Hi!
Gestern beim Videochat erst habe ich erklärt, dass ich damals so erzogen/gepolt/gestrickt war, immer Leistung zu erbringen.
Dies hat zu permanentem Stress geführt. Und obwohl ich immer dachte, dass dieser Stress auf der Arbeit und der Arbeit für meinen Vater durchaus positiv besetzt war, legte das Spielen immer noch einen oben drauf.
Zu meiner Zeit gab es die Multigamer noch nicht. Da waren die Walzengeräte noch in.
Und so bestückte ich nicht nur einen Automaten, sondern direkt 2, 3, 4 oder mehr - je nachdem, was mir an Suchtmittel gerade zur Verfügung stand.
Obwohl die meiste Zeit eigentlich der See still ruhte, so erinnere ich mich doch intensiver an die Tage, an denen ich von einem Automaten zum Nächsten flitzte um die Risikoleiter zu bedienen.
So verging die Zeit wie im Fluge und ich musste oft genug gebeten werden zu gehen, da die Lokalität überraschender Weise schon schloss.
War das Geld knapp, wie eigentlich immer, dann spielte ich auch nur an einem Automaten.
Oft genug gab es auch Bekanntschaften, gerade in Kneipen, mit denen ich dann zusammen spielte.
War ich alleine, dann beschäftigte ich mich mit dem Automaten - "Mist, der ist heute zu" - "Wenn die Kombi aus Geräuschen und Licht in einem bestimmten Muster auf mich wirkten, dann müsste der Automat bald was bringen" usw.
Auch hier verging die Zeit schneller, wenn auch zähflüssiger.
Spielte ich mit Anderen zusammen, dann gab es fast ausschließlich dieses Zockergewäsch, was wohl fast jeder hier kennt.
Der Effekt war der Gleiche ...
Allen Situationen gemein war jedoch, dass ich nun keine Zeit hatte mich mit mir selbst zu beschäftigen.
Das war aber nur die Zeit während des Spielens, nach der hier gefragt wurde.
Die Zeit vor und nach dem Spielen war aber auch ziemlich häufig mit der Sucht ausgefüllt.
Da meine ich also die Geldbeschaffung durch Nebenjobs. Die Vorfreude, wenn es das Geld für den Nebenjob bar auf die Hand gab.
Die Vorfreude, wenn ich mich mit diesem Geld auf den Weg machte in irgendeine Spielhalle.
Auch hier lenkte ich mich permanent von mir selbst ab.
Ich gehöre zu der Fraktion, die behauptet, dass ich ohne das Glückspiel nicht der wäre, der ich nun bin.
Natürlich wäre es mir auch lieber gewesen diese Erfahrungen wären an mir vorüber gegangen.
Doch das ist Vergangenheit und lässt sich nicht mehr ändern.
Wahrscheinlich, wenn sich die Zeit zurückdrehen ließe und ich stünde mit dem gleichen Wissen, wie damals, wieder vor der Entscheidung zu spielen oder eben nicht - würde ich mich wohl wieder für das Spielen entscheiden.
So erinnere ich mich gerade an die 11. Klasse zurück, als ich meine Fächer wählen musste.
Psychologie stand dort auf dem Plan. Ich weiss noch, als wäre es erst gestern gewesen, dieses Fach habe ich angewiedert sofort für mich ausgeschlossen.
Vielleicht hatte ich ja da schon Angst davor, was mich erwarten würde, wenn ich über "mich" sprechen müsste im Unterricht?
So ist die beste Entscheidung, die ich je getroffen habe, die, das Glückspiel komplett an den Nagel zu hängen.
Es war ein langer Prozess, bis ich diese Entscheidung getroffen habe. Dazu hatte ich ja keine Zeit - so vorm Automaten sitzend ... über 20 Jahre ...
Für mich gehört es zum Genesungsprozess dazu die Suchtausübungszeit als das anzunehmen, was sie ist.
Sie ist vorbei - sie ist Geschichte - aber eben auch meine Geschichte. Sie ist unveränderbar mit mir verbunden.
Wenn ich sie verleugnen würde, dann würde ich mich selbst verleugnen.
Egal, ob es damals anfänglich in der SHG, in meiner Familie war oder wie ich es heute auch bei vielen Anderen erlebe - das Thema Sucht ist extrem schambesetzt.
Scham ist ein Gefühl, welches mir deutlich macht, dass ich etwas entgegen einer Norm gemacht habe.
Ich habe etwas "falsch" gemacht, was vor Allem Andere jetzt mitbekommen haben.
Doch die Scham existiert immer nur in meinem Kopf verbundem mit dem, was Andere über mich denken würden.
Wird aber darüber gesprochen mit diesen Anderen, dann stellt sich oft genug heraus, dass alles reine Fiktion war.
Heute spreche ich ohne Scham über meine Zeit vor den Automaten.
Dies nicht nur hier, sondern auch im Real-Life, wenn der Gegenüber darüber reden möchte.
Ich wäre wahrscheinlich in meinen Strukturen gefangen geblieben, ohne es selbst zu merken, hätte ich meine Abstinenzentscheidung nicht getroffen.
So wären mir viele Freuden verwehrt geblieben. Nicht die wenigen Großen, die man so im Leben hat.
Nein - die Kleinen, die alltäglich auf uns einprasseln.
Das morgentliche Vogelgezwitscher, welches mich bei geöffnetem Fenster aus dem Schlaf begleitet.
Der Autofahrer, der mir zuwinkt abzubiegen, obwohl es Vorfahrt hat.
Das Lachen von Kindern, die draussen spielen.
Das Lächeln, welches sich bis zu den Augenwinkeln fortsetzt.
Ein Dankeschön - ein Lob, welches von Herzen kommt.
Reale Begegnungen, wie auch die gestern im Videochat - vis à vis.
Gleiche Ziele, die unterschiedliche Menschen vereinigen.
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