Hallo Alle,
ich hatte mich vor ein paar Tagen angemeldet. Auslöser war, dass meine Tochter gerade ihren Master bestanden hatte, also ihre Verteidigung hatte. Sie hat mit 1,5 abgeschlossen. Ich hab darüber nachgedacht, dass sie das geschafft hat, obwohl sie es zeitweise gar nicht leicht, nein – sicher sehr schwer hatte – auch mit mir.
Schließlich war ich alleinerziehend, ihr Erzeuger hat viel Unruhe bei ihr (und mir) ausgelöst, starb vor ca. 2 Jahren plötzlich und unerwartet, gerade kurz nach meiner Reha im Anschluss an meine Krebserkrankung, und ich habe über lange Zeit gezockt. Das war der Anlass, hier hineinzugucken – aus ‚Erinnerung‘ an diese Zeit. Ich raffe mal lieber:
Darüber kann ich berichten:
Mein Elternhaus war … sagen wir … irritierend. Ich denke, beide Elternteile waren psychisch krank, ich hatte 3 ältere Brüder, war das einzige Mädchen. Es gab Gewalt, die ging über meine Eltern weiter über die Kinder, die beiden Ältesten sind/waren (weiß nicht, weil ich schon lange keinen Kontakt mehr hab zu ihnen, vllt. leben sie gar nicht mehr) ‚kriminell‘, mein jüngster Bruder hat sich selbst getötet (er war u. a. spielsüchtig), mein ältester hatte mich über Jahre als Kind missbraucht. Ein Grundthema zwischen unseren Eltern war: es war nie genug Geld da. Meine Mutter war bekennende Nazi (‚früher hätte man Euch (uns Kinder) mit dem Viehwagen abgeholt, ins Arbeitslager gesteckt … Ihr habt das Leben nicht verdient …)‘ so was halt. Ich bin 1960 geboren, da waren die Eltern schon 42 und 46 Jahre alt.
Als ich 16 war, mein Vater war schon seit 6 Jahren an Krebs verstorben, wurde meiner Mutter die Vormundschaft über mich entzogen. Auch lange Geschichte, aber … jedenfalls bin ich frisch volljährig aus der Kleinstadt in eine Großstadt gezogen, hab dann meine 12. Klasse FOS Sozialarbeit abgebrochen, mit 21 geheiratet, war mit 26 geschieden. Mein Exmann war Alki und Spieler, kam aus HH und nahm mich mit, ich war 18, ins Spielcasino in HH … und dann nahm alles so seinen Gang. Ich hatte ‚Glück‘ und gewann, war seine ‚Glücksfee‘ und machte ihn damit sichtlich glücklich. Damals lebte ich noch von Halbwaisenrente, Bafög und Kindergeld – und von ihm, er war Bankkaufmann u. verdiente gut.
So kam es also, dass ich nach Schulabbruch alternativ zum Sozialen eine Ausbildung als Fremdsprachensekretärin abschloss, denn ich wollte nie abhängig sein. Nie in Geldnot wie meine Eltern, nie jemanden anbetteln. Einen Job bekam ich ‚sofort‘.
Mit dem Alkohol kam ich nie klar, hab mich geekelt mit der Zeit vor meinem Mann und seinem Geruch und so, deshalb die Scheidung. Sie war in beiderseitigem Einvernehmen, gewalttätig war er nie.
Der nächste Mann war auch Spieler. Schnell wurde ich auch Spielerin.
Wohl gefühlt hab ich mich damit nicht lange, ein Kredit löste den anderen ab, dennoch hab ich meine Freiheit genossen nach der nächsten Trennung, hab sie aber auch mit Spielen genossen: Glücksspiel, Automaten. Schließlich hatte ich selbst verdient, war niemandem Rechenschaft schuldig. Die Bank war immer bereit, umzuschulden. Leichtes Leben … luxuriös, mit Geld so umgehen zu können, bei dieser Herkunft!
Das wurde mit der Zeit immer intensiver. Vllt erinnert Ihr Euch an die Zeit, in der die Spielhallen noch 24 h aufhatten? Ich habe vor der Schwangerschaft sehr oft die Frühschicht 2 x während eines Aufenthalts gesehen. Selbst in der Spielhalle sagte mir – heute finde ich das schon echt erschütternd, aber auch lieb, besorgt … das Personal: DU passt hier doch eigentlich gar nicht rein. ‚pfff‘ – dachte ich damals, ihr wollt wohl bloß nicht, dass ich gewinne … so ‚krank‘ war ich. Ich bin nach so einer Session werktags noch arbeiten gegangen. Geld musste ja rein, merken durfte niemand was.
Als ich in einer der nächsten Beziehungen … insgesamt waren mehrere Spieler dabei und ich hatte viele Beziehungen – schwanger wurde, war ich sofort 8 Jahre spielfrei.
Das war toll, aber danach:
Jede große Stress-Situation war anschließend ein Anlass, spielen zu gehen.
Mit dem Erzeuger meines Kindes, der damals wollte, dass ich abtreibe, hatte ich knapp 6 Jahre später doch noch mal so was wie Familie versucht - das war ein Fehler gewesen.
Nach den 8 Jahren jedenfalls hatte ich wieder einen ‚Partner‘ (der sich später als Alki herausstellte) auf der Arbeit kennengelernt. Ich hatte dadurch meine AZ reduziert, er wollte das so, damit es mir gut ginge … und ich fand mich wieder in einer nicht zu überwindenden Situation. Also: Spielothek, das war, was ich kannte, um Zeit zu verbringen, ihn nicht so lange zu ertragen. Bevor wir zusammengezogen waren, musste ich ‚beichten‘, denn eines Nachts kam ich nicht nach Hause, war spielen, absolut pleite, aber er dachte, ich ginge fremd. Spielen fand er gar nicht schlimm – er hatte davon keine Ahnung.
Insgesamt habe ich die 1. Therapie abgebrochen, dann 1 Kurzzeittherapie gehabt, 1 lange Psychoanalyse, mehrere Psychiatrieaufenthalte wegen Suizidversuch und -gedanken, letzteres jeweils nach den immer wieder gelebten Rückfällen. Ich wusste, ich kann mir selbst nicht mehr vertrauen. Ach ja, und beim letzten Psy-Aufenthalt supergerne einen Betreuer für meine Finanzen angenommen – für ca. 2 Jahre. Er legte mir dann nahe, das doch wieder selbst zu übernehmen, weil ich so einsichtig sei und keine Rückfälle mehr seien. Er hatte sich damals getäuscht: jeder Euro, den ich woanders einsparen konnte, floss doch weiter in Automaten. In meiner ganzen Spielerinnenlaufbahn komme ich sicher auf 100.000 Verlust mit Mietschulden und allem Drum und Dran, was an Nebenstress wohl fast jede/r kennt.
Wenn ich wohnungslose Menschen unter einer Brücke hab schlafen sehen, dachte ich immer: Das kann auch Dir passieren, vielleicht schon bald … Ich hatte immer Angst vor diesem Sucht-Anteil in mir und doch konnte ich nicht davon lassen. Ich empfand mich als 'ferngesteuert'.
Ich war froh, es waren ein paar Tausende gespart in der Zeit der Betreuung, ich wollte aufhören und mich an diesem Puffer erfreuen.
Das ging nicht, ich sah nur immer zu, dass meine Tochter alles hat. Dennoch kam durch einen Zufall raus, dass ich spielte, und meine Tochter war unter Schock, würde ich sagen … sie war in der Pubertät und eh schwierig. Ich floh wieder in die Spielos. Ich schämte mich und konnte mit meiner Tochter nicht darüber sprechen.
Eines der letzten Male, die ich spielen war, war gleich nach einer Chemo. Ich malte mir aus, ich trink da nur nen Kaffee, mir war schwindlig … naja, wenn das nicht ginge, wollte ich höchstens 10,-- verspielen. Ich gewann ca. 700 Euro, wollte zur Toilette (auch im Sitzen war mir schwindlig), mir kaltes Wasser über die Arme laufen lassen gegen den Schwindel, aber ich brach vor der Toilettentür zusammen.
Ja, eine andere Spielerin half mir. Ich ließ mir das Geld auszahlen und ging ein wenig später, einen Krankenwagen wollte ich nicht … wie peinlich wäre das denn? … nach Hause.
Nach der OP kam eine Kur. Nach der Kur erinnere ich mich noch an 2 Rückfälle. Dann war für mich erst klar: Ich weiß ja gar nicht, wie lange ich noch habe …
Und jetzt: ich spare nun schon einige Jahre für eine hoffentlich noch zu erreichende Rente und dafür, dass meine Tochter keine Kosten hat für mich später. Das fällt mir total leicht, hätte ich nie gedacht. Es juckt mich nicht mehr. 500 kann ich pro Monat zur Seite legen. Ich brauch gar nicht viel, kein Haus und Garten, keinen Luxus. Ich hab gut Taschengeld, alles ist bezahlt. Und – ich will keine Beziehung mehr und fühle mich damit auch wohl. Durch die Zeit der Betreuung hab ich dann doch eines gelernt: gut mit Geld umzugehen.
Danke für’s Lesen, falls Ihr durchgehalten habt 😊
Ich wünsche jedem und jeder, dass Eure Spielerlebnisse nicht sooo lange andauern.
Zusatz:
Achso: ich habe ohne jeglichen Schuldenerlass alles abgezahlt, der schlimmste Aufschlag war durch die Inkasso-Firma. Letztlich bin ich stolz, nein, es war für mich richtig, den harten Weg gegangen zu sein. Ich bin froh, nicht selbst geklaut oder sonstwie kriminell geworden zu sein und damit noch mehr Schuld auf mich geladen zu haben.
Wie sagte meine Analytikerin: Sie werden so lange Schulden haben, wie sie Schuldgefühle haben.
Mögen Eure Spielerlebnisse nicht sooo lange andauern.
Ich sehe das heute so: Spielen ist aufregend, ja ... Gewinnen bedeutet Euphorie, ja ... Spieler sind keine schlechten Menschen, aber Menschen, die sich absolut verrannt haben (und das eigentlich auch immer wissen!)
Und: mit gelebter Spielsucht bestiehlt sich jede/r selbst, die seelische Gesundheit ist stark gefährdet, mit den engen Beziehungen spielt man Russisch Roulette und im Innersten wird niemand nie, aber auch wirklich niemals, Ruhe oder sogar Glück oder Zufriedenheit finden.
Das soll keine moralische Predigt sein.
Ich wünsche jedem Menschen, der damit kämpft, den Gewinn der Einsicht.
Danke für’s Lesen, falls Ihr durchgehalten habt 😊
Ich wünsche Euch alles Gute.
Viele Grüße, Rubbel