Guten Tag und sorry für die späte Rückmeldung. Im Moment habe ich so gut wie gar keine Zeit zum Nachdenken. Das ist aber leider auch nicht unbedingt gut für mich. Zuviel ist da genauso schlecht wie zu wenig, ich brauche das manchmal einfach, um das Chaos für mich zu ordnen.
Ich habe Urlaub. Anschließend kann ich mich wahrscheinlich irgendwo als Krankenpfleger bewerben. Meine bessere Hälfte sagte heute "So hast du dir deinen Urlaub sicher auch nicht vorgestellt. Wenn du nicht gelegentlich mal rausgehen und ein paar Besorgungen machen könntest, würdest du den ganzen Tag mit mir zusammen hier zu Hause wahrscheinlich platzen."
Ich war erstaunt. Es klang nichtmal negativ oder vorwurfsvoll. Nur eine Feststellung. So manches scheint man dann wohl leider doch zu bemerken, auch wenn ich mich bemühe.
Ich brauche hinterher jedenfalls Urlaub vom Urlaub. Ich kann sowas einfach nicht, es nagt doch sehr, dieses Gefühl, mal wieder auf ganzer Linie zu versagen, und ein egoistisches Ar***loch zu sein, weil ich einfach nur weglaufen und mich verstecken will, wenn ich mich unzulänglich und fehl am Platz fühle. Dann habe ich das Gefühl, zu ersticken, ich kann / möchte einfach nicht mehr, es macht mich wahnsinnig.
Jetzt im Moment ist das leider gerade sehr präsent.
Jemanden anlächeln, wenn er irgendwie die Fassung verliert, kann ich auch. Das, oder ich gehe einfach weg. Meistens reicht das, aber sie wird dann entweder richtig laut, oder blafft halt jemand anderes voll. Ersteres ist aber zum Glück nur einmal passiert. Letzteres ist hingegen kaum weniger nervig.
Ich habe es nicht eingesehen, mir das von jemandem anzuhören, der keine Ahnung hat, wovon er spricht, und mir vorwirft, ich hätte etwas nicht richtig erledigt, was eigentlich ihre Aufgabe ist. Sie wollte es (unter anderem) unbedingt 'machen' (zumindest offiziell), und erzählt auch gerne, wieviel sie da immer zu tun hat. Normal ist mir das egal, man soll mich im Gegenzug nur in Ruhe lassen. Da kam bei mir dann aber so eine Art kleine Trotzreaktion, nicht offensiv, sondern eher ein inneres "Was willst du eigentlich?". Ich war selbst verwundert darüber. Da gibt es nicht viel zu lernen, es ist eben Show von ihr, nicht zuletzt auch für andere im Raum (und sie macht sowas nur bei Publikum). Es war halt eben das erste Mal, daß ich es abbekommen habe.
Den ganzen Tag lästert sie über das Äußere oder die Art anderer, stellt fest, daß sie mal 'ordentlich vögeln' sollten, und nennt sich dabei selbst selbständig, unabhängig und intelligent... eben ganz anders als all die unzufriedenen Leute dort. Ich habe aber selten jemanden gesehen, der innerlich so unsicher und unzufrieden ist, und ich behaupte mal, ich kenne mich mit der Materie aus, schließlich kämpfe ich schon fast ein ganzes Leben lang gegen mich selbst. Ihre ständigen Versuche, das auf Kosten anderer zu überspielen, gehen mir echt auf die Nerven. Der einzige Unterschied zwischen uns beiden ist, daß mir meine Unsicherheit und Unzulänglichkeit allgegenwärtig bewußt ist. Ich brauche sie auch nicht zu kompensieren, andere können nichts dafür.
Ich arbeite in der Verwaltung, dummerweise steht mein Schreibtisch im 'Backoffice', wie man so schön sagt. Ich sitze also zusammen mit der Telefonistin und zwei Kollegen im Raum hinter der Rezeption. Die Telefonistin ist eine Quasselstrippe, aber sie ist nett und angenehm im Umgang... und füttert mich ständig mit geschnittenen Äpfeln, was ich etwas irritierend finde... sehe ich aus, als bräuchte ich Vitamine? Manchmal nervt es, daß sie für alles eine Anleitung und dreifache Rückversicherung braucht, aber naja... es ist echt okay mit ihr. Wir haben uns wohl aneinander gewöhnt, mit mir ist es sicher nicht einfach, besonders wenn ich mal wieder geistig abwesend bin. Ich glaube, das kann schon manchmal etwas unhöflich und desinteressiert rüberkommen. Inzwischen fragt sie einfach nochmal, wenn ich etwas nicht mitbekommen habe, ohne das noch groß zu kommentieren. Die Empfangsdame hingegen... nun ja... wie gesagt... sie kommt halt ständig rein, und braucht dann die ungeteilte Aufmerksamkeit.
Gegen Ende meiner Zeit war Poker gerade schwer in Mode, online genauso wie privat. Es gehörte allerdings nicht zu meinen Favoriten, ich bevorzugte es da doch eher stupide, in schneller Abfolge und möglichst ohne irgendeine Art von menschlicher Interaktion.
Als ich das erste Mal mit Leuten gepokert habe, die ich zum Teil auch privat kannte, das war eine der vielen unrühmlichen Geschichten aus dieser Zeit, an die ich, wenn auch unbeabsichtigt, gelegentlich erinnert werde. Zuerst im Keller einer anderen Filiale, bis der Besitzer Wind davon bekam - er fand das nicht so witzig, dann abwechselnd bei einem Kollegen zu Hause in seiner versifften Bude, und meinem Chef in seiner schicken Altbauwohnung. Ich bin durch einen Zufall da reingeraten, jemand rief im Laden für meinen Kollegen an und sagte für's Wochenende ab, als ich grad auch da war. Er sah mich an, ich könnte doch mitkommen.
Nein, das kannst du nicht bringen. Nein. Oder doch? Warum nicht? Er hat doch gefragt...
Sämtliche Alarmglocken gingen an, etwas in mir schrie "Halt!"... und ich sagte kleinlaut "Äh... ich kann das gar nicht."
"Kein Problem, ist nicht schwer. Mit dir wäre das sicher lustig."
"Wer wäre denn dabei?", fragte ich beiläufig, während ich schon im Hinterkopf am Überlegen war, wie ich das hinbekommen kann.
"Unser Chef und drei seiner Kollegen vom Tennisclub... und ein paar Kollegen von hier und der anderen Filiale (die er namentlich nannte). Nicht immer alle. Je nachdem, wer Zeit hat."
"Mhhh... Ich überleg's mir."
Tja... die leise Mahnung der Vernunft rang jetzt mit der selbstgefälligen Stimme in meinem Hinterkopf, die mir sagte, das könnte sich lohnen. Ich kannte zumindest meinen Chef gut genug, um mir denken zu können, daß es ihm nur um den Spaß ging... ihm war Geld egal, er hatte genug, seine Kumpels wahrscheinlich auch...
Dasselbe galt für meine Kollegen. Sie hatten zwar wahrscheinlich, im Gegensatz zu meinem Chef und seinen Kumpels, zumindest ein Budget eingeplant, aber ansonsten auch keine großen Erwartungen.
Noch während ich nachdachte, war die Antwort also im Prinzip schon klar.
Die eigentliche Frage war nur noch... wovon?
Denn es war noch viel Monat übrig, ich kam vor der Schicht direkt aus der Halle und hatte jetzt schon mal wieder nichtmal mehr Geld für die Fahrt nach Hause. Theoretisch jedenfalls, praktisch würde ich die Rückfahrkarte doch wieder zahlen können nach der Arbeit... auch wenn ich am Ende trotzdem schwarzfahren und das Geld 'einsparen' würde.
Aber da könnte man doch was an der Grundsituation ändern, den Rest des Monats wieder Luft zu haben hätte schon was... und wenn schon einer fragt...
Man nimmt halt, was man kriegen kann. Wenn's sein muß, dann eben Poker.
Und ja, ich konnte Schwein sein.
Natürlich ging ich hin.
Ich kam immer gut eine Stunde zu früh, was für mich mehr als ungewöhnlich ist, aber ich hatte jedes Mal hart zu kämpfen, auf dem Weg dorthin nicht zu versacken, um das Grundkapital 'aufzustocken'.
Einmal saß ich noch über eine Stunde in einem völlig zugemüllten Raum unterm Hochbett, und sah mir irgendeine hirnlose Fernsehshow an, während er den Tisch in der Wohnküche zurechtrückte und ich meine eigenen Filme schob, was passieren würde, sollte ich das 'geliehene' Geld in meiner Hosentasche verlieren... und nein danke, ich möchte nichts essen.
Nun ja... die Variante kannte ich bis dato tatsächlich nicht, aber ansonsten... Für alle Anwesenden war das einfach nur Spaß, damals war es eben grad in, einmal alle paar Wochen, das war's für die. Für mich hingegen war es weit mehr als das. Es ging nicht um Spaß, für mich stand immer mehr auf dem Spiel, ich hatte das Geld nie 'über'. Für mich war Spielen Streß pur. Ich weiß auch nicht, warum ich es trotzdem getan habe - immer wieder. Verzweiflung? Der letzte Ausweg? Klingt plausibel, ist es aber nicht, denn ich weiß heute, es ging mir nie ums Geld, das war nur eine Rechtfertigung vor mir selbst, Gewinne dienten einzig dem Zweck, meinen Aufenthalt in meiner eigenen Welt zu verlängern. Selbstbestrafung? Ob es mir gutging oder schlecht, ich konnte mit Emotionen nicht umgehen. Für mich war der Balanceakt am Abgrund scheinbar etwas, was ich zumindest kannte, und was alles andere zu überspielen vermochte. Wer will schon so leben? Für mich gibt es kein 'Besser'. Darf ich mich überhaupt freuen?
Der Einzige, der einigermaßen wußte, was er tat, war ein Kollege aus einer anderen Filiale. Er war wirklich gut. Kurz gesagt: ich haßte es, wenn er dabeiwar, das war wirklich anstrengend. Heute habe ich zu einigen noch Kontakt, wenn auch nur selten. Glücklicherweise ist es damals bei vier- oder fünfmal geblieben, bis sich die Runde zerstreute. Sonst wäre das heute sicher anders. Ich bin immernoch heilfroh, daß ich aus alldem so glimpflich davongekommen bin.
Eine Erinnerung, die mir den Magen umdreht.
Wie meine Kollegen nach dem ersten Abend spaßten. "Siehste, ging doch. So hat er dich ausnahmsweise mal für's Nichtstun bezahlt."
Alle lachten.
"Anfängerglück", sagte mein Chef mit seiner stinkenden Zigarre im Mund, und klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter, woraufhin seine Kumpels es ihm gleichtaten. Sie hatten sich gut amüsiert. In ihren Augen ein gelungener Abend.
Ich habe Poker gehaßt... genau deswegen.
Eigentlich mochte ich meinen Chef nämlich, er war durchweg in Ordnung. Solange es lief, ließ er uns zufrieden und mischte sich nicht ein. Die Art Vorgesetzter, mit dem zu arbeiten am angenehmsten ist.
Ich saß auf meinem Stuhl und starrte auf den Aschenbecher. Die Anspannung ebbte ab, das Kribbeln in den Fingern ließ nach, die Erleichterung kam in Wellen, ich hätte mich fast übergeben.
Das ist nochmal gutgegangen.
Dann kam die Realität.
Ich mußte hier raus.
Mein Einsatz stammte aus der Kasse des Ladens. Ich habe mit einem Teil unserer Tageseinnahmen gegen meine eigenen Kollegen gespielt, während ich dort saß und so tat, als wüßte ich nicht, wie das geht. Auf dem Heimweg brannte das schmutzige Geld in meiner Tasche, ich fühlte mich erbärmlich, wertlos und beschissen... der Kaffeesatz der Gesellschaft, den niemand braucht... ich hab mich selbst nicht ertragen können. Mal wieder. Zu Hause angekommen bin ich damit nicht.
Spielen, um jeden Preis, das war alles, was ich wollte... Zeit in meiner eigenen Traumwelt, wohin alles andere nicht durchzudringen vermochte. Dort war ich sicher vor dem, was ich nicht verstand. Ob ich gewann oder verlor machte keinen Unterschied, denn behalten habe ich nie etwas, zumindest nicht lange. Es hat mir nur mehr Zeit in der Blase gekauft. Am Ende wollte ich oft einfach nur noch, daß es vorbei ist, und ich endlich gehen und mich selbst bemitleiden konnte.
So kehrte dann wenigstens innere Ruhe ein, zumindest für den Moment.
Zurückgezahlt habe ich auch nie etwas, egal, wie sehr ich es mir vorgenommen hatte... wie überzeugt ich auch war.
Nur noch einmal...
Darüber gefallen ist trotzdem nie jemand. Ich hatte unsagbares Glück, nicht nur dort.
Es sind dort schon Leute für weniger geflogen (nicht im Zusammenhang mit mir), teilweise auch mit rechtlichen Konsequenzen, auch auf anderen meiner Arbeitsstellen. Ich bin aber der unverdächtigste Typ Mensch, den man sich vorstellen kann. Ehrlich, aufrichtig, bescheiden, loyal...
Mir wird schlecht, wenn ich sowas über mich höre. Heute noch.
Letztes Jahr hat jemand während eines Meetings am Nachmittag das Portemonnaie einer Kollegin aus ihrem Büro im ersten Stock geklaut, und ohne das Geld in den Papierhandtuchmüll in der Toilette geworfen. Niemand hat mich (oder sonst irgendwen im Speziellen) verdächtigt, aber mein erster Gedanke war "Ich war's nicht... ehrlich!", und der zweite "Wie gut, daß ich zu dem Zeitpunkt schon lange weg war, und mehrere Leute mich haben gehen sehen."
Ich arbeite heute nicht mehr mit direktem Kontakt zu Bargeld oder Konten. Auch darüber bin ich froh.
Bitte.... nie wieder.
Mir fällt es auch schwer, mich auszudrücken. Das ist mitunter frustrierend. Geschrieben geht es besser als gesprochen (das versuche ich gar nicht erst), ist aber immernoch schwierig. Beim erneuten Lesen denke ich dann "Was ein großer Haufen zusammenhangloses Gebrabbel." Darum tu ich das lieber nicht.
Ja, manchmal frage ich mich auch "Würden die auch so miteinander reden, wenn sie irgendwo zusammen an einem Tisch sitzen würden?"
Wahrscheinlich nicht.
Andererseits würde ich das alles hier dann mit Sicherheit auch nicht sagen.