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Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"

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Gestern - beziehungsweise heute Nacht - nach einem langen Casino-Abend hab ich es getan: die Selbstsperre veranlasst. Und bin mit einem unglaublichen Gefühl der Erleichterung aus dem Casino Baden-Baden geschlendert.

Etwas paralysiert von meinem Verlust des Abends traf ich eine impulsive Entscheidung - ähnlich meinem Setzverhalten noch wenige Minuten zuvor - ging zur Saalleitung, wie ich mich denn sperren lassen könne... die Dame an der Rezeption war nicht nur attraktiv, sondern auch überaus freundlich und informierte mich über die Konsequenzen einer Selbstsperre. Fast etwas mütterlich sagte sie noch "Alles Gute", nachdem ich alles durchgelesen und unterschrieben hatte. Ich bedankte mich mit einem leichten Augenzwinkern und einem Schmunzeln im Gesicht. Das war ein schöner Moment, etwas emotional. Hab mich schon zu Hause gefühlt in Baden-Baden, so oft war ich am Ende da.
Ich habe mich richtig gut gefühlt - auch wenn ich wusste, ich werde von jetzt an auf etwas, das mir unglaublich Spaß macht und schöne (wie auch ungute) Momente beschert hat, verzichten. Während der Autofahrt habe ich etwas geweint, in Dankbarkeit dafür, dass ich die Entscheidung getroffen habe, und von nun an meiner liebevollen Freundin mehr Aufmerksamkeit schenken werde. Einfach Dankbarkeit für alles was ich habe... man könnte sagen NOCH HABE wegen dieses Schritts.

Es fing vor 8 Jahren an. Ich war 21. Vermutlich unterscheidet sich mein "Eintritt" in die Welt des Spielens und die Faszination, die damit verbunden ist, von der klassischen Geschichte des Spielsüchtigen, der am Automaten in der Halle einen kleinen (oder auch großen) Gewinn erzielt hat und davon euphorisiert wird.
Es war damals in meinem Heimatort, ich hatte Semesterferien und bin mit einem alten Schulfreund in die Spielbank. Es war meine Idee, ich war einfach neugierig (Dostojewskis "Der Spieler" hatte ich da schon gelesen, war also etwas vorbereitet...). Ich hab mir sagen lassen, die Spielbank ist nicht mehr, was sie mal war - bezüglich des Angebots im klassischen Spiel... trotzdem war ich gleich überwältigt von dem Anblick: Ein gut gekleideter Croupier, das durch die Fenster einfallende Abendlicht (die Fenster sind inzwischen hässlich zugedeckt) auf den grünen Roulette-Tisch... der Anblick von Samt, Gold, Möbiliar, Eleganz und Jetons war toll... ich hatte schon immer ein Faible für Ästhetisches... dem entgegengesetzt war der einzige Spieler am Roulettetisch... ein bisschen verranzt, spielte ein System, bei dem er pro Runde 70€ setzte und im Gewinnfall 2€ gewann - er setzte alle Zahlen, außer die, die grade fiel - und erzählte dem Croupier, wie "mathematisch unwahrscheinlich" das ist, dass die nochmal kommt. Leider kam an dem Abend 3x jeweils die selbe Zahl in Folge :D ich wusste damals schon, dass es kein "Gewinnsystem" gibt und kannte den Bankvorteil für die Setzmöglichkeiten im klassischen Spiel. Ich schaute viel zu, gewann ein paar Euro - und wusste, ich will Croupier werden... der Umgang mit den Jetons, diese Fingerfertigkeit und Technik hat mich genauso fasziniert wie die Eleganz. Ich wollte das lernen... inzwischen arbeite ich hin und wieder nebenher als auftragnehmender Croupier für diverse Mobile Casinos auf Veranstaltungen, da wird nicht um Geld gespielt. Die Tätigkeit macht mir sehr viel Spaß... die Leute zu unterhalten, während sie BlackJack (lernen und) spielen.

Ich bin immer wieder mal selbst ins "richtige" Casino gegangen, phasenweise auch regelmäßig. Dann war aber immer mal bis zu einem Jahr Pause, wenn meine Gewinnsträhne vorbei war. Es war schon ein gutes Gefühl, als in der zweiten Woche einer "Spielphase" ein offizieller Aufseher im Saal war, sich mein Spiel angeschaut hat - nachdem sich in dem kleinen Haus mit wenigen Croupiers wohl rumgesprochen hatte, dass ich für circa 10 Tage jeden Tag mit Gewinn nach Hause bin, manchmal nach 15 Minuten, manchmal nach 2h. Das waren immer so 50-300€ plus (meist ca. 100€), natürlich viel Geld für einen Studenten. An meinem Handling der Jetons ist den Croupiers auch nicht entgangen, dass ich vom Fach bin.
An manchen Tagen war auch ein junger absolut ungeeigneter (ungeschickter) Croupier im Haus (wie gesagt eine kleine Spielbank, in Baden-Baden zb kommt das nicht vor), der das Tempo noch nicht mitgehen konnte im 1:1... ich war meist allein am BJ, hab mehrere Boxen mit sehr unterschiedlichen Einsatzhöhen und vor allem schnell gespielt... ihm sind dann paar Fehler unterlaufen (Karte zu schnell aufgedeckt etc), das hat das Spiel mitunter relativ "fair" gemacht, da ich schon immer Perfect Basic Strategy gespielt habe und somit der Bankvorteil per se relativ klein ist beim BJ - ganz ohne Cheating wie Kartenzählen, das ja in deutschen Casinos sowieso nicht möglich ist, da es hier überall die "Shuffling Machine" gibt. Die Entscheidung, ob ich eine Karte ziehe oder bleibe bzw. splitte/dopple treffe ich also immer sofort (ich kenne die PBS auswendig), nie "intuitiv". Natürlich war mir bewusst, dass man damit auf Dauer NICHT profitabel sein kann. Aber selbstverständlich ist es cool, immer wieder Glück zu haben, Geld zu gewinnen und sich zu freuen, wenn man es geschafft hat, ein gutes Timing hinzulegen - bei einem frühen Gewinn rauszugehen statt diesen wieder zu verzocken. Timing sowie Akzeptanz dafür, dass man mal Pech hat (Limit setzen bzw. nicht nachkaufen) waren meine obersten Prioritäten. Ich hatte mein Kapital immer als Wellenbewegung angesehen und habe oft auszahlen lassen, wenn ich einige gute Runden hatte.
Meist endeten diese Spielphasen, wenn ich eben mein Limit erreicht hatte (das waren in Studentenzeiten 350€) und dementsprechend mit 350€ minus nach Hause bin. Dann hatte ich keinen Bock mehr für eine Weile.

Dieses Jahr hat mich wieder die Lust auf den Casino-Geruch, das Klappern der Jetons, und die gemütliche Geselligkeit gelockt, bin mit Freunden ins Casino Baden-Baden, habe gewonnen. In den darauffolgenden Monaten bin ich immer öfter gegangen - allein. Die Fahrt ins Casino, die Vorfreude, die Feierabendstimmung, ich habe es geliebt, mich schick zu machen und im Casino meine "Türmchen" zu bauen. Architektonische Meisterwerke am BJ-Tisch. Immer mehrere koffeinfreie Cappuccini bestellt, wenn mir sehr heiß war durch die hohen Einsätze gern auch alkoholfreies Pils... die Bedienung kannte mich und meine exklusiven Wünsche meist schon :D Auch die Momente mit anderen (Stamm-)Spielern und den Croupiers sind unvergesslich - wie auch Unterhaltungen mit Menschen aus verschiedensten Ländern, zuletzt Amerikaner, mit denen man sich gut zb über die unterschiedliche Spielkultur von Vegas und unseren seriöseren deutschen Casinos unterhalten konnte. Nebenbei hunderte von Euro gewinnen, leckeren Milchschaum an einem schön designten Tisch zu schlürfen (ich liebe BJ-Tische und die Jetons in BW-Spielbanken), die Eleganz der Situation auszukosten, das war schon geil. Und natürlich kommt man öfters, wenn man mehrere Tage hintereinander nicht jeweils 100-300€, sondern 1.000-3.000€ gewinnt (PLUS macht). Zuletzt innerhalb von zwei glücklichen Wochen mit aggressiven Setzstrategien (Verdopplungen der Einsätze etc) habe ich so in etwa 15.000€ gewonnen. Ein bisschen wie Sex. Und einfach ein Gefühl von Leichtigkeit.

Und dann innerhalb von vier Spielbank-Besuchen, auch in einem anderen Casino wegen beruflicher und privater Reisen (allein schon die Tatsache, dass man ein Casino unbedingt besuchen will, nur weil man in der Stadt ist ::)), gleich mal 9.000€ wieder verloren. Und dann hab ich das getan, womit der Text hier anfängt. Einfach so. Cappuccino fertig geschlürft, den netten Mann mit Krawatte gesehen und dann war's vollbracht. Dafür bin ich mir dankbar, dass ich bereit bin, zwar viele dumme, aber auch gute Entscheidungen einfach zu TREFFEN statt zu prokrastinieren. Risiken einzugehen. Und dennoch versuchen zu reflektieren, was gerade abgeht. Das hilft mir auch in meiner Selbständigkeit immens, auf die ich mich nun mehr konzentrieren möchte. Genauso wie auf meine Gesundheit und Fitness. Das kam alles bisschen kurz im Spielrausch😆

Zuhause hab ich nochmal in meiner Truhe geschaut, was sich durch die letzten Wochen angesammelt hatte... ich hatte für die letzten unguten Besuche da ja reingreifen müssen, weil sich mein Portemoinnee jeweils geleert hat - nachdem ich zuvor über Wochen teilweise täglich nach dem Casino 200er-Scheine aus meinem Portemoinnee genommen habe, weil es so prall war... naja gut, hab mir einmal auch mit dem Kauf schicker Anzüge & Co. für über 2.000€ abgeholfen, da ging dann auch was weg... richtiger Konsumrausch 8) aber macht sich gut im Casino, vor allem bei einem Schnösel wie mir...

Ich habe zuletzt schonmal ein Prinzip gebrochen, Geld abgehoben direkt im Casino, das war ein Warnschuss - bin zum Glück nie über eine gewisse Grenze gegangen, da ich mich mit weniger als 5k auf meinem Privatkonto "unsicher" fühle...  :-\
Und ja, was soll ich sagen..es ist einfach pervers, mit vierstelligem Betrag reinzugehen, vierstellig nachzukaufen und mit Monatsgehältern anderer rauszugehen oder diese "mit Leichtigkeit" und ohne große Emotion in 15 Minuten zu verspielen...
Es war eine (EDIT: IN MEINER FATALEN WAHRNEHMUNG) geile Zeit - und ich möchte damit abschließen, da ich gesehen habe, was für ein immer mehr setzendes Monster sich in mir auftut. Ist ja ein klassischer Kreislauf - Verlorenes zurückgewinnen, sobald man mal in Einsatzhöhen kommt, die die eigene dem Lebensstandard angemessene "Bankroll" übersteigen.

Warum habe ich mich hier umgeschaut und vor allem warum das hier geschrieben? Um für mich selbst diese Faszination zu reflektieren - und letztenendes zu realisieren, dass ich nicht mit Spielschulden enden möchte... und dass ich vor allem noch viel mehr zu verlieren hätte als Geld. Um dieses Kapitel abzuschließen.
Wer öfters in Baden-Baden verkehrt, hat vermutlich auch ein Gesicht zu diesem Text. Ich war oft da... und habe die Stammspieler bewundert, die stundenlang Minimum spielen können beim BlackJack, rauf und runter, so als Zeitvertreib. 5€ reizen einen schnell nicht mehr, wenn man mal 500 gesetzt hat...naja, manchmal hab ich aber auf der Box direkt davor mit 5€ gespielt, um diese "Entscheidung" ausukosten (die 5 sind "egal", es geht nur um die 500) oder einen Raunen auszulösen, wenn ich bei 20 noch eine Karte nehme und mir dann die Ass rausziehe... die ich dann auf der 500er-Box gebraucht hätte :D
Auch die ganzen Abergläubischen werde ich vermissen, die nur mit einer bestimmten bespielten Box-Anzahl ihr "Geschäft" machen können und einen anfauchen, wenn man einsteigt oder eine in ihren Augen "falsche" Entscheidung bei einem Glücksspiel trifft. Tja, es gibt so viele Aspekte bei dem ganzen, die einen verleiten, immer wieder zu kommen... damit ist jetzt Schluss :)

Bin gespannt auf eure Kommentare.
Maryll

EDIT: In diesem Text werden Casinos und Glücksspiel romantisiert. Das ist die Schilderung meiner Sucht.
« Letzte Änderung: 14 Oktober 2024, 00:29:37 von Maryll »

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Offline Rubbel

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Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #1 am: 13 Oktober 2024, 16:56:28 »
Hallo und
vielen Dank für Deine detaillierten Einblicke in die Baden-Badener Zocker-Tristesse. Und die erlebten 'Abenteuer'.
Und nun? Möchtest Du ein Buch darüber schreiben?

Ich wünsche Dir natürlich eine glückliche spielfreie Lebenszeit.

Gruß R
--Meist ist Geist geil--

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #2 am: 13 Oktober 2024, 17:09:17 »
Also, ich lese hier noch immer regelmäßig, da es mir hilft meine Sucht zu verarbeiten. Eine Sucht, unter der ich seit 2010 leide. Dein Text hilft mir hierbei nicht- im Gegenteil. Das ist natürlich alleine mein Problem. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass es auch anderen so ergehen könnte. Wenn Dein Text ernst gemeint ist und nicht aus der Feder eines Geschichtenerzählers stammt- dann kann ich Dir nur sagen: Du wirst nach Deiner Sperre wieder spielen und wieder spielen und schlussendlich alles verlieren. Denn anders als früher kannst Du deine Sperre einfach wieder aufheben lassen. Da helfen Dir auch keine Limits und keine Strategien. Denn Du romantisierst mit jedem Satz die Spielbank und Blackjack als was Wunderbares.

Beste Grüße

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Offline Olli

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Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #3 am: 13 Oktober 2024, 17:45:44 »
Hi und willkommen!

Ich habe gerade mal mittendrin aufgehört zu lesen. Meine inneren Augen brauchen eine Erhohlungspause, denn beim Lesen habe ich mir Deine Augen vorgestellt. Sie strahlten heller als die Sonne ... jedes für sich.
Wenn die Verbrennungen abgeheilt sind, geht es weiter ... :)

Soviel kann ich Dir schon mal sagen ... Du hast eine Menge an Arbeit vor Dir! Wenn Du das nicht lesen magst, das sind die Sonnenwinde ... :)

Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

*

Offline Olli

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Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #4 am: 13 Oktober 2024, 18:00:20 »
Sonntags in Deutschland, fast 18 Uhr, die Augen tränen ...

Zitat
Um für mich selbst diese Faszination zu reflektieren - und letztenendes zu realisieren, dass ich nicht mit Spielschulden enden möchte... und dass ich vor allem noch viel mehr zu verlieren hätte als Geld.

Reflektieren? Ich kann ja nicht hinter Deine Stirn schauen, doch Dein Beitrag erinnert mich eher an Glorifizierungen. So "predigen" konnte damals mein Priester und ich empfand das in den Messen, dem Religionsunterricht und den Vorbereitungen zur ersten heiligen Kommunion eher als Propagandaveranstaltungen ... und ich war da erst 8 Jahre jung.

Doch das Glorofizieren und das Nostalgieren ist mir natürlich nicht unbekannt. Auch heute noch flackern noch Gedanken an "die guten alten Zeiten" auf, die aus einer anderen Perspektive betrachtet, alles andere als das waren.

Ich habe meine Jugend und darüber hinaus, 20 Jahre lang, in dunklen Spielhallen verbracht. Ich habe dadurch viele Möglichkeiten verpasst. Was ist das "mehr" von dem Du sprichst es verloren zu haben?
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #5 am: 13 Oktober 2024, 21:05:43 »
Zitat
Reflektieren? Ich kann ja nicht hinter Deine Stirn schauen, doch Dein Beitrag erinnert mich eher an Glorifizierungen. So "predigen" konnte damals mein Priester und ich empfand das in den Messen, dem Religionsunterricht und den Vorbereitungen zur ersten heiligen Kommunion eher als Propagandaveranstaltungen ... und ich war da erst 8 Jahre jung.

Doch das Glorofizieren und das Nostalgieren ist mir natürlich nicht unbekannt. Auch heute noch flackern noch Gedanken an "die guten alten Zeiten" auf, die aus einer anderen Perspektive betrachtet, alles andere als das waren.

Ich habe meine Jugend und darüber hinaus, 20 Jahre lang, in dunklen Spielhallen verbracht. Ich habe dadurch viele Möglichkeiten verpasst. Was ist das "mehr" von dem Du sprichst es verloren zu haben?

Das habe ich zum Glück nicht, Zeit in dunklen Spielhallen verbracht... oder mit Online-Casinos... überhaupt kein Bedürfnis in der Hinsicht... es hat mich immer ins "Helle" gezogen... für mich ist der gesellschaftliche und ästhetische Aspekt, die Anwesenheit der Croupiers, der Spieltisch und das physische Spiel selbst ein ganz großer Aspekt dessen, was mich süchtig gemacht hat. Deshalb bin ich auch nicht mehr in das Casino in meiner Heimatstadt, dort wurde seit meinem ersten Besuch nämlich ordentlich "abgebaut" - viel abgedunkelter und verrauchter als vorher, nur noch ein Roulette-Tisch und halt ein bisschen verranzt. Beim letzten Besuch reingegangen und gleich wieder raus nach paar Sekunden, da vergeht mir die Lust zu spielen. Spielo geht gar nicht für mich.

Zu der Frage, was ich verloren habe - ich meinte, wenn ich weiter machen WÜRDE, KÖNNTE ich sehr wohl Spielschulden aufbauen bei den Einsatzhöhen. Und das kann sich auf die Partnerschaft, das soziale Umfeld, meine berufliche Tätigkeit auswirken. Das möchte ich nicht. Deshalb wollte ich mir selbst "den Riegel vorschieben".
Ansonsten sicherlich Lebenszeit...ich mache viel Sport draußen, insbesondere im Sommer... das kam kürzer als sonst - abgesehen von einer mehrwöchigen Reise mit einem Freund. Auch da - in der Nacht vor dem Flug - hab ich mich von der Stadt unseres Abflugs mit dem Taxi in das nächste Casino fahren lassen und gezockt. Sowohl die Frequenz meiner Spielbankbesuche wie auch mein Setzverhalten lassen keinen Zweifel an einer Sucht, das ist klar.

Was "die guten alten Zeiten" angeht - mir ist bewusst, dass mein legerer Umgang mit hunderten von Euro zu "spielen" problematisch ist - genauso wie die allgemeine Freude beim Spielbank-Besuch.
Es hat mir schlichtweg Spaß gemacht, was ja eben fatal ist: Ich habe es aus dieser glorifizierenden Perspektive geschildert, weil das GENAU SO meine perverse Wahrnehmung in den Momenten war, der ich mich stellen möchte.
Mir war immer bewusst, dass ich mit Feuer spiele - selbst wenn ich "gewonnenes" Geld wiedereinsetze. Das ist ja die Crux, von der ich erzähle. Aufhören wenn es am "Schönsten" ist. Und wie schwer das ist. Jeder Croupier kennt das. 90% der Leute gehen erst, wenn (so ziemlich) alles weg ist. Und dass ich mich natürlich ärgere, erst die Reißleine gezogen zu haben, als ein Großteil des Gewonnenen wieder in der Lage des Croupiers war...
« Letzte Änderung: 13 Oktober 2024, 21:11:30 von Maryll »

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #6 am: 13 Oktober 2024, 21:19:57 »
Also, ich lese hier noch immer regelmäßig, da es mir hilft meine Sucht zu verarbeiten. Eine Sucht, unter der ich seit 2010 leide. Dein Text hilft mir hierbei nicht- im Gegenteil. Das ist natürlich alleine mein Problem. Ich kann mir jedoch vorstellen, dass es auch anderen so ergehen könnte. Wenn Dein Text ernst gemeint ist und nicht aus der Feder eines Geschichtenerzählers stammt- dann kann ich Dir nur sagen: Du wirst nach Deiner Sperre wieder spielen und wieder spielen und schlussendlich alles verlieren. Denn anders als früher kannst Du deine Sperre einfach wieder aufheben lassen. Da helfen Dir auch keine Limits und keine Strategien. Denn Du romantisierst mit jedem Satz die Spielbank und Blackjack als was Wunderbares.

Beste Grüße

Ich verstehe, dass das nicht hilfreich ist bei der Suchtverarbeitung - ich habe es ja aus der Sicht eines Süchtigen geschildert und versucht festzuhalten, was mich immer wieder dorthin gelockt hat.
Insofern ist mein Text mit Vorsicht zu genießen. Etwas, das ich absolut nicht gemacht habe - mit Vorsicht genießen. Man könnte es auch als Genusssucht bezeichnen, was ich zelebriert habe.

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #7 am: 13 Oktober 2024, 21:24:42 »
Gewinners letzter Satz trifft den Punkt!
Ich bin kein Anwalt sondern gebe nur meine eigene Meinung wieder

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #8 am: 13 Oktober 2024, 21:28:03 »
Hallo und
vielen Dank für Deine detaillierten Einblicke in die Baden-Badener Zocker-Tristesse. Und die erlebten 'Abenteuer'.
Und nun? Möchtest Du ein Buch darüber schreiben?

Ich wünsche Dir natürlich eine glückliche spielfreie Lebenszeit.

Gruß R

Dankeschön! Nein, das hier hat mir gereicht. Zocker-Tristesse trifft es im Nachhinein betrachtet nämlich ziemlich gut...
Viele Grüße von Maryll

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #9 am: 13 Oktober 2024, 21:41:25 »
Hallo Maryll,

es gelingt sehr wenigen dieser "faszinierenden Welt" ohne zuvor erlittenen Totalschaden Lebewohl zu sagen. Und nach dem Lesen deines Beitrages habe ich die Befürchtung, das war`s noch nicht. Da kommt noch was...

Alles Gute für dich

Wolfgang
"Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht"
(Theodor Heuss)

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Offline Rubbel

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Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #10 am: 13 Oktober 2024, 23:28:57 »
Ich kenne diese staatlichen Spielcasinos nur aus den späten 80ern, und ich kann bestätigen, dass auch ich wie gefangen war von einer knisternden Atmosphäre. Wow - das klang nach Niveau, ein paar Worte französisch, Männer in Anzügen, Frauen in schicken Kleidern. Ich auch mit engem Rock und Bluse und Pumps und so - mit einem Kumpel, mit dem mein Ex-Mann, mein Nachbar und ich auch nächtelang bei uns zu Hause Doppelkopf und teils Bridge gespielt haben.
Dieser Kumpel meinte, er macht das große Geld beim Black Jack.
Den Anzug hat er sich geliehen. Die Krawatte: geliehen. Die Schuhe waren seine - daran hätte erkennbar werden können, ist es sicher auch ... Und ich denke mal, das traf auf viel mehr als 50 % der Leute dort zu: Wie ein Maskenball. Sehen, gesehen werden, Show (ich hab Geld und kann mir das leisten) ... naja, die späten 80er ... tja, zum Glück war ich da nur 2 oder 3x drin. Ich fand mich eh deplatziert dort. Hab wahllos mal Roulette gespielt (just Dostojewski gelesen *lach*). Baccara wurde an den Tischen für die 'betuchten' Damen gespielt. Alle Getränke waren völlig überteuert. Rauchen allerorts und die 'richtigen Kerle' auch Zigarren, wenn ich mich recht erinnere.
Naja. Raus sind wir immer als Pleitegeier. Nur 'schick' :)))
« Letzte Änderung: 13 Oktober 2024, 23:42:23 von Rubbel »
--Meist ist Geist geil--

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #11 am: 14 Oktober 2024, 21:47:49 »
es gelingt sehr wenigen dieser "faszinierenden Welt" ohne zuvor erlittenen Totalschaden Lebewohl zu sagen. Und nach dem Lesen deines Beitrages habe ich die Befürchtung, das war`s noch nicht. Da kommt noch was...

Danke für die ehrliche Einschätzung der Lage... natürlich muss ich mich jetzt damit auseinandersetzen... in jedem Fall bekomme ich beim Stöbern in diesem Forum eine Menge Szenarien vorgehalten, die ich niemals selbst durchleben möchte! Das bestärkt mich in meiner Entscheidung, die ich getroffen habe. Mit meinem Beitrag in diesem Forum (wie auch mit der Oasis-Sperre) möchte ich auch für mich selbst eine Verbindlichkeit herstellen - als Anker sozusagen.

Mit dem Hintergrund der Geschichten, die ich hier nun gelesen habe, verspüre ich aktuell kein Verlangen, irgendetwas zu gewinnen geschweige denn "zurück" zu gewinnen; dem gesellschaftlichen Aspekt bzw dem Gefühl, physisch im Casino zu sein, werde ich aber vermutlich etwas nachtrauern bzw nostalgieren wie Olli gesagt hat... lustigerweise hat mich gerade heute ein Freund, mit dem ich vor ein paar Wochen im Casino war, ob wir spontan nach Baden-Baden fahren. Ich habe dankend abgelehnt - in dem Moment nicht den Mut gehabt, anzusprechen, was vorgefallen ist - aber eine Distanz zu dem Thema "im Casino spielen" verspürt...
Ich glaube, mir hilft es gerade, eine Routine zu haben... Dinge zu tun... zu tun zu haben, mich mehr mit meiner Freundin auseinanderzusetzen, an den nächsten Urlaub zu denken etc... wieder zu "leben"... habe mir gerade ein richtig gutes Essen gegönnt - mit anderen Worten: ich finde schon Wege, mein Geld konsumorientiert "sinnvoll" auszugeben und anderen Genüssen, Völlereien (und natürlich der Wollust) zu frönen... zB mit einem leckeren Dinner... zu schade nur, dass meine Freundin auf Fast Food steht :'(  :D

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #12 am: 14 Oktober 2024, 22:06:06 »
Ich kenne diese staatlichen Spielcasinos nur aus den späten 80ern, und ich kann bestätigen, dass auch ich wie gefangen war von einer knisternden Atmosphäre. Wow - das klang nach Niveau, ein paar Worte französisch, Männer in Anzügen, Frauen in schicken Kleidern. Ich auch mit engem Rock und Bluse und Pumps und so - mit einem Kumpel, mit dem mein Ex-Mann, mein Nachbar und ich auch nächtelang bei uns zu Hause Doppelkopf und teils Bridge gespielt haben.
[...]
Naja. Raus sind wir immer als Pleitegeier. Nur 'schick' :)))

Ohja, die knisternde Atmosphäre und die schicken Kleider  :) :) naja zum Glück gibt es das ja auch an anderen Orten... und Kartenspiele (die in meiner Familie schon immer sehr hohen Stellenwert hatten) kann man auch woanders spielen...ohne Geldeinsatz... ich werde Wege finden, die Aspekte, die mich am Casino-Treiben gesellschaftlich faszinieren, ohne potenziell fatale Folgen in mein Leben zu integrieren.

Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #13 am: 14 Oktober 2024, 22:08:55 »
Hallo Maryll,

schön das du siehst, was rechts und links der Strecke alles möglich ist. Und auch gut, das Angebot des Freundes abzulehnen. Leben ist eben mehr als Zocken. Ich habe das leider erst sehr spät erkannt.

Alles Gute

Wolfgang
"Nur wer weiß, woher er kommt, weiß, wohin er geht"
(Theodor Heuss)

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Offline andreasg

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Re: Eine faszinierende Welt - meine Geschichte "Vom Croupier zum Spieler"
« Antwort #14 am: 24 Oktober 2024, 00:22:03 »
Hallo Maryli,

ich war im Winter 2008/2009 in einer Spychosomatischen Klinik. Ich weiß es noch, ein Mitpatient erzählte, er sei im Ort gewesen, weil er eine Email in einem Internetcafe schreiben wollte, aber dort standen Geldspielautomaten. Wir haben uns abends hingesetzt, und wir haben über das Thema Spielsucht gesprochen. Er, der Mitpatient hat sich das so gewünscht, und wir hatten in dieser Zeit Freundschaft miteinander geschlossen. Später kam noch ein junger Patient dazu. An dem ist mir aufgefallen, daß er ein Pairing mit einer bildhübschen Mitpatientin hatte, was nicht im Verborgenen blieb, aber geeignet war, zum Therapieabbruch zu führen. Jener Mitpatient hat dann einmal expliziet vom Spielgeschehen in Baden - Baden erzählt, Dein Beitrag erinnert mich geradezu an das Gespräch von damals, weil auch in seiner Schilderung ein Leuchten in den Augen zu erkennen war. Ja, ich lese hier ja nur, aber ich erkenne dieses Aufleuchten an die Art und Weise Deines besonderen Schreibstils, Damals in der Klinik war ich ein wenig neidisch, das Alleinsen, die Einsamkeit, mein Dauerstreß, den ich mir ja als Süchtiger permanent auferlege, wenn ich nicht achtsam bin, eben um die Einsamkeit zu überspielen.

Das Lied vom Mädchen, am zugefrohrenen See, ich habe es gehasst, nicht weil es Norddeutsch war, sondern weil mir das Mädchen so sehr fehlte. Die besungenen "35 Riesen" ja, das war Spielgeld, so wie Du es auch siehst.

Schreiben ist ein gutes Werkzeug, seine Gedanken und Gefühle zu äußern. Damals - in der Klinik habe ich mir erlaubt, meine Nagationen aufzuschreiben, und diese am 23. Dezember auf den Blättern, auf denen diese standen auf "dem Kraftplatz" einen spirituellen Ort, zu verbrennen. Das passte zum Sonnenwendfest, auch wenn wir nächten Tag Heilig Abend gefeiert haben. Aber das Negative liegt näher, als der verspielte Wohlstand, die verspielte Genialität, die verspielte Hoffnung.
Meine letzten Spielstätten lagen zuletzt in den Kellereschossen im Rotlichtviertel, so war ich der ersehnten Hölle viel näher gerückt. Als ich kapitulieren konnte, hatte ich eine Vision der Hoffnung, die sich tatsächlich erfüllte, eine Auslandsreise, zum Neuentdecken. Ach ja Weihnachten. In der Klinik habe ich ein Weihnachtsgeschenk beommen: eine Mitpatientin hat mir einen Gutschein geschenkt, mit dem sie mir ein Märchen erzählen wollte. Wir haben uns später in einen Therapieraum gesetzt, und sie hat mir Märchen erzählt, eines nach den anderen. Es war fast so erotisch, wie 1001 Nacht...

schöne 24 Stunden
Andreas
Demut ist die anhaltende Ruhe im Herzen

 

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