und dies hier, auch vor langer Zeit geschrieben ...
Automatisch
(eine Spielerkarriere)
Wähnst du dich in einer `cleanen` Phase, denkst du: Gibt es eigentlich etwas Stumpfsinnigeres als auf die rotierenden Scheiben zu starren?
Hätte er jemand anderen dabei beobachtet: Er hätte ein ironisches oder zynisches Statement abgegeben. Oder hätte er das Verhalten analysiert? Er steckte sich eine Zigarette an, drückte gegen die Tür und schlenderte zum Tresen.
Er kannte eine Reihe von rationalen Aspekten, nicht zu zocken. Dieser Rest Hoffnung auf eine Glückssträhne führte ihn immer wieder her. Die Motivation kam wie durch Fernsteuerung. Sie versetzte ihn in euphorische Aufregung, gaukelte ihm die Möglichkeit eines großen Gewinns vor. Computerprogramme konnte man nicht überlisten, das war ihm klar. Er schob den nächsten Fünfziger in den Schlitz.
Wie lange er wohl mittlerweile hier war? Er schaute nicht auf die Uhr, es war egal. Vorhin noch war er eigentlich schon des Zockens überdrüssig gewesen. Er kannte das alles schon, und jetzt empfand er wieder diese Apathie oder was auch immer, jedenfalls konnte er nicht gehen, sich zu nichts richtig entscheiden. Oder war es der Vorbote der Resignation? Einen Hunderter wollte er noch einsetzen. Andere gewannen schließlich auch. Als Looser zu gehen war scheiße, und bisher hatte er noch nicht viel verloren, nicht so viel wie in der Woche zuvor. Egal. Er wollte nicht mehr denken, das stünde dem Gewinn eh im Weg. Nur hoffen einmal - oder auch durchgehend - Glück zu haben. Geld zu haben. Er müsste sich nicht mehr als Gestrandeter fühlen, sich keine Standpauken mehr anhören oder sich rechtfertigen. Er hätte ein gutes Gewissen und ein lockeres Dasein. Genüsslich könnte er einkaufen, vornehmlich Bücher und ein paar stilvolle Klamotten. Und verreisen würde er, sich den Wind um die Ohren pfeifen lassen, vielleicht am Meer oder irgendwo in den Bergen, wo und wann immer es ihm gefiele. Er könnte lesen und Gedichte schreiben und in Cafés und Kneipen mit interessanten Leuten schwätzen, philosophieren und lachen, ins Theater oder ins Kino oder in ein gutes Konzert gehen. Die Liste der Möglichkeiten war ellenlang. Einmal dieser Jackpot, fast 450.000 Euro...
Noch ein Hunderter, diesmal mit Beklommenheit. Alles oder nichts. Noch saß er hier und verlor mehr und mehr seines Arbeitslosengeldes, wie ein Trottel trommelte sinnlos auf die Tasten und hörte einmal mehr das dumpfe Signal weiteren Verlusts. Im Aschenbecher lagen nur zwei Kippen, in solchen Dingen waren die Angestellten hier ja sehr aufmerksam und diskret. Doch die Kopfschmerzen konnten nicht über seinen Zigarettenkonsum hinwegtäuschen. Wie er sich hier wohl ausnahm? Diese Leute sahen ihm doch hoffentlich an, dass er nicht der klassische Zocker war..., dass er Stil hatte und intellektuell sie alle - selbst in der Summe ihrer mentalen Möglichkeiten - mit lockerem Lächeln in die Hosentasche hätte stecken können. Zum Glück vermutete ihn hier niemand seiner Bekannten. Das wäre ein Ei, er käme hier heraus und begegnete Lothar oder Horst und sie bekämen eine Ahnung davon, warum er ihnen das Geld noch nicht zurückgegeben hatte.
Wenn jetzt nicht ein größerer Gewinn kam, würde er in wenigen Minuten pleite sein. Mit steifem Rücken saß er auf dem Hocker, seiner selbst müde, nackt und leer. Heute hätte er einen Teil seiner Schulden zurückzahlen müssen. Jetzt würde er wohl das Vertrauen seiner Freunde vollends eingebüßt haben. Die Vorahnung, die ihn mit einem dicken Packen Scheine versorgt hatte, war wieder einmal nur Illusion, Ausgeburt seiner Verzweiflung gewesen. Wie gern hätte er die Uhr um ein paar Stunden zurückgedreht und sich anders entschieden.
Er hätte sich auf ewig verstecken und weinen mögen, und wie mit fremder Macht gelenkt, sah er von Glas bis Hocker lauter Utensilien in rascher Folge durch das Etablissement und dessen Fenster fliegen. Dazu nahm er diese wütenden Schreie wahr wie aus fremder Tiefe, schnappte nach Luft, der Hals tat ihm weh, sein Herz trommelte. Er hörte es um sich klirren und krachen, zersplitterten und bersten, während er glühte und fror und sein Schädel brummte. Pfleger und Rettungswagen hatte er wie auf einem verschneiten Fernsehbildschirm wahrgenommen. Jemand könnte schon im Wagen gewesen sein. Er hatte sich mittlerweile schwer und matt gefühlt, vor allem nach dem Stich. Vielleicht sollte er dankbar sein. Jetzt hing bloß sein Körper auf einem Stuhl im Aufnahmebüro einer Nervenheilanstalt, und ein Weißkittel redete auf ihn ein, oder stellte er ihm Fragen? Er sollte versuchen, sich zu konzentrieren.
Freundlich fragte sein Gegenüber nach den Personalien, dem Ausweis, der Adresse, einem Angehörigen, den er benachrichtigen könnte. Warum? - er war jetzt zu sich gekommen, er könnte wieder gehen, obwohl, vielleicht könnten sie ihn auch fahren. Er wusste ja nicht einmal, wo genau er war, und hatte kein Fahrgeld. Wie es zu dem Vorfall gekommen sein mochte, sollte er sagen. Na, der an seiner Stelle - nein, der würde erst gar nicht...
Er war müde. Ja, morgen.. Er wolle erst mal schlafen, ja. Aufnahme. Okay. Zimmer, Bett, hinlegen, ausruhen, an nichts mehr denken.
Allein. Er starrte auf die Schatten an der Decke, überlegte, sah die Automaten vor sich, hörte das Schrillen... Gewinn... Dann schlief er ein.