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Der Tiefe Fall

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Der Tiefe Fall
« am: 16 März 2023, 01:41:00 »
Hallo,

Ich beginne einmal damit das ich mal etwas über mich erzähle.

Ich bin 21 Jahre Alt und meine ersten Erfahrungen haben vor ca. 2 Jahren während der Pandemie begonnen, da mir und ein paar Freunden echt echt langweilig wurde haben wir uns hin und wieder mal zusammen hingesetzt und ein bisschen OnlineSlots gespielt.

Anfangs hat sich alle im Rahmen gehalten und es wurden maximal 25-50€ in der Woche verspielt.

Ich muss noch hinzufügen das ich in einer Familie aufgewachsen bin wo beiden Elternteile sehr sehr gut verdienen und ich durch ihre Arbeit sehr wenig Zeit mit ihnen verbrachte und die meiste liebe durch Geld ersetzt wurde, dadurch habe ich leider auch jeglichen Bezug zu Geld verloren.

Also nachdem wir hin und wieder Online gespielt haben sind wir dann immer öfter in die Spielhallen/Casinos gefahren wo auch mal 1.500€ in einem Abend meine Tasche verlassen haben.

Es gab Nächte da saßen wir zu dritt ca. 5 Stunden im Casino an den Automaten.
Natürlich haben oft auch hohe Gewinne aber ich habe ca. 15-20.000€ verspielt alleine in den letzten 12 Monaten.

Ich habe es irgendwann nachdem ich mich vor 3 1/2 Monaten in jeglichen Casinos Sperren lies ganz gut hinbekommen auch nicht Online zu spielen und dachte ich hätte es endlich geschafft mich von dieser Hölle zu befreien.

Jetzt kommen wir aber zu dem Punkt

Es ist Donnerstag um 1:37 und ich habe in den letzen 20 Minuten bevor ich diesen Beitrag hier geschrieben habe  650€ verspielt und ich verspüre nurnoch Hass mir selber gegenüber und ich Schäme mich vor mir selber.

Ich weis langsam nichtmehr was ich machen kann damit dieser Teufelskreis einfach aufhört. Ich habe zwar noch genug Geld um diesen Monat mein Leben bestreiten zu können geschweige denn mit jetzt Geld ausborgen aber ich möchte einfach einen weg finden dass das ganze endlich ein Ende nimmt.

Ich hoffe ihr habt Tipps für mich wie ihr es geschafft habt oder welche die ihr gerade ausprobiert.

Mit freundlichen Grüßen
Smurfer

*

Offline Olli

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  • 7.340
Re: Der Tiefe Fall
« Antwort #1 am: 16 März 2023, 06:57:51 »
Guten Morgen Smurfer und herzlich willkommen!

Nun, hier hast Du keinen Grund Dich zu schämen. Wir alle waren irgendwann in einer ähnlichen Situation wie Du jetzt. Von daher wissen wir genau, wie Du Dich fühlst.

Glücksspiel jedweder Art suggeriert Spaß, Spannung und jede Menge Unterhaltung. Doch das ist nur am Anfang so. Das Automatenspiel z.B. ist extra so konzipiert, dass Deine Gefühle mit Fastgewinnen angesprochen werden. Gewinne, die den Einsatz unterschreiten, werden gefeiert, damit Du gar nicht mitbekommst, dass Du ja eigentlich verloren hast. Kommt einmal ein Gewinn, dann hast Du das Gefühl, den richtigen Moment ausgesucht zu haben - es werden also Deine Kompetenzen abgefragt.

Als ich 18 wurde, da warf ich noch am gleichen Tag in einer Frittenbude, in der ich sonst Telespiele spielte, Geld in einen Automaten. Es war ein M...iM...i. Ich tat es zu dem Zeitpunkt noch nicht alleine, sondern mit einem Freund. Kurze Zeit darauf machte bei uns im Ort die erste Spielhalle auf. Auch dort ging ich erst nicht alleine hin. Wir waren eine Clique. Mit der Zeit jedoch blieben die Freunde weg und ich saß alleine vor den Automaten.
Eine Zeit lang war ich mit einem Tankwart befreundet und wir tingelten abends durch die sprießenden Spielhallen in der Umgebung.
Natürlich war ich zu dem Zeitpunkt erst noch in der Lehre und bekam gerade einmal 420 DM ausgezahlt und gab davon noch 200 DM zuhause ab. Doch ich trug noch Zeitungen aus und auch mein Vater hatte immer etwas zu tun für mich, da er sich gerade selbstständig gemacht hatte.
All das Geld landete mehr und mehr in den Automaten.
Was war da aber mit mir passiert? Für mich hatte das Glücksspiel eine Funktion. Bei all den Jobs und Nebenjobs, es gab nämlich noch weitere, war ich ständig unter Stress. Am Automaten versuchte ich diesen zu kompensieren, bekam aber durch den "Spaß" gar nicht mit, dass ich dabei weiter unter Stress stand. Da wurde nichts kompensiert. Weiter gab mir der Automat Bestätigung, z.B. mit Gedanken, wie ich sie oben bereits beschrieben hatte. Mein Vater hatte narzistische Züge. Klar gab es Bestätigung auch von ihm, doch er nahm sie mir wieder weg, sofern ich nicht spurte. Seit meiner Kindheit hatte sich so einen Argwohn in mir aufgebaut, die ausgesprochene Bestätigung zu akzeptieren. Wenn sie mir beliebig wieder entzogen werden konnte, konnte sie ja nicht echt sein. Der Automat machte das nicht. Er nahm mir die Bestätigung nicht wieder weg.
Obwohl meine Eltern nicht reich waren, hatte ich bisher auch keinen Bezug zum Geld aufbauen können und ich tat es auch nicht, als ich dann am Automaten spielte.
Aber nicht nur, dass diese Funktion existierte, ich gewöhnte mich auch an das Automatenspiel. Mein ganzes Leben baute sich darum auf. Wir Menschen sind nun mal Gewohnheitstiere ... was zu funktionieren scheint, das wird beibehalten und ausgebaut.
Und so steigerte ich wie Du die Zeiten mit dem Glücksspiel und auch die Einsätze wurden erhöht.
Dies hängt auch damit zusammen, dass das menschliche Belohnungssystem angesprochen wird. Es werden Endorphine ausgeschüttet, die uns gefallen und die wir mehr und mehr wiederholt verspüren müssen. Der Körper stumpft aber ab. Er kann nur eine bestimmte Menge verarbeiten, Situationen, die einst mit einem Höchstmaß an Glücksgefühlen erlebt wurden, werden nur noch als mittelprächtig empfunden.
Dies macht auch die Entwöhnungsphases so langweilig und uninteressant. Doch sei versichert, Du gewöhnst Dich auch wieder zum Normalzustand zurück.

Ich finde es prima, dass Du in so jungen Jahren schon so selbstreflektiert bist, dass Du erkennst ... das schaffe ich nicht alleine, also suche ich mir Unterstützung! Bei mir hat es leider 20 Jahre gebraucht, bis ich das erkannt habe.
Du hast Dich dazu in diesem Forum angemeldet und hast Deinen ersten Beitrag verfasst. Ich frage hier gerne: Wie hast Du Dich vor dem Beitrag gefühlt? Wie fühltest Du Dich beim Schreiben? Wie beim Abschicken? Und was geht gerade in Dir vor, wo Du diesen Beitrag liest?

Und nun bedenke, dass Du das nur in einem virtuellen Raum gemacht hast. Mit Sicherheitsabstand. Wir hier am anderen Ende des Internets haben keine Gesichter - wir sind nur Pixel auf einem Bildschirm. Der Bildschirm schaut Dich nicht an und sieht "Dich" nicht. Er reagiert nicht auf Deine Gefühle und Bedürfnisse, die Du über Deine Körpersprache offerierst.

Du bist enttäuscht von Dir, dass Du rückfällig geworden bist? Das musst Du aber nicht sein. Du hast versucht, es "alleine" mit Dir auszumachen. Das brauchst Du aber nicht, wie Du nun siehst. Suche Dir bitte in Deiner Nähe eine SHG und dann gehe da auch regelmäßig hin. Es braucht etwa ein dreiviertel bis ganzes Jahr, bis Du Dich wieder entwöhnt hast. In der Zeit zumindest brauchst Du Leute um Dich, die Dich verstehen, selbst wenn Du das, was Dich gerade bewegt, nicht in viele Worte packst.

Ich beende hier erst einmal und werde mir nun Frühstück machen ... Schreiben macht hungrig ... ;)
« Letzte Änderung: 16 März 2023, 08:03:09 von Olli »
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Der Tiefe Fall
« Antwort #2 am: 16 März 2023, 07:10:18 »
Hi Smurfer,

erstmal super, dass du dich hier meldest und deine Geschichte mitteilst. Olli hat ja schon einen langen und guten Post geschrieben.

Du kannst es auch als Chance begreifen, dass du so früh (mit 21 und nach "schon" 2 Jahren Spielphase) erkennst das du da ein Problem hast und dir Unterstützung suchst.

Noch als Tipp von mir -> Such dir in der Nähe eine Suchtberatungsstelle und mache dir dort einen Termin. Die können dich erstmal startmäßig beraten und dir die Möglichkeiten in deiner Region aufzeigen wie du an Unterstützung kommst.

Ich weiss es ist schwer, aber vielleicht hast du ja auch Menschen in deiner Familie und/oder Freunden denen du es anvertrauen kannst.
Soziale Unterstützung ist so wichtig und kann dir auf vielen Ebenen helfen.

Ich habe es beim letzten Rückfall geschafft mich erstmals etwas mehr Menschen zu öffnen und mir einzugestehen, dass es auch in Ordnung ist verletzlich zu sein.

 

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