Hier der mit Abstand beste Artikel.
Wie ich bereits geschrieben habe, ihr könnt alle entspannt sein. Es sieht weiterhin sehr gut aus!!!
Quelle CLLB gepostet bei LinkedIn
Berlin, München, 25.07.2024.
Am heutigen Donnerstag, den 25.07.2024, hat das höchste deutsche Zivilgericht, der Bundesgerichtshof (BGH), seine Entscheidung über die Klage eines Geschädigten eines großen Online-Sportwettenanbieters verkündet. Es wurde kein Urteil gefällt, sondern das Verfahren dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Klärung europarechtlicher Fragen vorgelegt.
Worum geht es?
Der beklagte Online-Sportwettenanbieter verfügte zum Zeitpunkt des Angebots seiner Online-Sportwetten nicht über eine deutsche Erlaubnis. Der als Kläger am Prozess beteiligte Spieler hat durch die Teilnahme an dem Online-Sportwetten Angebot einen Verlust von mehr als 3.000,00 € erlitten.
Der Online-Sportwettenanbieter hat sich damit verteidigt, dass er eine Lizenz beantragt habe und diese damals nur deshalb nicht erteilt worden sei, weil das vom deutschen Staat durchgeführte Lizenzierungsverfahren europarechtswidrig gewesen sei. Ansonsten hätte sowohl das Verwaltungsgericht Wiesbaden bestätigt, dass die Lizenz zu erteilen sei, als auch die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung der Lizenz vorgelegen.
Dieser Vortrag der Verteidigung ist aus unserer Sicht in mehreren Punkten unrichtig.
1. Der Online-Sportwettenanbieter hat zu keinem Zeitpunkt ein rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden erwirkt. Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden wurde Berufung beim Hessischen Oberverwaltungsgericht eingelegt. Eine für den Sportwettenanbieter positive Entscheidung des Hessischen Oberverwaltungsgerichts ist zu keinem Zeitpunkt ergangen.
2. Der Online-Sportwettenanbieter beruft sich zu seiner Verteidigung darauf, dass ihm auch für den streitgegenständlichen Zeitraum bei europarechtskonformer Ausgestaltung des Erlaubnisverfahrens eine Erlaubnis erteilt worden wäre.
Dabei wird jedoch verschwiegen, dass eine Lizenz für Online-Sportwetten wohl nur dann erteilt worden wäre, wenn sich der Anbieter auch an das damals geltende Recht gehalten hätte.
Das zum Zeitpunkt des Lizenzantrags geltende Recht verbot es Anbietern von Online-Sportwetten:
· Casino- und Online-Sportwetten auf derselben Internetseite anzubieten
· Wetteinsätze von mehr als € 1.000,00 pro Monat anzunehmen
· Wetten auf „Ereignisse“ wie Einwürfe, Eckbälle, Fouls, gelbe Karten, Wetter usw. anzunehmen.
Gegen all diese Vorgaben hat der Online-Sportwettenanbieter, gegen den das Verfahren vor dem Bundesgerichtshof geführt wird, nach unserer Auffassung verstoßen.
Eine Lizenz wäre ihm für den im Verfahren streitgegenstzändlichen Zeitraum deshalb wohl nie erteilt worden.
Das Problem:
Der Bundesgerichtshof darf all diese für den Online-Sportwettenanbieter negativen Tatsachen bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigen.
Warum nicht?
In der deutschen Zivilprozessordnung (ZPO) gibt es strenge Regeln, wann Tatsachen zur Entscheidung vor Gericht gebracht werden müssen. In der Regel ist dies die erste Instanz. Hier: Im Verfahren vor dem Amtsgericht.
Offenbar hat es der klagende Spieler versäumt, das Amtsgericht auf folgende, für die Entscheidung aber wesentliche Punkte hinzuweisen:
1. Fehlender Vortrag dazu, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden nie rechtskräftig geworden ist.
2. Fehlender Vortrag dazu, dass der Online-Sportwettenanbieter rechtswidrig Casino- und Online-Sportwetten auf derselben Internetseite angeboten hat.
3. Fehlender Vortrag dazu, dass der Online-Sportwettenanbieter in rechtswidriger Weise Wetteinsätze in Höhe von mehr als € 1.000,00 pro Monat angenommen hat.
4. Fehlender Vortrag dazu, dass von Seiten des Online-Sportwettenanbieters in gesetzeswidriger Weise Wetten auf „Ereignisse“ wie Einwürfe, Eckbälle, Fouls, gelbe Karten, Wetter etc. angenommen wurden.
5. Fehlender Vortrag dazu, dass dem Online-Sportwettenanbieter aus den vorgenannten Gründen niemals eine Erlaubnis hätte erteilt werden dürfen.
Fehlt der entsprechende Vortrag in den Vorinstanzen (Amtsgericht, Landgericht), kann er vor dem Bundesgerichtshof nicht mehr nachgeholt werden. Der Bundesgerichtshof ist vielmehr an die Feststellungen der Vorinstanzen gebunden.
Trägt der Spieler also nicht vollständig vor, kann dieser fehlende Vortrag später nicht mehr ergänzt werden.
Für welche Fälle ist die Entscheidung relevant?
Das vorgelegte Verfahren hat nach Auffassung von Rechtsanwalt István Cocron von der Kanzlei CLLB Rechtsanwälte nur Bedeutung für Fälle, bei denen alle der folgenden fünf Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Verfahren, die Verluste aus Online-Sportwetten zum Gegenstand haben (also kein Online-Casino-Spiele, Blackjack und Poker),
2. mit Spielzeitraum im Anwendungsbereich des GlüStV 2012 (also keine Relevanz für GlüStV 2021)
3. angeboten durch eine EU-Betreibergesellschaft (also keine Relevanz für Curacao-Betreibergesellschaften, die sich nicht auf die Dienstleistungsfreiheit der EU berufen können),
4. die eine Antragstellerin im Konzessionserteilungsverfahren war,
5. und, die (vermeintlich) alle materiellen Voraussetzungen des GlüStV 2012 erfüllt haben soll (also insbesondere weder gegen das Live-Ereignis-Wettenverbot noch gegen den Einsatz/Einzahlungslimit von € 1.000,00 pro Monat, noch gegen das Trennungsgebot von Casino und Sportwetten, noch gegen das DE-Top-Level-Gebot noch gegen die sonstigen Anforderungen des GlüStV verstoßen hat).
Ein Fall der alle diese fünf Merkmale auf sich vereint dürfte in der Praxis nicht vorkommen.
In so gut wie sämtlichen laufenden Sportwetten-Verfahren haben die Kläger zutreffend vorgetragen, dass die Betreiber gegen die inhaltlichen Voraussetzungen des GlüStV 2012 verstoßen haben. So lag auch der dem Hinweisbeschluss des BGH vom 22. März 2024 – I ZR 88/23 – zugrunde liegende Fall, weswegen der BGH sich dort ausdrücklich nicht zu einer Vorlage an den EuGH veranlasst sah.
In dem ursprünglich amtsgerichtlichen Verfahren, das nach der Berufung vor dem Landgericht nun – ohne von einem OLG überprüft worden zu sein – dem BGH vorliegt, wurde von Klägerseite offensichtlich versäumt, die eigentlich leicht feststellbaren inhaltlichen Verstößen der Beklagten vorzutragen. Ein solcher Vortrag konnte nun im Verfahren vor dem BGH nicht mehr berücksichtigt werden. Der BGH ist an den, in diesem Fall unvollständigen, Prozessstoff gebunden, darf keine eigenen Ermittlungen anstrengen und auch keine Hinweise der Prozessvertreter mehr berücksichtigen. Das ist für den dem BGH vorliegenden Einzelfall bitter, aber für andere Fälle ohne Belang.
Interessant ist schließlich, dass der BGH trotz des unvollständigen Vortrags auf Klägerseite ausdrücklich geneigt ist, der Klage stattzugeben. Gerade wegen dieses künstlich beschränkten Sachverhalts, wollte sich der BGH jedoch offenbar zunächst beim EuGH absichern.
Im vorliegenden Verfahren konnte der fehlende Sachvortrag aufgrund der prozessualen Regelungen der Zivilprozessordnung nicht mehr nachgeholt werden.
Dies führt nun zu der aus Sicht der betroffenen Spieler schwierigen Situation, dass das höchste deutsche Gericht über einen Sachverhalt zu entscheiden hat, den es in der Realität so nicht gegeben hat.
In der Pressemitteilung des BGH findet sich dementsprechend folgender Hinweis, der für einen juristischen Laien nicht auf Anhieb verständlich sein mag:
„Da das Berufungsgericht hierzu keine Feststellungen getroffen hat, ist im vorliegenden Revisionsverfahren zugunsten der Beklagten zu unterstellen, dass sie die spielerschützenden Vorschriften des materiellen Glücksspielrechts gegenüber dem Kläger eingehalten hat.“
Dies bedeutet vereinfacht ausgedrückt:
Der betroffene Spieler hat zu den Verstößen des Online-Sportwettenanbieters nichts oder nicht ausreichend vorgetragen, so dass das höchste deutsche Gericht davon ausgehen muss, dass solche Verstöße nicht vorliegen. Dies, obwohl diese Verstöße (Kopplungsverbot, Limitverletzungen, Ereigniswetten) mittlerweile durch eine Vielzahl von Urteilen umfassend dokumentiert sind und der Verstoß gegen das „Kopplungsverbot (gleichzeitiges Anbieten von Sportwetten und Casinospielen auf der gleichen Webseite) jederzeit durch entsprechende Internetarchivseiten rekonstruiert werden kann.
Im Rahmen der Vorlage durch den BGH wird davon ausgegangen, dass der Online-Sportwettenanbieter die gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung der Erlaubnis erfüllt hätte.
Dies ist falsch. Der Anbieter hätte im streitgegenständlichen Zeitraum wohl nie eine Lizenz erhalten, da er die materiellen Voraussetzungen nicht erfüllt hat.
Aus diesem Grund wird die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs nach Auffassung von Rechtsanwalt István Cocron, der für die Kanzlei CLLB eine Vielzahl von Betroffenen vertritt, keine Auswirkungen auf die noch anhängigen Online-Sportwetten-Verfahren haben, da die Sachverhalte nicht vergleichbar sind.
Dementsprechend hat der BGH auch die weiteren Verfahren, in denen seitens der dort betroffenen Kläger umfassend und vollständig vorgetragen wurde, nicht dem EuGH vorgelegt, sondern diese Verfahren lediglich ausgesetzt.
Der BGH hat bereits im November 2023 und auch im März 2024 klar Stellung bezogen, wie die Rechtslage zu beurteilen ist, wenn ein Anbieter über keine Lizenz für das Anbieten von Online-Glücksspielen verfügt:
Der entstandene Schaden ist zu ersetzen.
Es ist davon auszugehen, dass diese Rechtsauffassung auch nach der Entscheidung des EuGH Bestand haben wird. Der Sachverhalt, den der BGH nun dem EuGH vorgelegt hat, klafft hinsichtlich der „prozessualen Wahrheit“ und der „tatsächlichen Wahrheit“ auseinander. Dem BGH sind jedoch aufgrund der strengen Regeln der Zivilprozessordnung die Hände gebunden, den unvollständigen Vortrag des Klägers zu korrigieren.