Guten Morgen!
Ich möchte keinesfalls Partei ergreifen oder mein eigenes einstiges Verhalten rechtfertigen. Trotzdem finde ich es wichtig, dass auch ein/e Angehörige/r nachvollziehen kann, was einen da bewegt im Endeffekt sogar riesige Vertrauensbrüche zu begehen.
Nun, jeder Mensch lügt. Doch zumeist sind sie klein und niemand stört sich daran, wenn sie denn auffallen. Person A: Wie geht´s? Ich: Gut ... (Gedankenblase: Boah ... was habe ich schlecht geschlafen. Bin erkältet und total durch den Wind. Eigentlich gehöre ich ja ins Bett bei dem Schüttelfrost.)
Wenn ich schon mal schreibe, dass für eine Genesung die absolute Aufrichtigkeit nach Innen und nach Aussen erforderlich ist, dann beziehe ich mich nicht auf solche Situationen. Das würde definitiv in Richtung Oversharing gehen. Lügen haben eine Schutzfunktion. Damit kann sich sowohl der Absender schützen, als auch der Adressat geschützt werden.
Wenn ein Süchtiger anfängt zu lügen, dann nutzt er diese Schutzfunktion als ein ganz natürliches Mittel der Kommunikation. Er weiss ganz genau, was er da macht, hat er doch gegen die Regeln seiner sozialen Gruppe verstoßen und auch gegen seine eigenen Werte. Ihm ist unwohl bei der Lüge und schiebt die Gedanken daran schnell an Seite. (Ich denke gerade an meine Telespielstunden in der Frittenbude und die Frage meiner Mutter: Wo warst Du? Ich: Bei Ralf zuhause ... )
Das Fatale hieran ... Die Lügen steigen in ihrer Frequenz äquivalent zur Suchtausübung. Wir wissen aber ja auch, dass Süchte immer progressiv sind, wenn ihnen nichts entgegen gesetzt wird. Die Lügen werden zur Normalität - es schleicht sich ein Automatismus ein. Die Lüge verlässt den Mund, bevor überhaupt eine Antwort auf eine Frage im Oberstübchen erarbeitet werden kann. Erst wegrennen, bevor ich darüber nachdenke mit dem Löwenkätzchen vielleicht zu kuscheln.
Die absolute Aufrichtigkeit, die ich immer anspreche soll helfen, diesen Automatismus zu unterbrechen.
Zurück zu den sich steigernden Lügen. Mir war ja klar, dass es Lügen waren. Doch mir fiel gar nicht auf, dass sie sich häuften. Für mich war es auch legitim, wie bei der Lüge nach der Frage: Wie geht´s? Die Suchtausübung machte mir Spaß - ich konnte mich aber auch ärgern. Wie ich später herausfand, ging es einzig um das Erleben ausgesuchter Gefühle. Auch hier schlich sich ein Automatismus ein ... gab es irgendwo Krach, Stress oder sonstiges Negatives ... ab an den Automaten ... Irgendwann war es auch legitim am Automaten zu sitzen, wenn es mir gut ging. Die Sucht bestimmte mein Denken und mein Handeln. Aber bitte ... ich war auch kein willenloser Zombie.
Wenn sich nun die Lügen häuften, verstieß ich auch immer wieder gegen meine Werte, was mir intuitiv nicht gefiel und was für Unwohlsein sorgte.
Auch hier gibt es einen Automatismus, wenn ich an all die Erfahrungen von anderen Spielern denke ... wir fangen an an unsere eigenen Lügen zu glauben. Mir war doch klar, dass meine Lügen nicht geglaubt wurden. Sollte ich das etwa durch meine eigene Körpersprache auch noch bestätigen?
Ich hatte doch gelogen, ium meine Ruhe zu haben. Ich wollte mich schützen vor weiteren unangenehmen Fragen. Ich wollte mich nicht mit mir auseinander setzen - ich wollte nicht wissen, wie Sch...e ich war ... ich wusste es doch schon.
Also musste ich Überzeugung in meine Lügen packen - ich musste an sie glauben. Das klappte tatsächlich ... es gab keine Rückfragen mehr und selbst die zweifelnden Blicke wurden seltener.
Was ich nur nicht in den Griff bekam, das war die Kluft zwischen Lüge und Realität. Die wurde nämlich immer größer und ich musste mir sogar schon Geschichten um eigentlich harmlose Lügen herum ausdenken. Gerade flashen Erinnerungen in mir auf. Als ich gen Mitternacht aus der Spielhalle kam und aus der Nachbarstadt nach Hause fuhr. Wird meine Mutter wach sein, wenn ich nach Hause komme? Wird sie rein zufällig auf Toilette gehen, wenn ich gerade in mein Zimmer gehe? Soll ich ihr lieber Geschichte A oder doch besser B auftischen?
Der ein oder andere wird sich jetzt angesprochen fühlen, wenn ich davon spreche, dass ich natürlich auch den Gedanken hatte meine Mutter mit der Lüge zu beschützen. Ach ... sie sollte sich doch nicht aufregen ... Ach, was war ich selbstlos ... (Ironie off)
Das Lügen wurde also zu einer Dauerbeschäftigung. Je größer das Konstrukt wurde, umso mehr drehte sich meine Zeit auch um die gedankeliche Beschäftigung damit. Sie gewannen in mir an Bedeutung - auch wenn mir das nicht bewusst war.
Das Aufgeben der Suchtausübung stand dabei nie zur Debatte! Die füllte doch eine Funktion aus. Für mich war es ein Gefühl der Freiheit sie auszuüben. Alleine die Vorfreude, wenn ich wusste ... dann und dann kommt ein kleiner Geldregen ... da kann ich in die Halle und an 8 Automaten gleichzeitig spielen. Wer hatte "das Recht" mir das abzunehmen?
Ja sicher ... ich log ... doch dafür halb ich doch im Haushalt. Ich half im Garten. Ich schrieb Rechnungen, Angebote und machte sonstigen Schreibkram für die Firma meines Vaters. Ich fuhr in der Mittagspause los und besorgte Material, welches ich nach Feierabend auf die Baustelle brachte. Wenn ich Freitag Mittag dienstfrei hatte, dann fuhr ich oft genug auf die Baustellen, um Wände und Böden zu verfugen oder meinem Vater beim Fliesen zu helfen. Keine Ahnung wie viele Samstag und Sonntage ich auf Baustellen verbracht habe. Hatte ich denn da nicht das Recht mir meinen eigenen Freiraum zu schaffen - etwas, was nur mir gehörte? Ne, ne ... da durfte mir niemand hineinreden ...
Mal abgesehen davon ... wen schädigte ich denn mit meinem Spiel? Ich habe doch mein Geld verspielt. Ich habe das erarbeitet und ich darf doch wohl darüber entscheiden, was damit geschieht! Klar ... ich konnte an einigen Urlauben nicht teilnehmen. Aber das war doch OK, dann blieb ich eben zuhause ... na und? Die Anderen konnten doch unabhängig von mir in Urlaub fahren.
... Mache hier mal einen Cut. Wie Du siehst, geht das Lügen auch mit Verharmlosung einher. Dass die Lügen auch Vertrauensbrüche beinhalten, wird vollkommen ausgeblendet.
In Eurem Fall wird sich Dein Mann auch so Einiges dabei gedacht haben bei Dir die Unterschrift zu erschleichen. Eine gewollte Schädigung - was in der Realität aber sehr wohl stattfand - Deiner Person gelangte als Möglichkeit vielleicht gar nicht in das Bewusstsein Deines Mannes.
Der Spruch von oben soll nur nahe legen, dass wir handeln müssen, wenn uns etwas stört.
Wenn ich nicht lügen will, dann muss ich das im Kern ersticken.
Wenn ich ein Problem habe, dann muss ich es ansprechen.
Wenn ich Suchtdruck habe, dann muss ich entweder Skills anwenden oder mich der Situation stellen.
Wenn ich Mist gebaut habe, dann muss ich dazu stehen!
Wenn ich meine Familie nicht verlieren möchte, dann muss ich an mir arbeiten und mein Bestes geben!
...
Puh ... jetzt habe ich aber einen Schreibanfall gehabt ... eieiei ...