Hallo ihr Lieben,
habe eine ziemlich schlaflose Nacht hinter mir, und vorm Hahnenkrähen ging die Grübelei wieder los...
Meine Esssuchtgruppe steckt in einer tiefen Krise, und ich checkte meine Möglichkeiten ab. Am 28.07. wollen wir eine Gruppeninventur machen, und wenn ich der einzige Teilnemer im Meeting bin, ist ja alles perfekt: Dann bin ich ja der Intendant, der Schauspieldirektor, der Regisseur, der Hauptdarsteller, der Bühnenbildner, der Belechter in Personalunion. Nur das Blumenmädchen und das begeisternd applaudierende Publikum fehlen dann noch.
Ich habe das Bild von diesem Spektakel aus dem Buch "Emotions Anonymous" , eine Selbsthilfegemeinschaft für Seelische Gesundheit - mehrmals gelesen, und das umschreibt die Schwierigkeiten, Entscheidungen für sich und sein Leben zu fällen und zu verantworten.
Eingedenk meiner Spielabstinenz weiß ich, daß ich ja Entscheidungen für mein Leben finden kann, und diese auch umzusetzen vermag. Donnerstag war ich in einem Bahnhofsladen außerhalb, 'ne Flasche Wasser kaufen, da saß jemand, in dem Geschäft und spielte an zwei deutlich erkennbaren Geldautomaten. "Ach, so sehen die Dinger Heutzutage aus" , dachte ich nur , die Wasserpulle schnell zur Kasse bringend. Der Respekt ist da, und nimmt auch seinen Platz in mir Raum, das Triggern ist aber nicht dagewesen.
Samstag war ich zu einem Arbeitsmeeting meiner GA - Gemeinschaft. Es war für mich so intensiv, daß ich es mir zur Hausarbeit machen möchte, es in dem Rundbrief der Gemeinschaft zu schreiben. Inhaltlich geht es mir darum, wie gehe ich mit "Neuen" um?
Wenn ich mich erinnere: Sommer 1994, ich habe die Sonntage gehasst, die verfluchte Einsamkeit, keine Freundin, kein Händchenhalten am Stadtsee, kein Ausgehen, kein gemeinsamer Kinobesuch, nur warten, daß endlich Montag Morgen ist, zur üblichen Maloche eilen! Vor Verzweiflung bin ich eben in die Esssuchtgruppe gegangen. Ich öffne die Tür, und sehe den Raum voller bildschöner junger Frauen! Eine Teilnehmerin, kam auf mich zu , sie hatte ein besonderes Lächeln, als sie mich ansah um mich zu begrüßen, und so nahm ich im Stuhlkreis Platz.
Als 10 Jähriger Junge stellte ich fest, daß ich dicklich wurde. Ich war nie eine Sportskanone, Turnen war nie mein Lieblingsfach in der Schule. Ich erinnere mich, daß ich eine Zeit abends zur Turnstunde ging, dort ziemlich unglücklich am Reck hing, und beschwerlich auf dem Barren rumlag, es war eine Freude. Ein vorher schmalbrüstiger Schulfreund entwickelte sich aber sichtbar muskulär zu einer stattlich ansehnlichen Gestalt. Ich war noch nicht einmal neidisch, ich war eigentlich abgestumpft. "Alle anderen sind besser als ich, ich kann eben gar nichts"!. Das einzige was schön war, war Zuhause das Abendbrot. Die Mutter machte ich reichlich leckere Schnittchen. In der Schule die Turnstunden, der quälende Schulwettkampf, die Anfeuerungsversuche der Schulkameraden, aber dann die unglaubliche Scham in dem Duschraum, bis hin zum Penisneid in der Pubertät. Ich habe gegessen, weil ich mich schämte, Dick zu sein. Ergo gab es keine Tanzpartnerin, und weiter keinen "ersten Kuss", nur eine heimliche Liebe, die unausgesprochen blieb. (50 Jahre später sprach sie mich in der Stadtbahn an, heute sind wir auf Stay-Friends vereint).
Bezeichnend aber ist: die ersten Groschen, die ich in einen Spielautomaten geworfen habe, hingen in einer Imbissstube! Die Esssucht war bei mir vor der Spielsucht am Zuge, sie nimmt einen zentralen Platz in meiner Suchtstruktur ein. Die Spielsucht ist meine Kopfsucht, daher beherrscht sie meine Gedanken und Gefühle in ihrer Dominanz. Alle meine weiteren Süchte leiten sich in dem Ornigramm entweder vom Kopf oder vom Bauch her ab. Das Herz sitz im Zentrum der Achse und leidet und freut sich mit. Ich bin ja Herzrisikopatient, und übermorgen wieder beim Doktor, deswegen!
Was ich niemals vergessen darf ist, wie mein erster Eindruck, das erste reale Bild , das sich mir eingebrannt war, als ich den Raum einer Selbsthilfegruppe betreten habe. So , wie ich begrüßt worden bin, so möchte ich auch andere, in ihren Ängsten, Sorgen, Zweifeln begrüßen, und wenn es mir möglich ist, auch ein wenig von meinen Erfahrungen auf dem Weg zu Kraft und Hoffnung begleiten.
Vielleicht werde ich am 28. Juli abends den Schlüssel zwei mal umdrehen, wenn ich den Gruppenraum schließe, im Herzen bleibt immer eine Tür offen.
Ich bin traurig, das ist im Hier und Jetzt, und das darf sein.
Ich weiß aber, daß ich Heute einen wunderbaren Tag vor mir habe, an dem ich nicht Spielen gehen brauche, und den ersten zwanghaften Bissen sein lassen kann.
Es ist vielleicht gut, eine Cäsur zu machen, dort wo sie angesagt ist. Nach einem Klinikaufenthalt 2009 bin ich 4 Jahre nicht in meiner Spieler Gruppe gewesen. Die Gruppe hat damals geschlossen, und Heute reißen sich die Gruppenmitglieder um die Dienste, die ein Gruppenleben erst ermöglichen.
Darauf möchte ich mich besinnen,
Einen Tag zur Zeit.
Danke für das Teilen
Andreas