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Charakterliche Veränderungen

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freiheitsliebe

Charakterliche Veränderungen
« am: 08 Februar 2024, 14:46:09 »
Liebes Forum,

ich bin selbst nicht betroffen aber mein Partner ist glücksspielsüchtig. In meiner Angehörigen SHG ging es neulich um Veränderungen des Charakters, hervorgerufen durch Sucht. Mich würde interessieren: Wie habt ihr das erlebt bei euch selbst bzw. euren Angehörigen? Habt ihr Veränderungen in der Abstinenzzeit bemerkt im Vergleich zu der aktiven Spielzeit? Dass Veränderungen in Stimmung, Verhalten etc. da sind, ist mir klar, aber hattet ihr selbst das Gefühl, dass sich quasi die Persönlichkeit auch verändert hat? Das Thema hat bei einigen in der Gruppe Ängste ausgelöst, die Hoffnung haben, dass ihr Angehöriger irgendwann wieder "der alte" wird. Ich persönlich denke, dass man sich durch so eine Erkrankung sicherlich verändert, aber vielleicht ist das ja kein Grund zum Angsthaben. Solche Veränderungen können ja durchaus auch positiv sein. Es würde mich sehr interessieren wie das bei euch war.

Liebe Grüße

Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #1 am: 08 Februar 2024, 14:56:59 »
Ich bin viel aufgeschlossener anderen Personen gegenüber geworden, weil ich mir mittlerweile die Zeit nehmen kann, mich darauf einzulassen. Früher hatte ich daran kein Interesse bzw. war es vom Interesse nach der Suchtausübung überlagert. Ich bin liebevoller und ausgeglichener, weil ich meine Zuneigung nicht mehr an die Sucht auslagere.

Spannend finde ich, dass meine Frau registriert hat, dass sie mich eigentlich jetzt erst so richtig kennengelernt hat, da "der alte" ja eben gar nicht die wahre Persönlichkeit, sondern die mit der aktiven Sucht war. Was ich sagen will: Es wird vielleicht einen Unterschied machen, ob Dein Partner auch schon gespielt hat, bevor Ihr Euch kennengelernt habt.

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Offline TAL

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Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #2 am: 08 Februar 2024, 15:30:40 »
Hallo Freiheitsliebe,

ich sitze gerade in der U-Bahn, daher nur kurz. Aber eigentlich hat HiddenAddiction auch schon gesagt, was ich schreiben wollte.
Ich bin nicht 'wieder der Alte' geworden, sondern habe mich verändert, denn meine bessere Hälfte kannte mich gar nicht ohne Sucht.

Das ist etwas, was viele Angehörige nicht 'auf dem Zettel haben': 'Der Alte' war auch schon süchtig, nur hat er es nach Innen und Außen hin überspielt.

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freiheitsliebe

Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #3 am: 08 Februar 2024, 15:44:50 »
Danke ihr beiden!
In meiner Gruppe sind vor allem Angehörige von Alkoholkranken Männern. Die sich zum Teil kannten, bevor der Mann angefangen hat zu trinken. Ich glaube das war mit "der Alte" gemeint (der Alte vor der Suchterkrankung). Da war die Sorge groß, dass selbst wenn die Abstinenz mal erreicht ist, der Partner sich trotzdem verändert hat. Eben durch die Folgen der Erkrankung. Ist aber bei Alkohol vielleicht auch anders, wegen den direkten Auswirkungen auf das Hirn. Deshalb find ich's spannend hier zuhören, wie es euch geht. In der Gruppe hat sonst keiner einen Angehörigen mit Verhaltenssucht.

Wenn man sich erst während der aktiven Spielerzeit kennengelernt hat, ist das natürlich was anderes. Bei uns ist es so, dass mein Freund seit ca. 18 Jahren spielt (mit paar längeren Pausen dazwischen). Ich habe ihn kennengelernt und das erste halbe Jahr war er spielfrei. Ich merke schon kleine Unterschiede seit der wieder spielt, aber keine die ich als Charakteränderung bezeichnen würde. Eher so Gereiztheit am Abend, teilweise bisschen überheblicher mir gegenüber am Abend, wenn er wahrscheinlich spielen wollte und ich versucht hab das zu verhindern. Jetzt, wo er angefangen hat zu kämpfen gegen die Sucht ist er nachdenklicher, auch teilweise nervöser, etwas weniger "gut drauf". Ich kann mir das auch vorstellen, wenn einer so vereinnahmt ist von den Gedanken und Gefühlen rund um die Sucht, dass da einfach nicht mehr viel Raum bleibt für anderes und andere Gefühle.

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Offline Olli

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Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #4 am: 08 Februar 2024, 15:58:55 »
Hi Freiheitsliebe!

Ich denke, dass wir uns alle jeden Tag ein kleines bisschen verändern. Von daher sind wir alle morgen nicht mehr der Gleiche, der wir heute sind.

Leider beeinflussen uns Süchte nicht gerade positiv. Oft müssen wir unsere Werte verleugnen, nur um die Sucht zu befriedigen. Es leidet aber oftmals auch "das normale Leben" darunter. Wir richten unser Leben zwar nach der Sucht aus, doch wir sind immer noch Menschen, die tagtäglich ihre Erfahrungen machen, die uns formen. Trotzdem werden manche dieser Erfahrungen oftmals nur abgespeckt oder gar nicht gemacht.

Ich habe Leute kennengelernt, die irgendwann festgestellt haben, dass sie ihre Partner eigentlich noch nie geliebt haben. Die einen trennten sich, die anderen verliebten sich nach etlichen Jahren der Beziehung dann erstmalig in ihren Partner.

Du darfst hier aber bitte noch nicht die Entwöhnungsphase als Maßstab nehmen. Das innere Verlangen kann verdammt stark werden und da ist es ein Abwehrmechanismus, seine Gefühle am Partner auszulassen. Das ist nicht fair und das muss man sich auch nicht gefallen lassen.

Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

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Offline TAL

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Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #5 am: 08 Februar 2024, 16:25:32 »
Naja, da steckt schon etwas mehr dahinter, als ein einfaches 'Mit' und 'Ohne'.

Ich war auch bevor ich mit dem Spielen anfing wohl nie 'ich selbst'. Ist schwer zu beschreiben. Habe halt immer versucht, alles richtig zu machen, nirgendwo 'anzuecken', und besonders: nicht aufzufallen (wobei man erwähnen sollte, daß die Sucht nicht meine einziges 'Defizit' ist).
Dann kam irgendwann auch noch das Vertuschen dazu.
Heute ist das mit dem 'Anpassen' nicht mehr so, jedenfalls nicht mehr in dem Maße. Das ist nicht einfach gewesen, und ist auch manchmal immernoch schwierig. Nicht nur für mich.
Denn sehr vereinfacht gesagt bedeutet das eben auch, daß mein Umfeld mit einem 'Nein' rechnen muß, wo es früher immer ein 'Ja, natürlich' gegeben hätte.

Ja, die Anfangsphase der Abstinenz war innerlich schon ziemlich hart, da war ich sicher kein angenehmer Zeitgenosse, noch weniger als jetzt. Das möchte ich tatsächlich auch nicht nochmal 'durchmachen'. Nein danke.
Aber da du wahrscheinlich die Veränderung auf lange Sicht gesehen meinst... da kann es, wie Olli bereits sagte, sogar dazu führen, daß Einer von Beiden (oder Beide) sich 'entfremdet' fühlen.

So, nun muß ich aber echt mal was tun.

Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #6 am: 08 Februar 2024, 20:00:03 »
Was ist die Definition für Charakter Änderungen?
Auch Menschen ohne Sucht ändern in gewisser Weise über Jahrzehnte ihren Charakter. Man wird zB ruhiger und lässt sich auf Kompromisse ein die früher kategorisch abgelehnt wurden zB.
Viele haben sich den Arsch abgearbeitet, waren zu Hause nicht gut drauf und haben wenig Zeit mit ihren Kids verbracht. Das holen sie oft nach bei den Enkeln. Es gibt da zig Beispiele.
Ein Süchtiger muss erst einmal regenerieren wenn er den Absprung macht. Entwöhnungsphase heißt das glaube ich. Da mag es sicher noch rumpeln, da es ja nicht von heute auf morgen geht, sondern die komplette Anstrengung dafür aufgewendet wird. Ich war vor während und jetzt nach dem Suchtzwang eigentlich immer locker, lustig und schlagfertig.
Außenstehende haben bei mir vermutlich kaum eine Änderung gemerkt.Ich hatte halt hin und wieder mal einen schlechten Tag.
In mir merkte ich eine Veränderung nach ca 6 Monaten, da wurde ich dann aufmerksamer und war nicht nur anwesend.
Ich bin kein Anwalt sondern gebe nur meine eigene Meinung wieder

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freiheitsliebe

Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #7 am: 09 Februar 2024, 11:06:48 »
Wow, danke euch für eure Antworten!
Klar, verändert man sich immer, aber ich denke doch, dass eine (Sucht) Erkrankung doch nochmal mehr auslösen kann. Also psychologisch gesehen ist der Charakter, oder die Persönlichkeit ja ein recht stabiles Konstrukt, das nicht so leicht verändert werden kann, aber durchaus über die Zeit. Also was anderes als Stimmung oder so.
Schön zu lesen, dass ihr bei euch bemerkt habt, dass ihr aufmerksamer und aufnahmefähiger wurdet in der Abstinenz, was bestimmt euren Angehörigen auch positiv aufgefallen ist. 
@Tal, das kenne ich auch mit der Überanpassung. Ich musste auch lange lernen, mich wichtig zu nehmen und nicht allem anzupassen und oft denke ich "Huch, jetzt hab ich eine Grenze gesetzt, die hätte ich vor paar Jahren nicht mal gespürt". Das ist im Nachhinein schön, aber war sehr anstrengend dahin zu kommen, auch für mein Umfeld, das ja gewohnt war, dass ich immer "Ja" sage. Von daher ist dieses "nicht mehr der Alte sein" ja auch etwas Positives. Die Sucht hat ja meistens (immer?) auch ein anderes Problem, was vorneweg geht und wenn man durch den Kampf gegen die Sucht auch das angeht, ist man natürlich nicht mehr "wie früher". Ich habe zwar keine Suchterkrankung aber hatte eine schwere Depression und ich würde auch sagen, ich bin heute in vielen Dingen anders, als ich vor der Depression war, aber das ist gut so, denn wie ich vorher war hat mir die Depression ja erst eingebrockt. 

Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #8 am: 09 Februar 2024, 12:04:26 »
Genau, in der Regel gehen sämtliche Süchte, stoff- oder stoffungebunden, mit einem Defizit der Gefühlsregulation einher. Das heißt, dass man zur Bekämpfung der Sucht bzw. zur Abstinenzerhaltung lernen muss, von nun an anders mit seinen Gefühlen umzugehen bzw. diese aktiv(er) zuzulassen und vor allem darüber in den Dialog zu treten, z. B. mit Dir als Partnerin.

Dieses Defizit ist meistens erlernt, oft beginnen die Prozesse in der Kindheit, im Familienumfeld. Auch hiermit gilt es sich dann zu beschäftigen. Wenn man das ernsthaft betreibt, ist es glaube ich unvermeidlich, dass sich der Charakter anpasst bzw. Veränderungen für nahestehende Personen sicht- und spürbar werden.

Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #9 am: 09 Februar 2024, 12:49:18 »
Was allerdings nicht unbedingt negativ sein muss was die Veränderung angeht. Wenn man die Auslöser herausgefiltert hat muss man hier zwangsläufig darauf reagieren als Süchtiger und das sieht natürlich für die Außenstehenden evtl erstmal komisch aus. In dem Trott zu verweilen der einer der Startpunkte der Sucht war ist kontraproduktiv. Hier wäre mM nach ein Rückfall vorprogrammiert.
Ich bin kein Anwalt sondern gebe nur meine eigene Meinung wieder

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Offline TAL

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Re: Charakterliche Veränderungen
« Antwort #10 am: 10 Februar 2024, 10:47:40 »
Stimmt schon, das hat auch etwas Positives. Ich kann inzwischen ja auch sagen, warum ich etwas nicht möchte. Manchmal fühle ich mich dabei aber immernoch 'schlecht', und / oder mag mich auch nicht 'rechtfertigen'. Solche Situationen sind also gelegentlich immernoch recht unangenehm.
Im Allgemeinen macht es das Miteinander daher sicher nicht perfekt, aber... einfacher.

Sprechen ist dabei auch wichtig, selbst wenn vieles 'da drin' nicht gut in Worte zu fassen ist, und solche Gespräche deshalb auch gerne mal 'nach hinten' losgehen' können. Falsch verstanden zu werden ist sehr unangenehm. Das ist dann auch frustrierend, aber inzwischen kenne ich die Grenzen dessen, was (und wie) ich meiner besseren Hälfte mitteilen kann, relativ gut. Darüber hinaus lasse ich es lieber, es ist so schon ein großer Schritt.
Ich habe mir immer schon viele Gedanken gemacht. Warum die Dinge sind, wie sie sind. Manchmal gibt es eben keine einfache Antwort. Heute kann ich akzeptieren, daß nicht immer alles 'nach Plan läuft'. Tut es wohl für niemanden. Das liegt sicher oft an mir, aber eben nicht immer.
Um 'Hürden' aus dem Weg räumen zu können, muß das Gegenüber aber erstmal wissen, daß sie überhaupt da sind - und in welcher Form. Das zu kommunizieren erleichtert nicht nur mir vieles.

Also ja, zumindest bei mir steckt auf jeden Fall mehr dahinter, das mußte ich mir auch eingestehen... und der Blick darauf war nicht angenehm. Dennoch mußte ich mich damit auseinandersetzen, mußte viel über mich selbst lernen, um mein 'Inneres' zu verstehen, damit ich... mhh... 'gefährliche Situationen' meiden, bzw. sie überhaupt erst rechtzeitig erkennen, kann.

So oder so... heutzutage nehme ich am Leben teil - nicht nur rein physisch. Das ist mit einer aktiven Suchterkrankung nicht möglich.

Veränderungen passieren also zwangsläufig, wenn man es 'ernsthaft angeht'. Inwieweit das eine 'Beeinträchtigung' ist, muß man dann sehen. Merken wirst du es aber auf jeden Fall.

 

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