Hi Dennis,
vieles von dem was du schreibst, erkenne ich bei mir wieder. Ich habe mich vor etwa einem halben Jahr "geoutet" und auch mich plagt die Angst vor möglichen rechtlichen Konsequenzen. Das Thema kam bei mir erst auf, nachdem ich mich zu der Abhängigkeit bekannt habe, aber es überkommt mich auch immer mal wieder. Ich nehme an, du hast viel in einem anderen Forum gelesen (dem grünen?), in dem viele Geschichten kursieren, von Schreiben der Polizei über Hausdurchsuchungen bis zum Einzug von allen jemals ausgezahlten Gewinnen auf Bankkonten, selbst nachdem das Gericht das Verfahren schon eingestellt hat... Das weckt Angst, ich kenne das.
Aber: Zum einen gehen die allermeisten dieser Fälle bislang wirklich glimpflich aus. Das heißt, meistens werden die Verfahren, wenn es überhaupt dazu kommt, eingestellt, ohne dass es irgendwelche Folgen hat. Zudem gibt es auch ganz viele Fälle, in denen Konten geschlossen werden, ohne dass es überhaupt ein Nachspiel hat. Und auch wenn etwas kommt und es wirklich bis zur Staatsanwaltschaft geht, kannst du dann immer noch mit einem Anwalt dafür sorgen, dass sich die Konsequenzen in Grenzen halten. Bevor das richtig kritisch wird, müsste schon sehr viel zusammenkommen. Vor allem gilt: Das alles sind zum jetzigen Zeitpunkt theoretische Probleme.
Das reale Problem, das du aber jetzt schon hast, ist dass du höchstwahrscheinlich spielsüchtig bist und es deiner Frau (und allen anderen wichtigen Menschen) gegenüber verheimlichst. Und auch hier sehe ich Parallelen zu mir selbst: Ich wollte mein Problem unter allen Umständen für mich behalten und es alleine lösen. Auch, wenn es wie eine Ausrede klingt: Ich wollte niemanden mit meinem Problem belasten. Es ist aber egal, ob dieses "Argument" zählt oder nicht - es hat einfach dazu geführt, dass mir der Ausstieg unmöglich wurde.
Du beschreibst die Kündigung der Bank als Weckruf. Einen solchen hatte ich vor mittlerweile sieben Monaten auch, wenngleich meiner etwas anders ablief. Dennoch führte es dazu, dass ich zunächst mit einem Kumpel über mein Problem sprach und dann, einige Zeit später, auch mit meiner Frau. Die Überwindung dazu kam trotz diverser Pläne ganz plötzlich und spontan. Vielleicht ein etwas komischer Vergleich, aber es war in etwa so, wie mein erster Sprung vom 5-Meter-Turm als Kind im Schwimmbad: Ich war schon diverse male den Turm hoch- und wieder heruntergeklettert und dann irgendwann, ganz plötzlich, bin ich hoch und ohne nach unten zu blicken einfach losgelaufen und gesprungen.
Ganz ehrlich: Es war furchtbar und unsere Beziehung leidet bis heute darunter. Aber wichtig ist das, was Olli schon sagte. Nicht die "Beichte" hat dazu geführt, sondern das Verhalten, dass ich davor an den Tag gelegt und mit dieser Beichte abgeschlossen habe. Ich habe den Vertrauensbruch an diesem Tag beendet. Und eine Sache, von der sehr viele berichten, habe auch ich erfahren: Es ist eine massive Last von meinen Schultern gefallen. Das ist wirklich spürbar. Sicherlich unfair ist das Gefühl, dass ich meiner Frau gleichzeitig eine massive Last aufgebürdet habe, die sie nicht verdient hat. Aber sie ist nun mal da, der Schaden ist angerichtet. Und ein Punkt ist dabei ganz wichtig: Wir sind süchtig. Das heißt, ohne Hilfe kommen wir da nicht raus und es wird unweigerlich der Zeitpunkt kommen, an dem die Bombe platzt. Vielleicht, wenn doch der Brief von der Polizei kommt und deine Frau ihn aus dem Briefkasten fischt. Oder der Brief kommt nicht, aber dafür wird der Suchtdruck stärker und du findest einen Weg, ohne Banktransfers Ein- und Auszahlungen abzuwickeln. Dass das geht, wissen wir beide, aber der Effekt ist der gleiche: Geld weg, Verschuldung, etc.
Sei froh, dass du da noch nicht bist. Und wie schlimm das "Outing" jetzt auch werden mag: Es ist so viel mehr wert, wenn du dich von dir aus geöffnet hast und um Hilfe bittest, als wenn es aus dem Zwang der Umstände heraus oder gar ohne dein Zutun geschieht. Am Anfang wird dieser Gedanke im "Schock" vielleicht untergehen, aber die Eigeninitiative ist auf jeden Fall etwas, dass man dir zugute halten wird und was auch auf dein Selbstwertgefühl einzahlt.
Die letzten Monate waren für mich unglaublich intensiv. Ich habe gelernt, abstinent zu sein und hoffentlich zu bleiben und vor allem habe ich viel über mich gelernt. Die Sucht ist nur ein Symptom gewesen, für einiges, was es noch aufzudecken gibt. Es ist ein langer Weg. Ich bin dieses riesige Problem mit viel Unterstützung angegangen. Wenn man sich öffnet, stellt man fest, dass man viel Hilfe kriegen kann. Im Geheimen ist diese Hilfe aber nur sehr schwer in Anspruch zu nehmen. Das erste Mal im Online-Meeting war ich heimlich im Auto. Zu Hause habe ich erzählt, ich wäre bei dem eben erwähnten Kumpel. Das Zocken habe ich immer einfach verschwiegen, aber das Meeting war ein fixer Termin zur Abendbrotzeit - da musste ich aktiv lügen. Obwohl es für einen guten Zweck war, war es ein ekliges Gefühl. Jetzt steht der Termin im geteilten Familienkalender.
Du machst auf mich den Eindruck, als könntest auch du mit dem schlechten Gewissen nicht gut leben, wer kann das schon. Und wenn da dieser Gedanke an dir nagt, weil du deine Sucht vielleicht weiterhin dauerhaft verschweigst, dann bleibt das aus diversen Gründen gefährlich. Unter anderem, weil solch schlechte Gedanken (zumindest bei mir) immer auch ein Trigger zum Spielen geblieben sind. Ich persönlich habe jetzt endlich ein reines Gewissen mit meinem aktuellen Ich, wenngleich aus der Vergangenheit noch vieles im Argen liegt. Aber die Unterstützung von außen hilft mir dabei, dass ich an mir arbeite, und das fühlt sich gut an und wird in meinem Fall nach vielen dunklen Wochen auch langsam gesehen und anerkannt.
Ein Hinweis noch zum Schluss: In meinem Fall war es äußerst hilfreich, dass ich außer meiner Frau, die ganz direkt betroffen war, auch gleich zu Beginn noch andere nahestehende Menschen informiert habe, die mich verstanden haben und mir als Ansprechpersonen zur Seite stehen, aber nicht so direkt involviert sind. Einfach jemand, über den man auch mal über die Begleiterscheinungen sprechen kann; zum Beispiel die abstrakte Angst vor den rechtlichen Folgen, aber auch die vielleicht unerwarteten und möglicherweise manchmal als unfair wahrgenommenen Reaktionen der Partnerin. Und falls es so jemanden nicht gibt, findest du hier ja genug, die das Thema gut kennen

Viele Grüße
Harry