passieren, so brauchen einige Veränderungen allerdings aktives Handeln.
Tja, wenn da nur nicht die Angst wäre … Was passiert, wenn ich Dies oder Jenes mache?
Angst blockiert das Loslassen und unterstützt das Festhalten. Angst bringt negative Übertreibungen mit sich.
Was soll ich also machen, wenn die Angst mich bannt und plagt?
Da habe ich einen schönen Satz in einem Video gehört: Trete mit ihr in Kommunikation!
Frage Dich also, was Dir genau Angst macht. Drehe das Ganze herum und stelle Dir die Frage, woran Du festhälst.
Was gewinne ich, wenn ich loslasse? Was behalte ich, wenn ich mich weigere loszulassen?
Wieso erlaube ich mir nicht das Loslassen und wieso erlaube ich mir das Festhalten?
Was kann ich tun und kann ich es in kleine Schritte aufteilen?
Welche Überzeugungen habe ich, die mich festhalten – und sind es wirklich meine? Sind sie mir dienlich?
Nun bin ich mal gespannt, was Ihr so denkt …