Wenn ich an kitzeln denke, dann denke ich auch an die Person, die mich kitzelt. Es ist eine Interaktion, bei der Spaß und Lachen das Ziel ist.
Wenn ich an meine "Diskussionen mit der Sucht" denke, dann vergeht mir das Lachen. Naja ... irgendwann tue ich es doch wieder, denn diese Zeiten sind vorbei und das Lachen jetzt ist das Begrüßen der Abstinenz ... jeden Tag aufs Neue ... nur für 24 h!
Ich muss nicht ewig spielfrei bleiben. Aber für heute darf ich mir das erlauben!
Zur Frage ... ich weiss, dass ich 20 Jahre gespielt habe. Jetzt sind es bald 18 Jahre, die ich abstinent bin. Je mehr Zeit vergeht, desdo surrealer erscheint es mir überhaupt gespielt zu haben. Doch die Erinnerungen sind da. Ein Teil davon glorifiziert das Glücksspiel auch immer noch. Ach, was war das toll, als ich damals in der Mittagspause in der Spielhalle war und ein ortsansässiger Kabarettist fütterte die ganze Halle. Dort durfte, nein musste ich bis zur 100 rauf die Risikoleiter bedienen.
Irgendwie machen mich diese Gedanken aber auch traurig. Wie wir alle wissen, ist diese Betrachtung ja eben auch nur eine Seite der Medaille. So denke ich auch an die Zeit zurück, als ich mich des Nachts ins Elternhaus zurück schlich und zu Bett ging. Ich erinnere mich, wie ich tat, als wäre ich sofort eingeschlafen, als die Tür aufging und meine Mutter nachsah, ob ich zuhause war.
Ich erinnere mich, wie ich den Betrug beging ... wie ich versuchte ihn nicht zu begehen und dabei an meiner Sucht scheiterte. Ich erinnere mich, wie ich Ängste ausstand, die ich niemandem wünsche. Freiheit war meine Ausrede ... dabei war ich gar nicht frei ... ich war mein Leben lang bis zum Tag meines Umdenkens getrieben. Getrieben nach der Sucht, getrieben nach Anerkennung, betrieben so akzeptiert zu werden, wie ich bin.
Wenn ich heute zurück denke, dann frage ich mich oft, wann ich eigentlich mal Zeit hatte - oder mir genommen habe - nur für mich?
Und damit meine ich nicht die Zeit der Suchtausübung. Eigentlich nie ... Ich mochte mich absolut nicht. Wieso sollte ich dann Zeit mit mir verbringen?
Ich denke an meine Schulzeit zurück. als mir meine Mutter sagte: "Du bist doch nicht dumm, Du bist nur faul!" Was für eine "Verurteilung" ... Der Satz bezog sich auf meine Noten bei Fremdsprachen. Englisch, Französich, Russisch und ein wenig Latein.
Ich konnte da üben, wie ich wollte ... ich bekam die Grammatik und das Vokabular einfach nicht übereinander. Einzeln bekam ich es hin ,,, zusammen aber nicht ... Schon damals trug ich Zeitungen aus und ich half regelmäßig meinem Vater, der schwarzarbeiten ging für die Familie. Ich hielt das Haus und den Garten in Schuss und ich half auch hier auf den vielen Baustellen, derren Erledigungen sich über Jahre hinzuogen.
War ich wirklich "faul" ... ích denke da ein klares Nein! ...
Ich sehe mich selbst oft in der Gestalt derjenigen, die in der Kneipe heute noch ihre Sucht ausleben. Es sind nette Menschen, doch sie merken nicht, was sie sich selbst antun. Ich sehe Helmut, wie er in die Kneipe kommt, ohne eine Begrüßung auf den Lippen. Die Augen sind auf die Automaten gerichtet und die müssen so schnell wie nur möglich "gesichert" werden. Ist das Geld erst einmal eingeworfen, dann wird realisiert, dass eine Begrüßung nun doch erst einmal angesagt ist.
Manchmal höre ich Helmut reden, was er denn alles aus den Automaten rausgedrückt hatte an einem Abend. Dass er aber von 17 bis 0 Uhr alle Automaten gleichzeitig gefüttert hatte, ohne Unterbrechung, das wird verschwiegen. Auch, dass er dies bereits an 2 oder 3 anderen Tagen in dieser Woche gemacht hatte.
Ich sehe ihn, wenn er mit seiner Frau herein kommt und dann die Automaten links liegen lässt. Er spielt immer noch ... aber nur ein Bruchteil von dem, was er sonst spielt.
Ich bekomme mit, wie er teils mehrfach des Abends zu seinen Banken fährt, um "Nachschub" zu holen.
In all solchen Erzählungen sehe ich mehr oder weniger mich selbst. Und sagte ich es schon ... es macht mich traurig.
Ich bin, wie ich bin ... ich kann die Vergangenheit nicht mehr ändern. Ich kann den verspürten Schmerz nicht mehr lindern, den bei Anderen und auch mir selbst. Mir bleibt nichts anderes übrig, als es zu akzeptieren.
Selbst das Rauchen, was ich ja auch gerade mal erst vor 27 Monaten aufgegeben habe, ist so weit weg, als wären es schon 20 Jahre. Dabei habe ich doch 40 Jahre geraucht ... habe Rituale rund ums Rauchen gelebt und immer weiter ausgeweitet. Habe mein Leben nach dem Rauchen ausgerichtet. Und heute? Gestern wieder auf der Rückfahrt nach Hause rauchte mein Schwager im Auto bei ein wenig geöffnetem Fenster. Es fiel mir auf, ja ... , aber es macht mir nichts ... der Qualm, der in meine Nase zog, löste in mir nichts aus ... kein Verlangen ... keine Nostalgie ... aber auch keine Traurigkeit. Vielleicht, weil ich niemanden anderes damit geschadet habe wie beim Glücksspiel? Keine Ahnung ...
Was mich auf Abstand zum Glücksspiel gebracht hat, das war eindeutig das Reden. Nicht etwa das mit meinen Liebsten, die hätten und haben mich nie verstanden. Aber das Reden mit Anderen, die das Gleiche oder Ähnliches erlebt haben, war hilfreich.
Wenn ich hier von SHGs rede und von dem Bedienen dürfen an einem Erfahrungspool, dann ist das genauso gemeint. Es ist keine Art Miss Tilli, die mir die Hand in Spüli drückt, damit meine Haut samtig wird. Es ist nicht wie die Reklame eines OCs, welche ich gestern gehört habe und wo es darum ging, den Kunden "verantwortungsvolles Spielen" auf ihrer Seite näher zu bringen (Es ist nur die halbe Wahrheit, denn die Gesellschaft und auch die Branche tragen ebenso Verantwortung, von der aber keine Rede war.)
Der Erfahrungspool ist wie eine Schatztruhe, aus der ich mich bedienen kann ... aber nicht muss. Vielleicht mag ich ja den goldenen Armreif? Dann nehme ich mir den heraus. Oder ist es die Halskette, die ich mir heute um den Hals lege? Was aber soll ich mit dem Kelch machen? Dafür habe ich keine Verwendung! Den lasse ich in der Truhe liegen!
Durch den Input von außen bin ich ins Überlegen gekommen. Im Grunde habe ich mir hier die Zeit "nur für mich" genommen. Ich habe meine Überzeugungen geprüft. Manche habe ich behalten, andere über den Haufen geworfen und dann wieder bin ich an neue gelangt. Eigentlich ist es ein Prozess, der hoffentlich nie enden wird.
Dieser Prozess in mir sorgt dafür, dass die Zeit der Suchtausübung so weit weg erscheint ... und so surreal.
Wenn ich also gefragt werde, ob das Kitzeln jemals aufhört, dann antworte ich gerne und aus Überzeugung ... begebe Dich auch in diesen Prozess. Nutze alles, was Du bekommen kannst.