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Habe ich nur aus einem "finanziellen Aspekt" heraus gespielt?

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Offline Olli

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Hi Leute!

Habe ich nur aus einem "finanziellen Aspekt" heraus gespielt?

Diese Frage möchte ich gerne in einem eigenen Thread mit Euch erörtern und bitte um rege Teilnahme.
Seht meine nachfolgenden Gedanken bitte nicht als festgemeißelte Meinung an, sondern als eine Aneienderkettung einzelner Fragen.

Für mich selbst kann ich definitiv sagen - nein, ich habe nicht aus einem finanziellen Aspekt heraus gespielt.
Sobald ich Geld zur Verfügung hatte, bin ich in die Halle damit und wusste ganz genau, dass das Geld "ein Anderer" hatte, wenn ich die Halle wieder verließ.
Natürlich freute ich mich auch über Gewinne - doch einzig und alleine nur, weil es die Spielsession verlängerte.
Wenn nicht am selben Tag, dann doch zumindest die folgenden Tage.

Wie ihr ja wisst, bin ich der Meinung, dass es nur einen Grund zum Gamblen gibt - und das ist das Gamblen selbst.

Wenn nun jemand meint, er würde aus einem finanziellen Aspekt heraus spielen, so bin ich der Meinung, dass es einen tiefer liegenden Grund für diese Ansicht, oder auch Überzeugung, geben muss.

Der Grund, der über allem schwebt, ist der Narzissmus, den unsere Gesellschaftsform schon fast zwingend hervorruft.
Alles muss schneller, besser und größer sein, eher jetzt als gleich, geschweige denn morgen.
Bereits meine Eltern in ihrer Nachkriegsgeneration haben dies erfahren und haben es in der Erziehung auch weiter transportiert.
Meine Eltern haben z.B. geheiratet, die ersten zwei Knder kamen. Dann wurde gebaut und der 3. Nachwuchs kam ein paar Jahre später.
Gezwungener Maßen machte sich mein Vater irgendwann selbstständig.
Ein Abschreibungsobjekt musste her und so wurde noch ein Haus gebaut.
Was sagten meine Eltern einmal ... sie würden gerne jedem Kind ein Haus hinterlassen.

Aus den Nachrichten:
Jeder 6. Bundesbürger mit einem Vollzeitjob verdient unter 2000 € Brutto.
Jeder 6. NRW-ler verdient unter 1000 € Netto.

Kürzlich gab es Dokumentationen (ja, ich weiss, dass das alles immer mit Vorsicht zu behandeln ist), in denen 4-köpfige Familien mit 1400 Netto auskommen mussten.

Wir sehen die Nominallöhne zwar stetig steigen, doch die Reallöhne sind rückläufig.
Die Einstiegsgehälter sind nach meinem Empfinden extrem gesunken - die Aufstiegsmöglichkeiten (zumindest im ÖD) erschwert.

Immer mehr Familien benötigen 2 Einkommen, um sich etwas leisten zu können - z.B. ein eigenes Eigenheim.

In meinem Beruf ist eigentlich nur die mittlere Reife von Nöten - doch seit Jahr und Tag werden Azubis nur noch mit Abitur genommen.

Leistung ist überall gefragt.

Doch was ist, wenn jemand schon an seiner persönlichen Leistungsgrenze ist oder darüber hinaus?
Und was erst, wenn es dann finanziell doch nicht reicht?

Zum Narzismus in unserer Gesellschaft gehört es nicht nur "gesehen" zu werden - wir wollen "beachtet" werden.
Wir brauchen Aufmerksamkeit - wir brauchen Zuwendung - und wir brauchen Bestätigung.
Doch wie soll das gehen, wenn wir das Soll nicht erfüllen können?

Was macht das mit unserem Innersten?
Kommt hier vielleicht der Bestrafungsmodus zu tragen? Ein destruktives Verhaltensmuster?
Wie sieht es mit Scham aus?
Reden wir mit jemandem über die nicht erreichten Ziele? Die Unzufriedenheit? Oder machen wir es mit uns alleine aus? Weil "man" darüber öffentlich einfach nicht spricht? Es sich nicht geziemt?
Scham ist eigentlich ein positives Gefühl. Jeder kennt sie und eigentlich ist sie sehr selten.
Doch Scham kann auch zum Krankhaften werden - zum Dauerzustand, der viele Lebensbereiche beeinflusst.

Unsere Gesellschaft benötigt Kämpfer (Anmerkung: Ich finde unsere Gesellschaftsform gut - aber ich glaube, dass sie stark kränkelt - und nein, ich habe keine Lösung für die Probleme).
Und zwar Einzelkämpfer - mit kräftigen Ellenbogen - mit Durchsetzungsvermögen.
Wie passt es da ins gesellschaftliche Bild sich Hilfe zu suchen? Sich einzugestehen, nicht "der Norm" zu entsprechen?

Ich habe mich kürzlich mit jemandem persönlich über dieses Forum unterhalten.
Es war lange Zeit sehr ruhig hier. Es gab immer wieder Neuanmeldungen - die Aufrufzahlen der Threads blieben stetig in Bewegung nach oben.
Kaum jemand schrieb.
Heute ist hier viel los, wegen des Chargeback-Themas. So wichtig es auch ist, es wird sich fast nur noch darauf konzentriert.
Hier wird die eigene Scham gerade so überwunden, weil man sich einen nachhaltigen Vorteil verspricht.
Einen, der sich auch wieder nach außen tragen lässt. Sind die Schulden abgebaut oder gar getilgt durch ein CB, kann man sich auch wieder etwas leisten.
Es muss nicht "mein Auto, mein Boot, mein Haus" sein. Aber z.B. Kleidung, denn Kleider machen ja bekanntlich Leute.
Man kann in Urlaub fahren und darüber berichten ...
Man kann sich eine Markise leisten ... ;)

Was ist aber mit der "Behandlung" dieses Körperteils, welches sich hinter Euren Stirnen verbirgt?
Hier ist die Scham einfach oftmals zu groß.
In eine SHG gehen ... da ist der Weg zu weit, die Zeit zu knapp - der Ausreden gibt es viele.
In einem Forum über seine Gefühle reden  - über beschämende Gedanken - da ist die Hürde zu groß aus dem Schneckenhaus heraus zu schauen.
Was in meinem Gehirn vorgeht, dass kann niemand so wirklich beurteilen. Es zeigt sich ja nicht offensichtlich nach außen hin, wenn ich alles beim Alten belasse.

Aber wisst Ihr, worüber ich mich freue? Ihr könnt es ... zeigt es z.B. in dem Thread, in dem ich gefragt habe, ob Euch spielen Spaß macht.
Da gibt es zaghafte Versuche sich einzubringen - die Scham ein wenig hinter sich zu lassen.
Oft empfinde ich die Beiträge als ... distanziert ... aber darauf kommt es gar nicht an ... ihr habt etwas von Euch preis gegeben - das ist das Essentielle ...
Ist einer daraufhin je zerfleischt worden?

Oh je ... jetzt bin ich aber abgeschwiffen ... :)

Zurück zum Gespräch über das Forum ...
Wir Spieler machen entweder nichts oder wir wollen alles auf einmal jetzt und sofort haben.
Aber auch her im Forum brauchen wir Geduld mit denjenigen, die sich noch nicht oder nur zaghaft äußern möchten.

Ich bin mir sicher, dass Scham weite Teile meines Lebens gravierend beeinflusst hat, meistens blockierend.
Die Scham hat mich in die Glückspielsucht getrieben und mich dort festgehalten.
Hier konnte ich meinen Narzismus befriedigen, nach immer mehr und immer schneller - nach meinem eigenen kleinen Bereich des Gigantismus.

So komme ich nun zum Schluss und frage noch einmal:

Zitat
Habe ich nur aus einem "finanziellen Aspekt" heraus gespielt?

« Letzte Änderung: 31 Juli 2019, 09:53:05 von Olli »
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

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Offline Ltr88

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Re: Habe ich nur aus einem "finanziellen Aspekt" heraus gespielt?
« Antwort #1 am: 29 Juli 2019, 18:51:30 »
Ehrlich gesagt ich persönlich habe wirklich anfangs nur wegen dem schnellen Geld gespielt! Ich hätte vor meinen 19 Geburtstag nie gedacht das ich je einen Euro verspielen würde! War stets in spielotheken zwar Billard spielen... und sah die ganzen fertigen Leute und dachte mir bloss omg was für ein Schwachsinn wie Hobby los Mus man bloß sein... naja einmal war ich dann mal feiern war ganz schön vol und habe mich überreden lassen, gewann auch noch den Jackpot... auf der Arbeit habe ich wenig verdient meine Freundin wurde schwanger die erste Wohnung müsste Heer plus Einrichtung arbeitete noch privat zusätzlich doch es langte vorne und hinten nicht also mit zocken nochmal probiert in 3 verschieden spielos hin im Zeitraum von 2 Monaten und direkt Jackpot 3000 Euro zusammen gewonnen... danach ging es nur noch Berg ab.... trotzdem spielte ich weiter im Gedanken ich kann mein Geld das ich verloren habe und was mir fehlt nur durch zocken wieder erhalten.........

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Offline andreasg

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  • 2.083
Re: Habe ich nur aus einem "finanziellen Aspekt" heraus gespielt?
« Antwort #2 am: 31 Juli 2019, 09:50:52 »
Zeit und Geld sind verspielt, unwiederbringlich,
das Wertgefühl aber lässt sich zurück gewinnen (GA)

Nun erst einmal zum Forum: bin gerade etwas irritiert, weil ich wahrscheinlich alles auch ernst nehme. Ich weiß doch , welche Blüten die Sucht treibt, und in welcher Traumwelt ich als Spieler lebe. Mir bedeutet es etwas, mich hier einbringen zu dürfen, und bitte um Verständnis, wenn ich mehr auf die Schicksale derer achte, die einen ernsthaften Weg gehen, sich von den Fesseln der Spielsucht zu befreien, als wenn ich den Verdacht habe, irgend jemand sucht ein Alibi für sein Verhalten. Alo, das Körperteil hinter der dicken Schädeldecke fühlt sich an, wie eine  Achterbahn in einem Horrorszenario, und deshalb ist Schreiben für mich ein Werkzeug der Genesung für mich. So manches mal finde ich ja in die Realität zurück.

Also, das in der Imbissstube, in der einen Hand die Bratwurst, mit der anderen Hand die Groschen in den Automaten - war kein Gedanke daran, die Bratwurst möglichst umsonst zu genießen. Eher der Gedanke: "wenn ich schon keine Freundin habe, und aus Frust mich dick fresse, will ich wenigstens doch ein wenig Glück haben". Das allerdings nur unbewusst. Ich entdeckte die Spielhallen, eben keinen Verzehrzwang, aber Flipperautomaten. Als ich 17 Jahre alt war, zerschlug ich mit der Faust die Glasplatte eines Flipperautomaten, gab dem Aufseher meine richtige Adresse an, nur den Ausweis wollte ich nicht zeigen, ich war ja noch nicht 18. Es kam keine Rechnung, kein Ärger mit meinen Eltern, die ja in Scheidung lebten, und ich immer nie wußte, wer außer meiner älteren Schwester Familienvorstand ist? Die Halle existiert immer noch, obwohl ich diese nie wieder betreten habe. Aber ich habe wohl intuitiv gespürt, daß ich jede Menge Aggressionen ins Spiel setze.
Ich hatte eine Ausbildung abgebrochen, ein Praktikum in der Gastronomie gemacht, und verdiente mich als Fahrradbote. Nach Feierabend gingen wir schon mal ein Bier trinken, oder auch mal in die Halle, bis doch wieder die Frage nach dem Ausweis aufkam, dann kuschten wir alle.
Ich überspringe einmal meine Saufzeit, und erzähle nicht viel von Knobelrunden, Poolbillard, , Flipperspiele , Dart, Bowling etc, natürlich alles samt und sonders um Bier und Schnaps gespielt, den Kater am nächsten Morgen - lieber gar nicht daran denken...


Ich habe eine Kaufmännische Ausbildung zum Speditionskaufmann gemacht, , und diese befriedigend abgeschlossen, bin nach der Bundeswehrzeit (1973 - 1974) wieder dort hin, habe eine Abfindung erhalten, bedingt durch den Freitod des Firmeninhabers, habe aber kurz danach eine Stellung im Maschinenbau erhalten, die beste Adresse meiner Berufslaufbahn. Die Folgen der Ölkrise (1975) beendeten den Job, ich war ja jung, ledig, und ungebunden, keine Kinder . Also ab zum Arbeitsamt, das Sufen kehrte wieder ein, ich fing an zu verwahrlosen. Nur eine kurze Schulung im Rechnungswesen, die ich mit "sehr gut" abschloß, brachte mir wieder Selbstachtung bei. Zum Ende der Maßnahme fand sich ein Angebot der Arbeitsagentur in einer kleinen Spedition: Zum Bewerbungsgespräch hatte ich ein dickes Veilchen am rechten Auge (1977). Ich habe deshalb nicht verstanden, daß die nich annahmen, und bin dem Betrieb bis zur Insolvenz (Jahr 2000) treu geblieben. Im April 1982 hatte ich einen Fahrradunfall auf dem Weg zur Arbeit. Sturz bei Glatteis, Oberschenkelhalsbruch, 7 Wochen im Krankenhaus. Das war richtig beschissen, weil ich dort anfing über mein Leben nachzudenken. Ich setzte mich mit der Angst auseinander, daß mein 30. Geburtstag näher rückte, ich immer noch nichts mit Frauen hatte, immer nur die Kumpels, um meine Gefühle wegzudrücken. Ich fing an, meine Mutter zu hassen, weil sie jeden Tag (!) zu Besuch ins Krankenhaus zu kommen, und hatte in schlaflosen Nächten gigantische sexuelle Fantasien. Da ich Fußballfan war, und am Rande eines extremen Fanclubs agierte, bekam ich auch mit der Rechtsradikalisierung der Szene in Kontakt. Ich habe es, wie auch immer geschafft, mich aus dem Fanblock, und den verblendeten Kumpels zu lösen. Im Herbst 1984 (?) hatte ich mein letztes Besäufnis. Wir haben uns in einer Spelunke "hinterm Bahnhof" getroffen, "Hamburger Pasch" um Bier und Korn gespielt, um so um 21:00 Uhr ging ich noch für eine Stunde in die Spielhalle. Der folgende Kater quälte mich bis in die Nachmittagstunden, und die schweren Hosentaschen, durch die vielen 5 DM Stück wirkten da etwas groteskt. Aber das Geld hatte ja keinerlei Sinn mehr. Wenn der Kopf nach einem Saufgelage wieder frei wurde, und der Nachdurst mit Unmengen Fanta gestillt war, kam mein sexuelles Verlangen wieder durch. Ich hätte ja auch von dem durch Alkohol nebulösem Spielgewinn mir wenigstens 2 Bordellbesuche leisten können, aber, das Geld mußte ja wieder verspielt werden.
Ich habe mich oft geärgert, daß ich einen schlecht bezahlten Beruf hatte, einen mieselaunigen Kollegen, fluchende Fahrer, gereizte Kunden, und einen cholerischen Chef. Erst als ich spielfrei wurde, (1990) habe ich mich überhaupt mal getraut, nach einer Gehaltserhöhung nachzufragen. .  Vorher habe ich mir so oft eingeredet, daß ich den "gerechten Lohn" durch meine zu erwartenden Spielgewinne ausgleichen könnte. Immerhin habe ich meine - unbezahlten - Überstunden in der Art und Weise abgearbeitet, daß ich morgns eine Stunde später kam, weil ich ja noch mein verspieltes Geld "wieder zurück gewinnen wollte". Ihr wisst ja alle, daß das niemals funktioniert! Manchmal gerade an heißen Sommertagen, wenn der Kollege im Urlaub war, und der Chef alles durcheinander brachte, habe ich 10 - 11 Stunden, oft ohne Paus überhitzt im Büro gesessen, und bin anschließend "zur Entspannung" in die Spielhalle gefahren, nochmal 5 Stunden der Rotation durch und durch. Ich habe immer - das Spielen als wesentlich anstrengender erlebt, als den stressigsten Arbeistag!

Nur durch die Gnade Gottes bin ich Heute frei vom selbstzerstörerischen Glücksspiel.

Gestern war ich in der Selbsthilfegruppe. Ich wollte einfach einmal nur in aller Ruhe über eine neue Demut nachdenken. Bitte versteht, daß ich das Erlebte nicht aufschreiben darf und kann, das Gruppengeheimnis. Nur dieser eine Satz sei mir erlaubt, daß ich ihn niederschreiben darf:

Ich brauche für Liebe nichts zu leisten.

und

Ich brauche nicht perfekt zu sein,
und - ich nehme mich an,
in meiner Stärke.


Ich kann viele Passagen aus Goethes Faust , und ich kann Schillers Ballade "die Bürgschaft" auswendig, aber diese o.g. Worte auszusprechen, ich habe gebrüllt, ich habe Rotz und Wasser geheult, es wollte nicht gelingen,

ja es stimmt Olli,

smash the mirror!
See me, feel me, touch me, heal me


Ich habe viele haltende und heilende Hände entgegengestreckt bekommen, und ich ich habe dadurch eine stabile Kraft gefunden, die stärker ist, als meine aggessive Ablehnung gegen das Leben.

Der Erste Schritt der Anonymen Spieler (GA) sagt mir ja:

"ES GEHT AUCH EINFACH"

Danke für das Teilen
Andreas


« Letzte Änderung: 31 Juli 2019, 19:28:18 von andreasg »
Demut ist die anhaltende Ruhe im Herzen

 

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