Gestern - beziehungsweise heute Nacht - nach einem langen Casino-Abend hab ich es getan: die Selbstsperre veranlasst. Und bin mit einem unglaublichen Gefühl der Erleichterung aus dem Casino Baden-Baden geschlendert.
Etwas paralysiert von meinem Verlust des Abends traf ich eine impulsive Entscheidung - ähnlich meinem Setzverhalten noch wenige Minuten zuvor - ging zur Saalleitung, wie ich mich denn sperren lassen könne... die Dame an der Rezeption war nicht nur attraktiv, sondern auch überaus freundlich und informierte mich über die Konsequenzen einer Selbstsperre. Fast etwas mütterlich sagte sie noch "Alles Gute", nachdem ich alles durchgelesen und unterschrieben hatte. Ich bedankte mich mit einem leichten Augenzwinkern und einem Schmunzeln im Gesicht. Das war ein schöner Moment, etwas emotional. Hab mich schon zu Hause gefühlt in Baden-Baden, so oft war ich am Ende da.
Ich habe mich richtig gut gefühlt - auch wenn ich wusste, ich werde von jetzt an auf etwas, das mir unglaublich Spaß macht und schöne (wie auch ungute) Momente beschert hat, verzichten. Während der Autofahrt habe ich etwas geweint, in Dankbarkeit dafür, dass ich die Entscheidung getroffen habe, und von nun an meiner liebevollen Freundin mehr Aufmerksamkeit schenken werde. Einfach Dankbarkeit für alles was ich habe... man könnte sagen NOCH HABE wegen dieses Schritts.
Es fing vor 8 Jahren an. Ich war 21. Vermutlich unterscheidet sich mein "Eintritt" in die Welt des Spielens und die Faszination, die damit verbunden ist, von der klassischen Geschichte des Spielsüchtigen, der am Automaten in der Halle einen kleinen (oder auch großen) Gewinn erzielt hat und davon euphorisiert wird.
Es war damals in meinem Heimatort, ich hatte Semesterferien und bin mit einem alten Schulfreund in die Spielbank. Es war meine Idee, ich war einfach neugierig (Dostojewskis "Der Spieler" hatte ich da schon gelesen, war also etwas vorbereitet...). Ich hab mir sagen lassen, die Spielbank ist nicht mehr, was sie mal war - bezüglich des Angebots im klassischen Spiel... trotzdem war ich gleich überwältigt von dem Anblick: Ein gut gekleideter Croupier, das durch die Fenster einfallende Abendlicht (die Fenster sind inzwischen hässlich zugedeckt) auf den grünen Roulette-Tisch... der Anblick von Samt, Gold, Möbiliar, Eleganz und Jetons war toll... ich hatte schon immer ein Faible für Ästhetisches... dem entgegengesetzt war der einzige Spieler am Roulettetisch... ein bisschen verranzt, spielte ein System, bei dem er pro Runde 70€ setzte und im Gewinnfall 2€ gewann - er setzte alle Zahlen, außer die, die grade fiel - und erzählte dem Croupier, wie "mathematisch unwahrscheinlich" das ist, dass die nochmal kommt. Leider kam an dem Abend 3x jeweils die selbe Zahl in Folge
ich wusste damals schon, dass es kein "Gewinnsystem" gibt und kannte den Bankvorteil für die Setzmöglichkeiten im klassischen Spiel. Ich schaute viel zu, gewann ein paar Euro - und wusste, ich will Croupier werden... der Umgang mit den Jetons, diese Fingerfertigkeit und Technik hat mich genauso fasziniert wie die Eleganz. Ich wollte das lernen... inzwischen arbeite ich hin und wieder nebenher als auftragnehmender Croupier für diverse Mobile Casinos auf Veranstaltungen, da wird nicht um Geld gespielt. Die Tätigkeit macht mir sehr viel Spaß... die Leute zu unterhalten, während sie BlackJack (lernen und) spielen.
Ich bin immer wieder mal selbst ins "richtige" Casino gegangen, phasenweise auch regelmäßig. Dann war aber immer mal bis zu einem Jahr Pause, wenn meine Gewinnsträhne vorbei war. Es war schon ein gutes Gefühl, als in der zweiten Woche einer "Spielphase" ein offizieller Aufseher im Saal war, sich mein Spiel angeschaut hat - nachdem sich in dem kleinen Haus mit wenigen Croupiers wohl rumgesprochen hatte, dass ich für circa 10 Tage jeden Tag mit Gewinn nach Hause bin, manchmal nach 15 Minuten, manchmal nach 2h. Das waren immer so 50-300€ plus (meist ca. 100€), natürlich viel Geld für einen Studenten. An meinem Handling der Jetons ist den Croupiers auch nicht entgangen, dass ich vom Fach bin.
An manchen Tagen war auch ein junger absolut ungeeigneter (ungeschickter) Croupier im Haus (wie gesagt eine kleine Spielbank, in Baden-Baden zb kommt das nicht vor), der das Tempo noch nicht mitgehen konnte im 1:1... ich war meist allein am BJ, hab mehrere Boxen mit sehr unterschiedlichen Einsatzhöhen und vor allem schnell gespielt... ihm sind dann paar Fehler unterlaufen (Karte zu schnell aufgedeckt etc), das hat das Spiel mitunter relativ "fair" gemacht, da ich schon immer Perfect Basic Strategy gespielt habe und somit der Bankvorteil per se relativ klein ist beim BJ - ganz ohne Cheating wie Kartenzählen, das ja in deutschen Casinos sowieso nicht möglich ist, da es hier überall die "Shuffling Machine" gibt. Die Entscheidung, ob ich eine Karte ziehe oder bleibe bzw. splitte/dopple treffe ich also immer sofort (ich kenne die PBS auswendig), nie "intuitiv". Natürlich war mir bewusst, dass man damit auf Dauer NICHT profitabel sein kann. Aber selbstverständlich ist es cool, immer wieder Glück zu haben, Geld zu gewinnen und sich zu freuen, wenn man es geschafft hat, ein gutes Timing hinzulegen - bei einem frühen Gewinn rauszugehen statt diesen wieder zu verzocken. Timing sowie Akzeptanz dafür, dass man mal Pech hat (Limit setzen bzw. nicht nachkaufen) waren meine obersten Prioritäten. Ich hatte mein Kapital immer als Wellenbewegung angesehen und habe oft auszahlen lassen, wenn ich einige gute Runden hatte.
Meist endeten diese Spielphasen, wenn ich eben mein Limit erreicht hatte (das waren in Studentenzeiten 350€) und dementsprechend mit 350€ minus nach Hause bin. Dann hatte ich keinen Bock mehr für eine Weile.
Dieses Jahr hat mich wieder die Lust auf den Casino-Geruch, das Klappern der Jetons, und die gemütliche Geselligkeit gelockt, bin mit Freunden ins Casino Baden-Baden, habe gewonnen. In den darauffolgenden Monaten bin ich immer öfter gegangen - allein. Die Fahrt ins Casino, die Vorfreude, die Feierabendstimmung, ich habe es geliebt, mich schick zu machen und im Casino meine "Türmchen" zu bauen. Architektonische Meisterwerke am BJ-Tisch. Immer mehrere koffeinfreie Cappuccini bestellt, wenn mir sehr heiß war durch die hohen Einsätze gern auch alkoholfreies Pils... die Bedienung kannte mich und meine exklusiven Wünsche meist schon
Auch die Momente mit anderen (Stamm-)Spielern und den Croupiers sind unvergesslich - wie auch Unterhaltungen mit Menschen aus verschiedensten Ländern, zuletzt Amerikaner, mit denen man sich gut zb über die unterschiedliche Spielkultur von Vegas und unseren seriöseren deutschen Casinos unterhalten konnte. Nebenbei hunderte von Euro gewinnen, leckeren Milchschaum an einem schön designten Tisch zu schlürfen (ich liebe BJ-Tische und die Jetons in BW-Spielbanken), die Eleganz der Situation auszukosten, das war schon geil. Und natürlich kommt man öfters, wenn man mehrere Tage hintereinander nicht jeweils 100-300€, sondern 1.000-3.000€ gewinnt (PLUS macht). Zuletzt innerhalb von zwei glücklichen Wochen mit aggressiven Setzstrategien (Verdopplungen der Einsätze etc) habe ich so in etwa 15.000€ gewonnen. Ein bisschen wie Sex. Und einfach ein Gefühl von Leichtigkeit.
Und dann innerhalb von vier Spielbank-Besuchen, auch in einem anderen Casino wegen beruflicher und privater Reisen (allein schon die Tatsache, dass man ein Casino unbedingt besuchen will, nur weil man in der Stadt ist
), gleich mal 9.000€ wieder verloren. Und dann hab ich das getan, womit der Text hier anfängt. Einfach so. Cappuccino fertig geschlürft, den netten Mann mit Krawatte gesehen und dann war's vollbracht. Dafür bin ich mir dankbar, dass ich bereit bin, zwar viele dumme, aber auch gute Entscheidungen einfach zu TREFFEN statt zu prokrastinieren. Risiken einzugehen. Und dennoch versuchen zu reflektieren, was gerade abgeht. Das hilft mir auch in meiner Selbständigkeit immens, auf die ich mich nun mehr konzentrieren möchte. Genauso wie auf meine Gesundheit und Fitness. Das kam alles bisschen kurz im Spielrausch😆
Zuhause hab ich nochmal in meiner Truhe geschaut, was sich durch die letzten Wochen angesammelt hatte... ich hatte für die letzten unguten Besuche da ja reingreifen müssen, weil sich mein Portemoinnee jeweils geleert hat - nachdem ich zuvor über Wochen teilweise täglich nach dem Casino 200er-Scheine aus meinem Portemoinnee genommen habe, weil es so prall war... naja gut, hab mir einmal auch mit dem Kauf schicker Anzüge & Co. für über 2.000€ abgeholfen, da ging dann auch was weg... richtiger Konsumrausch
aber macht sich gut im Casino, vor allem bei einem Schnösel wie mir...
Ich habe zuletzt schonmal ein Prinzip gebrochen, Geld abgehoben direkt im Casino, das war ein Warnschuss - bin zum Glück nie über eine gewisse Grenze gegangen, da ich mich mit weniger als 5k auf meinem Privatkonto "unsicher" fühle...
Und ja, was soll ich sagen..es ist einfach pervers, mit vierstelligem Betrag reinzugehen, vierstellig nachzukaufen und mit Monatsgehältern anderer rauszugehen oder diese "mit Leichtigkeit" und ohne große Emotion in 15 Minuten zu verspielen...
Es war eine (EDIT: IN MEINER FATALEN WAHRNEHMUNG) geile Zeit - und ich möchte damit abschließen, da ich gesehen habe, was für ein immer mehr setzendes Monster sich in mir auftut. Ist ja ein klassischer Kreislauf - Verlorenes zurückgewinnen, sobald man mal in Einsatzhöhen kommt, die die eigene dem Lebensstandard angemessene "Bankroll" übersteigen.
Warum habe ich mich hier umgeschaut und vor allem warum das hier geschrieben? Um für mich selbst diese Faszination zu reflektieren - und letztenendes zu realisieren, dass ich nicht mit Spielschulden enden möchte... und dass ich vor allem noch viel mehr zu verlieren hätte als Geld. Um dieses Kapitel abzuschließen.
Wer öfters in Baden-Baden verkehrt, hat vermutlich auch ein Gesicht zu diesem Text. Ich war oft da... und habe die Stammspieler bewundert, die stundenlang Minimum spielen können beim BlackJack, rauf und runter, so als Zeitvertreib. 5€ reizen einen schnell nicht mehr, wenn man mal 500 gesetzt hat...naja, manchmal hab ich aber auf der Box direkt davor mit 5€ gespielt, um diese "Entscheidung" ausukosten (die 5 sind "egal", es geht nur um die 500) oder einen Raunen auszulösen, wenn ich bei 20 noch eine Karte nehme und mir dann die Ass rausziehe... die ich dann auf der 500er-Box gebraucht hätte
Auch die ganzen Abergläubischen werde ich vermissen, die nur mit einer bestimmten bespielten Box-Anzahl ihr "Geschäft" machen können und einen anfauchen, wenn man einsteigt oder eine in ihren Augen "falsche" Entscheidung bei einem Glücksspiel trifft. Tja, es gibt so viele Aspekte bei dem ganzen, die einen verleiten, immer wieder zu kommen... damit ist jetzt Schluss
Bin gespannt auf eure Kommentare.
Maryll
EDIT: In diesem Text werden Casinos und Glücksspiel romantisiert. Das ist die Schilderung meiner Sucht.