Hallo allerseits,
Ich bin der Michael aus Wien, 50 Jahre alt und bin durch Zufall auf eure Seite gestoßen.
Ich brauche eigentlich keine akute Hilfe und meine Zockerei bereitet mir derzeit auch keine Probleme.
Auf die Frage "was will der Michael eigentlich von uns?" weiß ich daher auch keine richtige Antwort
In den letzten Tagen/Wochen habe ich viel im Forum gestöbert und viele Eurer Spielerkarrieren gelesen.
Meine Spielergeschichte ist in vielen Bereichen anders als bei Euch, es gibt aber auch Paralellen.
Hier mal mein Werdegang als Spieler.Bitte schon jetzt um Entschuldigung, wenn meine Geschichte zu ausschweifend ist.
Ich bin seit dem Einstieg in die Berufslaufbahn als Sofwareentwickler tätig, lebe sonst bescheiden, und habe daher seit meiner Berufstätigkeit keine finanziellen Probleme gehabt.
Als Jugendlicher konnte ich mit der Zockerei gar nichts anfangen.
Sogar bei Vereinsausflügen in ein Casino habe ich vielleicht max. 20€ verspielt und die meiste Zeit damit verbracht, den Freunden mit einem Bier in der Hand beim Spielen zuzuschauen...
Als IT-Mensch war es dann für mich interessant, in den späten 1990er-Jahren die neuen Einsatzfelder des Internets technisch und inhaltlich zu entdecken.
Nach einiger Zeit kamen dann immer mehr Online-Casinos auf den Markt.
Eher aus technischem Interesse begann ich etwa 1997/1998 mit der Online-Zockerei.
In der Anfangszeit gab es auch mathematisch/statistisch interessante Bonusangebote für Neukunden. Schließlich war es ja am Anfang wichtig, Marktanteile zu erreichen.
Ich spielte nicht allzuoft aber doch regelmäßig. Anfangs einmal im Monat, dann etwa einmal pro Woche und immer mit 200€ Einzahlung (bzw. am Anfang eher 200 USD)
Dabei verfolgte ich immer das selbe Schema. Relativ hohe Einsätze, dafür natürlich bei etwas Pech nur 2 Minuten Spielzeit.
Gespielt habe ich immer nur abends, wenn ich alleine war. Ich war der typische Einsamkeitsspieler.
Anfang der 2000er begann ich dann meine Ein/Ausgaben systematisch zu erfassen. Da war ich dann ganz erschrocken, dass ich doch jedes Monat an die 1000€ verspielte.
Vereinzelt habe ich auch bis zu 5000€ gewonnen. Einmal auch noch mehr - siehe dazu weiter unten.
Im Schnitt waren es etwa 7000€ Verlust jährlich.
Da ich gut verdiene und ich einen sehr bescheidenen Lebensstil hatte, war das kein großes Problem. Es ging eben in die Richtung, dass ich statt 1300€ im Monat nur 300€ beiseitelegen konnte.
Trotzdem war ich jedes Monatsende frustriert, wenn meine Monatsabrechnung wieder einmal 1000€ Spielverluste beinhaltete.
Sicher 10 mal wollte ich die Spielerei komplett beenden, bin dann aber nach spätestens 3 Monaten wieder ins selbe Muster zurück gefallen.
Das ging fast 20 Jahre so.
2014 habe ich dann die Frau für mein Leben gefunden. Nachdem wir dann in eine größere Wohnung gezogen sind, und meine Frau am Anfang auch nicht arbeiten konnte/durfte (sie ist keine EU-Bürgerin), hatte ich jetzt das Problem, dass die Verluste doch dazu führten, dass ich am Monatsende mit einer "roten Null" ausgestiegen bin.
Was ich dann gemacht habe, würde ich auf keinen Fall weiterempfehlen, weil es wohl bei 90% der Menschen nicht funktioniert.
Mir war nach den vergangenen 10 Aufhör-Versuchen klar, dass es mir offenbar nicht möglich ist, komplett aufzuhören. Und eigentlich wollte ich auch nicht.
Daher habe ich mein Spielverhalten streng reglmentiert.
Ich transferiere jetzt monatlich 50€ auf mein fiktives Spielkonto (= Spalte in meiner Finanzexcel-Datei).
Zusätzlich habe ich bei außerordentlichen Geldeingängen 20% auf das Spielkonto transferiert. Das sind z.B. Firmenprämien (das passierte aber leider nur ein einziges mal seit 2014) oder ausgezahlte Casino-Gewinne, Dividenden und Gewinne bei Aktienverkäufe.
Wenn dann auf meinem fiktiven Spielkonto >200€ sind, zahle ich 200€ ins Casino ein und spiele damit. Wieder mit relativ hohen Einsätzen, wodurch das nicht lange dauert.
Im Jahr kommen so 800-1000€ Budget zum Spielen zusammen.
Da man ja auch nicht immer verliert, habe bin ich so zwischen 2014 und 2023 auf einen Gesamtverlust von etwa 5.000€ gekommen.
Im Vergleich dazu habe ich zwischen 2000 und 2013 etwa 90.000€ verzockt.
Bis jetzt hatte ich mit dieser Strategie keinen einzigen Rückfall und ich habe auch das Gefühl, dass der Suchtkranke in mir voll befriedigt wird.
Das einzige was ein paar mal vorgekommen ist, ist dass ich mir die die Zockerei schon 2-3 Tage vor dem neuen Monat gegönnt habe. Also dadurch mein Spielkonto kurzzeitig im Minus war.
Ansonsten verspüre ich zwischendurch aber nie ein Verlangen, zu spielen und die Beträge um die es jetzt geht, sind für mich in Ordnung. Es gibt ja auch andere sinnlose Möglichkeiten, sein Geld auszugeben
Meine einzige Sorge ist, dass ich doch wieder in das alte Verhalten zurückzufalle.
Wobei mich diese Sorge auch daran hindert, ganz aufzuhören, weil dann meiner Meinung nach die Chance viel größer ist, dass ich wieder stark zu spielen anfange.
(In der IT sagt man da "never change a running system"
)
Vielleicht noch erwähnenswert: Über meine alten großen Verluste weiß nur ich selbst Bescheid. Da diese Verluste nur mich beschädigt haben, will ich das auch so belassen.
Dass ich jetzt fallweise Spiele, weiß meine Frau schon. Einige Freunde auch. Ich posaune das zwar nicht so groß raus, aber wenn man bei einem Bier auf das Thema Online-Gambling kommt, verleugne ich mein Verhalten auch nicht.
So weit wäre das meine Geschichte.
Nun meine "Selbstanalyse":Was ich mit euch wohl mit den meisten von Euch gemeinsam habe, sind folgende Sachen,
- relativ hoher Verlust über die Zeit
- spielen hauptsächlich Abends, weil es fad ist
- im Endeffekt die Unmöglichkeit/der Unwillen, komplett aufzuhören
- ich habe überhaupt keine Idee, warum ich das Spielen überhaupt "brauche" / was meiner Seele fehlt
- Suchtanfälligkeit auch auf anderen Gebieten:
- Manchmal spiele ich Online-Aufbau-Spiele und nach ein paar Wochen/Monaten verwende ich dann jede freie Minute dafür und es ist dann der erste Gedanke am Morgen. Irgendwann wird es mir zu blöd und ich höre spontan wieder auf damit.
- Da ich mich auch für die Zivilluftfahrt interessiere, hatte ich in den 2000ern manchmal Phasen, wo ich alle 5 Minuten auf die Seite mit den aktuellen Landungen meines Flughafens schaute und das auch das erste war, an das ich am Morgen gedacht habe.
- Manchmal kippe ich auch ins alle 10-Minuten-Nachrichten-Lesen rein. Letztmalig am Beginn des Ukraine-Krieges.
- Diese Sachen kosten aber nichts (bzw. sehr wenig) und das sind immer nur kurze Phasen und ich ärgere mich dann nur über die Zeitverschwendung bzw. darüber dass die Dinge dann plötzlich mehr als die Hälfte meiner Aufmerksamkeit auf sich ziehen oder ich nicht mehr konzentriert arbeiten kann, weil ich alle 10 Minunuten aufs Handy schaue.
Was ich bei mir überhaupt nicht feststellen kann, ist:
- ich hatte nie das Problem, viel Zeit zu verschwenden. Selten waren es mehr als 10 Minuten pro Abend. Wahrscheinlich ist dadurch auch die geringe Menge an Glückshormonaussendungen der Grund, dass ich das leichter steuern kann. Daher hatte ich auch nie Probleme in der Arbeit, im Freundeskreis oder in meiner Ehe.
- meine Verluste waren nie vom Gehaltseingang abhängig. Wenn, dann habe ich sogar tendenziell eher am Monatsende gespielt..
- ich hatte in der ganzen Zeit kein einziges Mal einen Totalaussetzer mit einem astronomisch hohen Verlust an einem Abend. Mehr gespielt habe ich, als ich einmalig 40.000€ gewonnen habe, das Casino aber ein Auszahlungslimit von 5000€ pro Monate hatte. Da habe ich dann nur 10000€ ausgezahlt und die anderen 30.000€ in 3 Monaten verloren. Aber auch da habe ich pro Abend nie mehr als 10 Minuten gespielt.
- Grundsätzlich haben sich meine Einsätze nie erhöht, weil meine Art zu spielen immer gleich ist. (Inflationsbedingt eigentlich sogar verniedrigt).
- Zocken an der Börse ist für mich komplett uninteressant. Ich besitze zwar Aktien und ETF-Fonds. Ein paar Bitcoins habe ich auch. Das kommt aber eher aus meinem Interesse für neue Technik und die kaufe/verkaufe ich auch nicht täglich. Derivate/Optionen/... haben mich nie interessiert. Die Börse ist für mich tatsächlich nur eine Geldanlage. Ich schaue auch nur 1x täglich in mein Depot - und das auch nur, damit ich meine freakige Finanzaufstellung aktualisieren kann, um zu wissen, wann ich in Pension gehen kann
)
- ich hatte nie den Gedanken, Verluste zurückgewinnen zu wollen.
- zumindest seit ich die Spielerei reguliert habe, ärgere ich mich auch nie über Verluste, weil die ja schon im Finanzplan "budgetiert" sind. Beim Spielen an sich ärgere ich mich auch nur selten. Eigentlich nur dann, wenn nach 10 Automatenspins ohne einen Cent Auszahlung die 200€ innerhalb von 2 Minuten futsch sind.
Ich hoffe, das war zum Einstieg nicht zu viel Text auf einmal.
Mich würde interessieren ob mein Spielerlebenslauf tatsächlich so ungewöhnlich ist, wie ich selbst denke, und ob meine Selbsteinschätzung aus eurer Sicht halbwegs schlüssig ist?
Außerdem würde mich eure Meinung über meinen Umgang mit meiner Sucht interessieren. Ist der grob fahrlässig, oder ist der in Ordnung, wenn er funktioniert?
Dass ich meine Sucht damit nicht bekämpfe, sondern mich mit ihr arrangiere, ist mir klar. Die Frage ist halt ob man Sie wirklich mit aller Gewalt bekämpfen soll oder ob man glücklicher ist, wenn man mit dem Laster lebt, vor allem wenn man es so unter Kontrolle hat, dass es nicht weh tut.
Abschließend und nochmals will ich sagen, dass ich meine Strategie auf keinen Fall jemand Anderen empfehle.
Außerdem will auch auf gar keinen Fall das Thema Spielsucht verniedlichen.
Wenn meine Vorstellung zu sehr diesen Eindruck erwägt, bin ich auch nicht böse wenn mein Posting gelöscht wird, mein Account gelöscht wird oder zumindest die Reaktion darauf negativ ausfällt.
Gerade weil aber in diesem Forum viele Menschen schreiben, die in gewisse Weise mir ähnlich sind, würde mich einfach interessieren, wie eure Meinung ist.
schöne Grüße aus dem sonnigen Wien,
Michael