Hallo und guten Morgen,
ich wollte - als Jurist, der selbst spielsüchtig war/ist und leider auch alle paar Monate Rückfälle hat - mal meinen Senf dazu geben. Bitte seht mir meinen langen Beitrag nach. Es ist mein erster Beitrag und ich will Vieles loswerden. Und außerdem hören sich Juristen gerne reden...
Zunächst mal meine wichtigste Erkenntnis zum Grundproblem: Spielsucht heißt lebenslänglich. Meiner Ansicht nach gibt es hierfür keine Heilung. Man kann bestenfalls im Rang aufsteigen vom Spielsüchtigen zum Spielsuchgefährdeten, der spielfrei ist. Aber für jeden, der dieses Forum aus Gründen eigener Betroffenheit besucht, wird das Glücksspiel ein lebenslanges Problem bleiben. Bei mir zeichnet sich ein Rückfall meist zunächst durch weiche Drogen wie Lotto und Rubbellose ab. Danach geht's ins Casino.
Dann mal meine Ansicht zu Offline Casinos: Ich habe es geschafft, an Spielotheken das Interesse zu verlieren. Dabei haben mir auch Ersatzdrogen wie Automatenspiele ohne Geldeinsatz, aber mit viel Realismus (die Software Groschengrab Deluxe) geholfen. Generell finde ich aber, dass Spielotheken immer noch zu lasch reguliert sind. Eine zentrale Spielerkarte für alle Automaten und eine einheitliche Sperrdatei - so wie in einigen nördlichen Ländern - sind das Mindeste, wenn man als Staat Spielerschutz ernst nehmen will. Immerhin sind nach offiziellen Angaben ca. 500.000 Menschen in Deutschland spielsüchtig oder weisen ein problematisches Spielverhalten auf (Vorstufe zur Sucht, Quelle: Jahrbuch Sucht 2018 der DHS). Meiner Ansicht nach liegt die Dunkelziffer viel höher, ich denke es sind eher 2 - 3 Millionen. Das heißt aber, wir reden von einem Millionenpublikum Kranker, von denen eine ganze Industrie lebt. Kein Casino verdient mit den oftmals erwähnten, wohl eher im Mystischen existierenden "Freizeit-Spielern, die nur zum Spaß in ein Casino gehen". Es ist geradezu pervers, dass der Staat hier zuschaut und noch mitverdient. Aber das ist ja wie beim Rauchen. Da hat es auch 50 Jahre gedauert, bis man von der Erkenntnis, dass Rauchen Krebs auslöst, mal zu Schockbildern und relativen Werbeverboten kommt. Das Verbot der Zigarette wird wohl noch mal 50 Jahre dauern. Nur bis dahin wird die klassische Zigarette schon längst vom Markt durch neue Varianten verdrängt worden sein. Das ist wie bei Online Casinos, die irgendwann die Spielotheken vertreiben werden.
Meine Ansicht zu Online Casinos: Hier gibt es keinerlei Kontrollmechanismus. Der Glückspielstaatsvertrag ist das Papier nicht wert, auf dem er gedruckt wurde. Hier liegt ein massives und anhaltendes Staatsversagen vor. Tausende Anbieter betreiben in Deutschland illegales Glücksspiel und der Staat schaut zu. Die Casinos, Zahlungsdienstleister und Banken verdienen sich ein goldenes Näschen und dem Fiskus entgehen Milliarden Euro an jährlichen Steuereinnahmen. Wie auch bei Offline Casinos belügen sich hier im Grunde alle gegenseitig und alle verdienen letztlich am suchtkranken Spieler. Der ist seiner Sucht - die sich schon bei Offline Casinos nur begrenzt bekämpfen lässt - völlig schutzlos ausgeliefert. Spielersperren sind lächerlich. Ich habe mich schon bei über 200 Casinos sperren lassen, da bleiben dann nur noch gefühlt 9.800 übrig, die es derzeit gibt. Und jeden Tag kommen Neue dazu. Einige Anbieter gründen 10 Tochterunternehmen, die alle dieselbe Website im nahezu identischen Design anbieten. Nur der Name wird verändert. Und schon hat man 10 Casinos, bei denen man sich einzeln sperren lassen muss.
Aber auch legale Online Casinos sind/wären eine ausufernde Gefahr. Es mangelt an jeglichem Spielerschutz. In Spielotheken kann man in wenigen Stunden hunderte Euro verlieren. Verbessert man hier den Spielerschutz - bspw. durch eine einheitliche Spielerkarte, die nur an einem Automaten gleichzeitig einsetzbar ist, ein programmiertes Limit hat und auch gesperrt werden kann - lässt sich dem Suchtproblem begegnen. In Online Casinos aber kann man schon in einer Stunden zehntausende Euro verlieren. Es gibt keinerlei Limit, abgesehen von astronomisch hohen Tischlimits (5.000 € pro Einsatz etc.). Online Casinos sind allgegenwärtig, ständig verfügbar und in jedem Geisteszustand von überall aus nutzbar. Das kann einfach nicht angehen. Hier braucht es dringend eine europaweite Instanz und ebenfalls ein einheitliches Spielersystem. Z. B. eine Gambler Identification Number, die auf Antrag eines Spielers mit den Daten seines Wohnsitzes und seines Geburtsdatums usw. einmalig erstellt wird und die er bei jeder Casino Registrierung angeben muss. Verfügt er dann eine Self Exclusion, ist die Nummer für alle weiteren Spielteilnahmen in allen Online Casinos gesperrt. Das ließe sich leicht technisch umsetzen, denn alle Anbieter müssten nur die Nummer checken (so wie sie auch vor jedem Geldeinsatz den Kontostand des Spielers checken).
Nun zu den Zahlungsflüssen: Wenn sich kriminelle Machenschaften nur schwer unterbinden lassen, lautet der hilfsweise Ansatz des Staates und auch der EU eigentlich immer: Die Zahlungsflüsse unterbinden. Aber auch hier scheint man seine edlen Ziele zumindest in Deutschland selbst nicht ganz ernst zu nehmen. Wenn die Glücksspielbehörden ihre laut GlüStV zustehenden Befugnisse gegenüber Zahlungsdienstleistern nicht nutzen, berufen die sich immer schön auf Unwissenheit. Auch hier ist man als Spielsüchtiger auf sich allein gestellt. Immerhin erscheint es aussichtsreicher, sich selbst für alle möglichen Zahlungsmethoden zu sperren, anstelle sich in allen Casinos zu sperren, schon weil Letzteres unmöglich ist. Ich rate jedem Suchtkranken dringend, seine Zahlungswege möglichst selbst abzuschneiden.
Ich habe meine Kreditkarte gekündigt und mich für die meisten Zahlungsdienstleister sperren lassen. Giropay und Sofort/Klarna machen das auch problemlos. Nur Trustly verweigert einen Selbstausschluss und sie geben auch offen zu, dass sie dies deshalb tun, weil sie nicht verpflichtet sind, das anzubieten. Technische Gründe sind also nur ein Deckmantel. Deshalb habe ich denen ausdrücklich mitgeteilt, dass ich spielsüchtig bin und jede künftigen Transaktion von meiner IBAN ausdrücklich verweigere und dass mein Widerspruch unwiderruflich ist und auch nicht durch künftige Bezahlvorgänge abbedungen wird. Auf diese Weise könnte man als Süchtiger beim nächsten Rückfall zumindest sein Geld von Trustly zurückfordern, denn wer schon vorher erklärt, dass er Spielsüchtig ist und seine IBAN selbst ausschließen will, den kann man als Zahlungsdienstleister nicht sehenden Auges weiter Geld fürs Glücksspiel ausgeben lassen. Zumindest ist das meine Logik. Auf jeden Fall sollte man sich von Trustly nicht abspeisen lassen und dies mehrfach ausdrücklich betonen. Mehr kann man da nicht machen.
Auch weitere Dienste wie ecopayz, Skrill und Neteller schließen einem zumindest dauerhaft das Konto. Hat man vorher seine Adresse hinterlegt, ist diese wohl auch für Neuanmeldungen gesperrt. PayPal zieht sich ja erfreulicherweise selbst aus den Online Casinos zurück. Das ist sehr gut, denn PayPal braucht man ja wirklich öfter auch für normale Transaktionen. Natürlich wird es immer mal wieder neue Anbieter geben (gerade von der PaySafe Group). Aber deren Anzahl ist deutlich überschaubarer als die Anzahl der Online Casinos. Ich rate jedem Süchtigen, sich dann auch gleich bei den neuen Dienstleistern anzumelden und sofort das eigene Konto dauerhaft sperren zu lassen (nicht nur kündigen, denn sonst kann man das Konto ja einfach neu eröffnen).
Nun zum aktuellen Anlass: Chargeback bei Online Casinos: Meines Erachtens wird hier am Problem vorbei geredet. Die Spieler wollen ja ihr Geld nicht zurück, weil ihnen infolge des nichtigen Valutaverhältnisses rechtlich gesehen schon gar kein wirksamer Gewinn möglich war und sie deshalb auch keinen Verlust erleiden wollen. Sondern weil sie verloren haben. Wer im Online Casino gewinnt und das Geld nicht wieder verspielt, dürfte sich wohl kaum an seine Bank wenden. Auch die Kanzleien, die hier Hilfe versprechen, raten einem, schnellstmöglich nach Spielteilnahme die Bank zu kontaktieren.
Es ist aber geradezu bemerkenswert, dass dann Menschen, die gerade erst im Online Casino gespielt und verloren haben, kurz danach plötzlich die Illegalität bemerkt haben wollen und sich dann sofort vertrauensvoll an ihre Bank wenden, um dem bösen Treiben sofort den Geldhahn zuzudrehen. Von einem Bankkunden, der angewidert von der Illegalität nichts mehr von seinem Gewinn wissen will, hört man dagegen nie etwas. Wenn ich diese Situation neutral betrachte, erscheint mir das einfach nicht ganz koscher. Das gilt natürlich erst Recht, wenn man sich mehr als einmal an eine Bank wendet.
Ich will aber nicht pro Bank argumentieren. Im Gegenteil. Wenn die sich mehr als einmal vor Gericht auf ihre Unwissenheit beruft, ist das ebenso nicht koscher. Meine Bank hat letztes Jahr erst die Umsatzgebühr für Casinospiele von 3 auf 5 % erhöht! Wozu solche extremen Gebühren verlangen, wenn man andererseits argumentiert, es sei unzumutbar, bei jedem Umsatz mit MCC 7995 die Legalität zu prüfen? Ich finde es durchaus offensichtlich, wenn man die rechtliche Situation in Deutschland kennt. Dann muss die Bank nur 3 Sachen prüfen: Ist der MCC 7995? Ist der Wohnsitz des Kontoinhabers außerhalb von SH? Steht der Anbieter NICHT auf der Whitelist des Wohnsitzbundeslandes? Bei 3 x ja ist das Ganze offensichtlich rechtsmissbräuchlich.
Hier die Einwände: "MCC 7995 umfasst aber auch legales Glücksspiel, wie Sportwetten oder Spielotheken in Deutschland!" - Ok, wenn aber der Anbieter sowohl Sportwetten als auch - auf derselben Website - Casino anbietet, ist das ohnehin nicht konzessionsfähig. Denn dafür müssten Sportwetten und Casino Angebote klar getrennt und nicht miteinander verlinkt sein. Wird bei derselben Domain schwierig (bspw. sports.phantasydomain.com und casino.phantasydomain.com). Meiner Ansicht nach ist deshalb auch die Teilnahme an / das Veranstalten von Sportwetten auf Anbieterseiten, die ebenso Casino anbieten und dies auf der Sportwetten-Seite auch verlinkt haben, illegal. Ich kenne keine Website, die nur und ausschließlich Sportwetten anbietet. Noch einfacher ist es, wenn der Anbieter sowieso keine Sportwetten anbietet, sondern nur Casino Spiele (und keine Lizenz hat, also keine deutsche Spielothek oder staatliches Lotto ist). Somit wären alle Transaktionen über MCC 7995 bei solchen Anbietern offensichtlich rechtsmissbräuchlich. Nur die Spielotheken in Deutschland sind ausgenommen. Aber die sitzen ja in Deutschland, während wir bei illegalen Online Casinos immer von Anbietern mit Sitz im Ausland reden.
"Die Bank kennt aber den Anbieter gar nicht! Das Geld wird vom Acquirer eingezogen!" - Ok, aber die Bank hat mit dem ja einen Vertrag geschlossen. Meiner Ansicht nach müsste sie sich dann auch das illegale Geschäft des Acquirers zurechnen lassen. Denn es ist Sache der Bank, die Geschäfte des Acquirers zu kennen und nicht Sache des Bankkunden. Ist das Valutaverhältnis aus Sicht des Acquirers offensichtlich rechtsmissbräuchlich, dann würde ich diese Kenntnis auch der Bank zurechnen. Die kann dann ihren Acquirer ja gern in Regress nehmen. Nimmt man die Bank aber über so eine Dreiecksbeziehung aus der Haftung, dann umgeht man faktisch das Ziel von § 670 BGB, den Karteninhaber vor rechtsmissbräuchlichen Aufwendungen zu schützen. Das Gleiche gilt, wenn die Bank nur mit VISA/MASTERCARD etc. einen Vertrag hat und diese wiederum mit dem Acquirer. Es darf aus Umgehungsschutzgründen meines Erachtens keine Rolle spielen, wie viele Institutionen man hier zwischenschaltet.
"Das Prüfen einer Whitelist ist unzumutbar im schnellen Zahlungsverkehr!" - Ok, aber wie rechtfertigt man dann 5 % Umsatzbeteiligung? Außerdem muss die Prüfung ja nur einmal geschehen und kann jederzeit und vorab vorgenommen werden. Illegale Anbieter bleiben illegal, solange sich die Rechtslage nicht ändert. Man muss also keineswegs bei jedem Zahlungsvorgang nochmal neu prüfen. Einmal prüfen und das Ergebnis speichern. Das lässt sich übrigens problemlos automatisieren. Selbst neue Whitelists könnten automatisiert ausgewertet werden. Dass keine Offensichtlichkeit vorliegen soll, nur weil die Bank nie in die Whitelists schaut, überzeugt mich nicht. Hier billigt man sehenden Auges das erhebliche Risiko, dass die MCC 7995 eben doch mit einem illegalen Glücksspiel im Zusammenhang steht.
Allerdings könnte sich auch der Acquirer darauf berufen, dass er davon ausging, dass der Spieler legal spielt. Denn die Illegalität des Angebots kennt im Zweifelsfall nur das Online Casino, weil es den Wohnsitz des Spielers kennt. Das Online Casino wiederum wird in seinen AGB sicher jede Haftung ausschließen und dem Spieler die Verantwortung dafür aufbürden, dass er legal spielt. Und so schließt sich der Kreis: Am Ende ist der Spieler der Dumme. Wie immer beim Glücksspiel.
Das Casino weiß von nichts, der Spieler hat ja den AGB zugestimmt. Der Acquirer weiß von nichts, er geht ja davon aus, dass in dem Online Casino alle legal spielen (was ja außerhalb von Deutschland auch so sein kann). Die Bank weiß von nichts, der MCC ist ja mehrdeutig. Und der Spieler? Der will natürlich auch nichts von der Illegalität gewusst haben. Diese Wolke aus Unwissenheit ist die logische Konsequenz aus dem staatlichen Versagen bei der Regulierung eines Marktes, in dem alle an Menschen verdienen, die im Zweifelsfall krank sind und sich gegen ihre Sucht und die Institutionen nicht ausreichend zur Wehr setzen können.
Prozessual gesehen gibt es nun mal aktuell eine Patt-Situation. Während 2 AG (München, Leverkusen) den Aufwendungsersatzanspruch ablehnen, halten ihn 2 LG (Berlin, München) für begründet. In zwei der drei negativen Verfahren hat die nächste Instanz mit Hinweisbeschluss angedeutet, dass es die Auffassung tendenziell bestätigen wird (LG Berlin, OLG München). Somit bleibt einem nur das Warten auf ein "richtiges" Urteil eines oder besser mehrerer OLG oder am besten des BGH. Ehe der entscheidet, dürften aber alle Reklamationsfristen abgelaufen sein. Das Prozessrisiko ist damit durchaus als hoch einzustufen. Im Zweifelsfall schaltet man in den Kreis der Profiteure von der Spielsucht nur noch weitere Glieder hinzu: Die Anwälte und Gerichte, die entsprechend Geld kosten. Wer also nicht sowieso pleite ist und auf PKH setzen kann (wohlgemerkt mit 4 Jahren Rückforderungsmöglichkeit nach Abschluss des Verfahrens), der muss sich auf jeden Fall fragen, in welchem Verhältnis Anwalts- und Gerichtskosten zum Streitwert stehen. Bei einem derzeit tendenziell 50+ % Risiko auf eine Niederlage, spätestens in der zweiten Instanz, müsste dieses Verhältnis schon sehr günstig sein...
Lange Rede, kurzer Sinn: Wie einige andere auch schon angemerkt haben, ist es das Beste, mit dem Verlust zu leben und die Ursache (Spielsucht) zu bekämpfen. Das kostet weit weniger und bringt weit mehr als sich Geld zurückzuholen (abzgl. Anwalts- und Gerichtskosten), das man im Zweifelsfall auch bloß wieder verzockt (und sich spätestens dann strafbar macht). Es bleibt dabei natürlich das ungute Gefühl, dass man auf dem deutschen Glücksspielmarkt weiterhin auf sich gestellt ist, solange der Staat versagt und es insbesondere keinen wirksamen Spielerschutz gibt.