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Ungeheuerlicher Vorgang

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Offline Ilona

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Ungeheuerlicher Vorgang
« am: 09 Juli 2008, 11:36:29 »
Liebe Forumsleser,

diesen Artikel müsst ihr lesen! Mir hat es fast die Sprache verschlagen wie hier mit einem gewählten Volksvertreter umgegangen wird, der sich gegen die ansiedlung einer spielhalle ausgesprochen hat. Und dabei hat der Mann Recht: Bis zu 80% aller Glücksspielsüchtigen, die eine Beratungsstelle, eine Selbsthilfegruppe oder eine Fachklinik aufsuchen sind abhängig von Geldspielautomaten wie sie in Spielhallen und Gaststätten aufgestellt sind. Diese Geräte stellen das suchtrelevanteste Glücksspiel dar und gerhören ganz, ganz dringend reguliert.

Interessant auch, dass ein Ratsmitglied Gersellschafter der Firma ist.

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Pfullendorf
Firma Extra-Games verklagt Stadtrat

VON SIEGFRIED VOLK

Heute wird vor dem Amtsgericht Sigmaringen die Unterlassungsklage der Firma Extra-Games Entertainment gegen Stadtrat Michael Zoller öffentlich verhandelt. In dem zivilrechtlichen Prozess fordert das Unternehmen vom Gemeinderat bestimmte Äußerungen, die einen Zusammenhang zwischen Extra-Games und Spielsucht herstellen könnten, zu unterlassen. Nach Informationen des SÜDKURIER beträgt das angedrohte Ordnungsgeld 250000 Euro.
 
Extra-Games-Entertainment betreibt deutschlandweit rund 100 Spielcenter mit Unterhaltungsgeräten, wobei Geldspielgeräte den umsatzstärksten Produktbereich bilden, wie die Firma in ihrem Internetauftritt mitteilt . 
dpa 
Pfullendorf - Die zivilrechtliche Klage, die vor Amtsrichter Wolfgang Wenzel heute in Sigmaringen verhandelt wird, birgt auch kommunalpolitischen Sprengstoff. Als Beklagter ist Michael Zoller vorgeladen, der seit 1999 für die CDU im Pfullendorfer Stadtrat sitzt und aus seiner kritischen Haltung gegenüber der Spielautomatenbranche nie einen Hehl gemacht hat. So war er der Einzige, der am 20. Dezember 2007, als im Stadtrat über den Antrag der Firma Extra-Games-Entertainment über den Bau eines dreigeschossigen Verwaltungsgebäudes im Industriegebiet "Theuerbach" entschieden wurde, mit "Nein" votierte. (der SÜDKURIER berichtete). Er hatte, gemäß Paragraf 25 der Gemeindeordnung, nach der Abstimmung eine persönliche Erklärung abgegeben, worin er den in seinen Augen "unmoralischen und schädlichen Wirtschaftszweig" des Unternehmens anprangerte. Für ihn sei der wachsende Spielhallenmarkt mitverantwortlich für die steigende Spielsucht, bezeichnete er es als Aufgabe des Gemeinderates die Bürger vor solchen Entwicklungen zu schützen. Mit diesen grundsätzlichen Äußerungen begründete damals Zoller seine ablehnende Haltung gegenüber dem Bauantrag von Extra-Games.

Nachdem die übrigen Mitglieder des Gemeinderats das Gesuch bewilligt hatten, wollte Martin Restle, Geschäftsführer der Extra-Games-Entertainment, dem Gremium das Unternehmen vorstellen. "Ist das jetzt eine Werbeveranstaltung?", hatte Michael Zoller daraufhin unüberhörbar gezürnt und da keiner seiner Ratskollegen Widerspruch einlegte, verließ Restle kurzerhand mit drei weiteren Geschäftsführungsmitgliedern den Sitzungssaal. Den Ratstisch verlassen musste zuvor Stadtrat Anton Siegle, der bei Extra-Games als Gesellschafter und Mitglied des Beirates tätig ist.

"Zwei Jahre Ordnungshaft"

Warum sich der engagierte Stadtrat heute Vormittag ab 9.30 Uhr wegen seiner damaligen Äußerungen vor Richter Wenzel verantworten muss ist unklar. Nach Paragraf 32 der Gemeindeordnung entscheidet ein Gemeinderat im Rahmen der Gesetze nach seiner freien, nur durch das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung. Das Medieninteresse an dieser Auseinandersetzung dürfte groß sein, denn es geht auch um das Recht von Mandatsträgern auf freie Meinungsäußerung. Für CDU-Stadtrat Michael Zoller geht es neben dieser Grundsatzdebatte möglicherweise auch um viel Geld. Nach Informationen des SÜDKURIER beträgt das angedrohte Ordnungsgeld 250000 Euro oder ersatzweise zwei Jahre Ordnungshaft.
 

Unterlassungsklage

ist der Antrag auf eine gerichtliche Entscheidung, mit der der Kläger eine künftige Beeinträchtigung oder drohende Störung abwenden will. Der Unterlassungsklage geht oftmals eine formale Aufforderung voraus, ein bestimmtes Verhalten künftig zu unterlassen (Abmahnung). Ansonsten droht eine so genannte Vertragsstrafe. Die Abmahnung ist die formale Aufforderung einer Person an eine andere Person, ein bestimmtes Verhalten künftig zu unterlassen. In der Regel muss zur Erhebung einer Unterlassungsklage bereits eine Rechtsverletzung eingetreten sein und eine Wiederholung drohen. Nur unter sehr engen Voraussetzungen kann auch eine so genannte vorbeugende Unterlassungsklage erhoben werden, wenn noch keine Rechtsverletzung eingetreten ist und diese zum ersten Mal droht.

 


Südkurier 08.07.2008 02:00
http://www.suedkurier.de/region/pfullendorf/art2869,3305209,0
« Letzte Änderung: 09 Juli 2008, 14:03:58 von Ilona »

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Offline Chris

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Re: Ungeheuerlicher Vorgang
« Antwort #1 am: 09 Juli 2008, 12:22:37 »
Ja, das ist schon herbe !
Bleibt das Gerichtsurteil abzuwarten.

Wenn dem stattgegeben wird, und der Stadtrat dann künftig nicht mehr gegen die Firma stimmen darf, ist die Demokratie am Ende. Aber in Bayern ticken die Uhren ja oft anders.

Ich bin also auf das Ergebnis gespannt.


Gruß

Chris

Sollte jeder im Falle des Falles einen Breif mit nen 10er an den Stadtrat schicken ?
Ist wie immer, nur meine ganz private Meinung....

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Offline Mike

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Re: Ungeheuerlicher Vorgang
« Antwort #2 am: 09 Juli 2008, 13:22:27 »
Hi Ilona,

ja, schon ein starkes Stück. Bin aber guter Hoffnung, dass der Richter die Klage als unbegründet zurückweist.

Letztendlich hat der Beklagte doch nur seine Meinung geäußert. Das in vielen Fällen die Glücksspielsucht zur Beschaffungskriminalität liegt doch eindeutig auf der Hand u. kann nicht ernsthaft bestritten werden.

Mich würde mal interessieren ob das Ratsmitglied, Gesellschafter der Firma, von seinem Stimmrecht überhaupt gebrauch gemacht hat u. wenn, ob das zulässig ist.

Die Methoden der Glücksspielindustrie u. deren Befürworter erinnern mich sehr stark an M-Methoden. In diesem Fall kann man nur auf das Gericht hoffen.

Ganz wichtig ist, weiterhin darum zu kämpfen, dass Spielhallen die gleichen Auflagen wie ein Casino erfüllen müssen. Einlaßkontrollen, Möglichkeit zur Selbstsperre, Werbeverbot u.s.w....

Zur Zeit läuft das aber in die falsche Richtung.

Immer mehr Spielhallen, immer längere Öffnungszeiten, nicht zugelassene Automaten, höhere Einsätze in kürzer Zeit, Kundenbindung u. Gewinnung durch "Sonderaktionen"....

Bin mir auch am überlegen ob ich einen Spielhallenbetreiber aus der Region verklage. Bereits zu meiner aktiven Zeit standen dort die sogenannten "Fun-Geräte". Stammgästen wurden u. werden damit so richtig schön abgezockt. Bei einem Einsatz von 2,50 Euro pro Spiel werden schnell mal 1.000,--Euro umgesetzt.

Wo kein Kläger, da kein Richter.

Liebe Grüsse

Mike

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Offline Ilona

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Re: Ungeheuerlicher Vorgang
« Antwort #3 am: 13 Juli 2008, 11:56:23 »
Hallo,

es gibt jetzt ein Urteil in dem Fall. Zum Glück gibt es die Gerichte. Und zum Glück gibt es auch Politiker, die solche Auseinandersetzungen nicht scheuen.

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Gericht wertet Meinungsfreiheit höher

Abgewiesen - wie erwartet - hat Richter Wolfgang Wenzel vom Amtsgericht Sigmaringen am Freitag die Unterlassungsklage der Pfullendorfer Firma "Extra Games-Entertainment GmbH" gegen den Pfullendorfer Stadtrat Michael Zoller. Das Glücksspielunternehmen muss außerdem die Kosten des Gerichtsverfahrens tragen.

PFULLENDORF (sz) In seiner Urteilsbegründung kommt Richter Wolfgang Wenzel zum Schluss, dass "die den Gegenstand von Aufgeregtheiten bildenden tatsächlichen oder angeblichen Äußerungen des Beklagten die juristische ,Harmlosigkeitsschwelle' in keinem Fall überschreiten, und zwar (...) unabhängig davon, ob dieselben von einer beachtlichen Zahl von Personen gebilligt werden." Wenzel schreibt ferner: "Unabhängig davon, ob es sich dabei (wie aber wohl nicht) um Außenseitermeinungen handelte, und die maßgeblichen Erwägungen rational nachvollziehbar (,vertretbar') sind, genössen auch von anderen für unnütz und wertlos gehaltene Äußerungen nach Inhalt und Form den Schutz des Artikels 5 des Grundgesetzes." Wenzel wird an anderer Stelle sogar noch deutlicher: "Wenn der Beklagte (Michael Zoller, Anm. d. Red.) es als ethisch nicht vertretbar - also unmoralisch - ansieht, eine auf Gewinnerzielung gerichtete gewerbliche Tätigkeit auszuüben, welche - bekanntermaßen - die beschriebenen Folgen (Spielsucht, Anm. d. Red.) zeitigt, ist es ohne weiteres vertretbar, ja auf der Grundlage der von dem Beklagten eingenommenen Meinung nur logisch-konsequent, von einem ,unmoralischen Wirtschaftszweig' zu sprechen." Der Richter meinte zudem zu Zollers Vorwurf der Schädlichkeit: "Es müsste zumindest vertretbar erscheinen, das Entstehen von Spielsucht per se und das Abgleiten jedes Einzelnen in die Spielsucht als Verlust und damit schädlich (für sich, seine Angehörigen, seine Umgebung usw.) anzusehen". Ferner findet Richter Wenzel: "Dass Spielsucht in mehr oder weniger vielen Einzelfällen Beschaffungskriminalität nach sich zieht, liegt im übrigen aber doch wohl so offensichtlich auf der Hand, dass es nicht ernsthaft bestritten werden kann. So gesehen erwiese sich eine Behauptung, die Klägerin (die Firma "Extra Games-Entertainment GmbH", Anm. d. Red.), setzte eine Ursache für und ,fördere' damit Spielsucht und Beschaffungskriminalität, sogar letztlich als wahr, und ist damit weder einer Unterlassungs- noch einem Widerrufsanspruch zugänglich."

Martin Restle, Geschäftsführer der Pfullendorfer Firma "Extra Games-Entertainment GmbH", zeigte sich gestern im Gespräch mit der "Schwäbischen Zeitung" enttäuscht über die Gerichtsentscheidung. "Ich habe nur mein Recht wahrgenommen. Von der Gegenseite wurde dies immer so ausgelegt, als ob wir gegen eine freie Meinungsäußerung wären", sagte Restle. Es könne aber nicht angehen, dass nun Beschäftigte der Firma in Pfullendorf öffentlich angegangen, "verbal attackiert" werden. Nicht zuletzt deshalb sehe die "Extra Games-Entertainment GmbH" von jeder weiteren juristischen Auseinandersetzung ab.

"Glücklich und froh"

"Ich bin zufrieden mit dieser Gerichtsentscheidung", fasste Michael Zoller gestern gegenüber der "Schwäbischen Zeitung" seine Gemütslage nach Richter Wenzels Entscheidung zusammen. "Ich bin glücklich und froh, dass es zu einem guten Ende geführt hat und dass die Anschuldigungen, die gegen mich erhoben wurden, nun vom Tisch sind." Zoller sah in der Urteilsbegründung eine "Stärkung der Position des Gemeinderates in Sachen ,Meinungsfreiheit'." Zoller meinte: "Dies müsste uns eigentlich zusammenschweißen."

http://www.szon.de/lokales/pfullendorf/pfullendorf/200807120254.html
12.07.2008
« Letzte Änderung: 13 Juli 2008, 12:00:40 von Ilona »

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Offline Ilona

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Re: Ungeheuerlicher Vorgang
« Antwort #4 am: 16 Juli 2008, 18:28:51 »
Hallo,

hier zur Info auch noch ein Interview mit dem CDU Vorsitzenden von Pfullendorf:

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"Alles andere hätte mich sehr erschreckt"Nachgefragt

PFULLENDORF - Morgen wird das Urteil vor dem Amtsgericht Pfullendorf in Sachen "Extra Games Entertainment" gegen Stadtrat Michael Zoller (CDU) verkündet. Die Klage wird vermutlich abgeschmettert - was den CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Roland Brucker zufriedenstellen würde, wie er im Interview mit SZ-Redakteur Volker Knab sagte.

SZ: Was sagen Sie zum Verhandlungsverlauf "Extra Games Entertainment" gegen Stadtrat Michael Zoller? Die Unterlassungsklage gegen Zoller wird wohl heute in erster Instanz abgeschmettert.

Roland Brucker: Etwas anderes habe ich auch gar nicht erwartet. Alles andere hätte mich auch sehr erschreckt. Denn das hätte die Grundsätze unserer Demokratie erschüttert, wenn ein gewählter Gemeinderat im Gremium nicht mehr seine Meinung sagen darf. Schön wäre es gewesen, wenn die sich schon vorher geeinigt hätten.

 

SZ: Ist das Klima im Gemeinderat jetzt vergiftet? Schließlich saß Stadtrat Anton Siegle als Mitglied der Geschäftführung von "Extra Games" ja auf der Klägerseite.

Brucker: Wir werden am Montag in der Fraktion noch einmal darüber sprechen. Wir sind alle auf der Seite Zollers, wollten das Thema aber nicht groß in den Wind hängen. Wir wussten ja bereits länger, dass Klage geführt werden soll. Aber ich glaube nicht, dass dadurch das Klima im Gemeinderat vergiftet ist.

Schwäbische Zeitung online  11.07.2008)
http://www.szon.de/lokales/pfullendorf/pfullendorf/200807110385.html

 

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