Hallo zusammen,
freue mich, diesen Thread hier gefunden zu haben und möchte meine Geschichte teilen.
Zunächst bin ich familiär vorbelastet, mein Vater hat mir Termingeschäften Haus und Hof verzockt. Ich selbst habe als Berufsanfänger am neuen Markt und mit ein paar Zertifikaten ein halbes Jahresgehalt verloren, das war ärgerlich - hat mich aber davon abgehalten, mich wieder an der Börse zu engagieren. Bis ich 2017 das Gefühl hatte, auf eine wichtige Anlageform zu verzichten. Habe also Aktien gekauft und Hebelzertifikate auf Rohstoffe. Vor allem letzteres lief sehr gut, und aus meinem Depot mit 20 k Euro, die ich wirklich übrig hatte und als "Spielgeld" eingezahlt hatte, waren 40 k geworden. Einen wesentlichen Anteil daran hatte ein Shorttrade auf Rohöl, und Ende 2017 ergab sich wieder eine ähnliche Situation. Ich habe mich schon auf einen neuen Verdoppler meines Depots gefreut... aber innerhalb eines Monates waren nicht nur die 20 k Gewinn weg, sondern auch die 20 k Einsatz. Ironischerweise hätte es tatsächlich den Verdoppler gegeben, wenn ich nicht so extrem ins Risiko gegangen wäre und zwei Monate längeren Atem gehabt hätte. Aber so: Frust, Geld weg, und erst mal wieder Pause.
Im Frühjahr 2018 war ich zwischen zwei Jobs, hatte also viel Zeit und habe mir noch einmal 20 k Kapital gegönnt. Ich war wesentlich besonnener, was Risiko angeht. Dafür bin ich süchtig nach dem Checken von Kursen und meines Depotstandes geworden. Bei der Arbeit, beim Essen, auf dem Klo... immer wieder habe ich geschaut, wie mein Depot stand. War es etwas höher, habe ich mich gefreut bzw. mich geärgert, wenn es etwas niedriger Stand. Auf Tagessicht hat sich meist wenig getan, es kam mir einfach auf diese kleine Gefühlskicks an. Vor allem habe ich also exzessiv meinen Kontostand gecheckt, gar nicht so viel getraded - so hat das Geld immerhin ein halbes Jahr gehalten.
Und wieder habe ich 10 k nachgeschossen, Ende 2018. Sicher auch in der Hoffnung, die Verluste wieder reinzuholen. Aber vor allem, weil den Stand eines fast leeren Depots zu checken keinen Kick verschafft. Weil ich den Verlust keinesfalls über eh schon schlimme 50 k ausweiten wollte, bin ich noch einmal besonnener geworden und so etwas wie „aktives Anlegen mit Zertifikaten“ praktiziert – und so aus den 10 k über drei Jahre tatsächlich 40 k gemacht; den Verlust der ersten Jahre also fast wieder reingeholt.
Das ist natürlich erfreulich, mein Problem sind also weniger ausufernde Verluste. Sondern: Durchschnittlich habe ich wahrscheinlich drei Stunden am Tag damit verbracht, Kurse und Depotstände zu checken. Seit 3,5 Jahren, bei 200 Handelstagen im Jahr sind das rund 2.000 Stunden. Ich weiß es gut verstehen, aber die so für Beruf und Privatleben fehlende Zeit hat mir sehr viel Stress eingebracht. Und dieses Checken wäre in keinster Weise nötig gewesen wären, um den Gewinn zu erzielen; dafür hätte weit unter eine Stunde am Tag gereicht. Das ständige Nachschauen hatte eher den gegenteiligen Effekt: Je mehr ich am Handy hing, desto mehr habe ich getradet. Und hohe Tradefrequenzen bringen bei mir fast unausweichlich Verluste.
Mich plagen also zwei Süchte: Eine nach dem positiven oder negativen Kick, wenn mein Depot 200 Euro höher oder Tiefer steht. So verliere ich wahnsinnig viel Zeit und Aufmerksamkeit für wichtigere Dinge. Bin mir aber nicht mal sicher, ob das unter Glücksspielsucht fällt.
Zweitens ich verfalle alle paar Monate in einen wahren Tradingrausch. Das fängt meistens so an, dass ich einen ungewöhnlich großen Verlust einstecke. Denn will ich dann ausbügeln, gehe stärker ins Risiko – und natürlich geht das dann auch schief. Am Ende des Tages stehe ich mit -1.000 Euro da, will die am nächsten Tag wieder reinholen; und erziele dann -1.500 zusätzlich. Und so weiter. Genau so lief die letzte Woche, ich habe rund 6.000 Euro Verlust eingefahren. Mehr als die Hälfte meines Gewinnes seit Jahresbeginn, „für den“ (Ironie beabsichtigt) ich 300 Stunden Kurse gecheckt habe. Einfach weg, ich einer Woche.
Das inzwischen nachhaltig profitable aktive Anlegen würde ich also gerne beibehalten. Aber ich würde mich gerne von den Süchten lösen, dem ständigen Checken und dem manischem Traden, dem ich immer mal wieder verfalle. Ersteres geht massiv auf meine Lebensqualität und zweiteres zerstört monatelange Mühe in kürzester Zeit.
Sehe mich zu diesem zweiten Aspekt also weniger wie den Alkoholiker, immer mal wieder ein Bier trinken will. Sondern mehr wie den Essgestörten, der was essen muss und das den größten Zeil der Zeit auch vernünftig tut. Aber alle paar Monate zügellose Fressattacken hat.
Jetzt bin erst einmal gespannt auf Eure Eindrücke und Ansichten dazu, sofern sich jemand äußern mag.