Ich mußte mein gesamtes Leben komplett umkrempeln, meine Denkweise, Ansichten, Herangehensweisen und Beziehungen hinterfragen. Das klappte nicht von Heute auf Morgen, und ist auch nicht eines Tages 'abgeschlossen'. Zumindest nicht bei mir. Den Kopf in den Sand zu stecken, und es 'Auszusitzen', löst den Knoten aber nicht, sondern zieht ihn nur unweigerlich fester. Weglaufen hat bei mir noch nie funktioniert. Um auf Dauer zu bestehen, braucht es einen Wandel vom krampfhaften Unterdrücken zur inneren Überzeugung, und das gilt nicht nur für das Spielen an sich.
Ich war lethargisch und antriebslos, da fiel das 'Aufraffen' mitunter schwer. Wozu das Ganze? Wann geht es mir endlich besser? Ohne diese Achterbahn zu leben war absolut nicht leicht. Es hatte mein ganzes Leben vereinnahmt: Geldbeschaffung, Zeit freischaufeln, Vertuschen... Dann brach alles auf einmal über mir zusammen, und ich hatte keinen 'Fluchtweg' mehr. Der Anfang war beängstigend und einschüchternd.
Im Rückblick ist mir aber eines klar: Ich hatte mich schon lange vor dem Zusammenbruch ins gesellschaftliche und soziale Aus gespielt. Es war nichts mehr übrig, und das Wenige, was ich noch hatte, war ungesund für mich. Ich mußte also bei Null anfangen.
Ich war so routiniert im Lügen und Fassadenbauen, daß ich mir sogar selbst glaubte. Meine bessere Hälfte ist bis heute der festen Überzeugung, ich wäre viel zu ehrlich und selbstlos... und der miserabelste Lügner auf dem Planeten.
Übrigens eine weit verbreitete Außenwahrnehmung, die mir immer sehr zugutekam. Schon ziemlich krank, soviel Energie in eine Fassade zu stecken, um etwas zu schützen, was mich in periodischen Abständen durch den Reißwolf drehte.
Somit war ich doch unehrlich, denn ich machte allen etwas vor.
Ich bin loyal und pflegeleicht, wenn auch ziemlich still und in mich gekehrt. Das kann ich nicht ablegen, aber es ist auch genau der springende Punkt: Wenn ich nicht rede, kann mir auch keiner helfen; wenn ich nichts erzähle, kann auch niemand zuhören. Keiner kann Rücksicht auf etwas nehmen, von dem er nichts weiß.
Die Angst, verletzt zu werden, jemanden zu enttäuschen oder selbst enttäuscht zu werden... sie hemmt. Sie hindert uns daran, Dinge auszuprobieren und uns selbst die Möglichkeit zu geben, aus ihnen zu lernen, und so Veränderungen herbeizuführen. Viele wichtige Entwicklungsprozesse, etwas, was 'gesund' und richtig wäre, werden aus Angst vor Zurückweisung und Nicht-Verstanden-Werden weiterhin unterdrückt. Jahrelang habe ich Verletztheit, Enttäuschungen, Unverständnis und Frust verdrängt. Dann kam alles an die Oberfläche, und ich wußte nicht damit umzugehen. Ich wußte nur eins: Das will ich nicht nochmal erleben, weil es mir hinterher schlecht ging und es wehtat. Entsprechend verhielt ich mich auch weiterhin. Distanz verspricht Sicherheit.
Aber auch für andere läuft nicht immer alles glatt. Sie sagen sich dann bloß einfach "Gut, dann eben nicht."
Um Positive Erfahrungen überhaupt machen zu können, muß man aber immer einen Schritt aus der Komfortzone wagen.
Nach dem Leben unter Strom kam eine Phase der Euphorie - und dann die große Leere. Ich kann es aber inzwischen ganz gut aushalten, auch mal nichts zu tun, auch wenn es allein mit mir im stillen Kämmerlein meist ein ziemliches Chaos 'da oben' ist.
Das mit der App ist eine gute Idee. Etwas neues zu lernen ist ein guter Weg, sich an die neugewonnene Zeit mit sich selbst zu gewöhnen. Durchhaltevermögen haben wir genug, so läßt es sich sinnvoll nutzen.
Du hast selbst gesagt, daß du sehr viele Dinge an dir schätzt und eigentlich ein netter Kerl bist. Glaub mir, die meisten Leute würden das durchaus ähnlich sehen - sofern du sie läßt.
Auch mir fällt das alles andere als leicht, und ich gehe so gut wie nie auf andere zu, aber es ist erstaunlicherweise tatsächlich so.
Du kannst Vergangenes nicht ändern, aber du kannst es heute anders machen.
Trau dich einfach mal. Es lohnt sich.