Ich habe sehr interessiert deinen Beitrag gelesen. Ich muss dazu sagen, dass ich mit dem Thema Zocken & Börse bisher keine großen Berührungspunkte gehabt habe. Ich für mich bearbeite das Thema "Sucht". Ob nun die Spielsucht am Automaten, am Bildschirm, im Casino oder eben mit Börsencharts erlebe, es gibt neben Unterschieden auch sehr viele und starke Gemeinsamkeiten. In gewisser Weise beneide ich dich nicht um deine Sucht, weil die Abgrenzung nicht so einfach und klar ist wie bei einem Automaten-Junkie. Aber Junkie bleibt Junkie, oder?
In der Spielsucht an den Automaten durfte ich sowohl für mich erleben als auch bei anderen Spielern folgendes beobachten: Geld bzw. die Höhe des Betrages (egal ob Gewinn oder Verlust) spielt eine sehr untergeordnete Rolle. Die Sucht ist ein komplexes Gebilde aus Illusionen. Das hat der nicht süchtige Mensch genau so, allerdings auf einem viel kleinerem Level, und er erlebt den Kontrollverlust nicht bzw. weniger bedrohlich. Ich will das am Beispiel Alkohol mal verdeutlichen: Warum trinkt der Gelegenheitstrinker? Gut drauf sein, enthemmt die Welt erleben usw. Das geht dem hoffnungslosen aktiven Trinker genau so. Der große Unterschied ist aber, dass der Trinker ein Kontrolldefizit erlebt, die Eigensteuerung wird beeinträchtigt bzw. ganz ausgehebelt. Das erlebt der "normalen" Gelegenheitstrinker nicht. Nur darin sehe ich den (für die Sucht entscheidenden) Unterschied. Unterm Strich geht es aber beiden Trinkernaturen um Gefühle, um das Erleben von Bewußtseinsmomenten (-phasen).
Was ist das Wesen und die Funktionsweise einer Sucht? Ich für mich bearbeite dieses Thema sehr intensiv, weil ich zum Kern der Sucht, zu meiner Sucht, vordringen möchte. Ich möchte es verstehen.
Ein wesentlicher Punkt, so scheint mir, ist die Gewohnheit. Wenn eine Gewohnheit nicht gelebt wird ist es per Definition keine Gewohnheit. Eine nicht gelebt Sucht ist demnach keine Sucht (sehr wohl aber für vielleicht immer eine latente Gewohnheit). Diese sehr, sehr einfach Einsicht ist nach viel erlebtem Leid bitter, weil sie so einfach ist. Es geht also darum, unter keinen Umständen den ersten Schritt dieser (nach längerer Abstinenz) Gewohnheit zu reaktivieren.
Bei stofflichen Süchten kann dieser alte Highway im Hirn durch ein Alk-Praline angetriggert werden. Der (bewusst oder unbewusste) erste Schritt ist also tückisch. Beim Zocken gibt es andere Mechanismen.
Ein Gedankenspiel: Du hast eine Glaskugel und wüsstest genau, dass in der Kneipe ein Spielgerät mit den nächsten 20 Cent einen Gewinn von sagen wir mal 3000€ gibt. Würdest du einem trockenen Automatenzocker raten diese 20 Cent zu "investieren"? Vermutlich nicht. Würdest du deinem Sohn, Alter 18 und ohne jegliche Spielerfahrung raten, diese 20 Cent zu investieren? Die meisten trockenen Zocker würden vermutlich unter allen Umständen davon abraten. Warum? Es könnte der Grundstein für eine Zockerkarriere gelegt worden sein. Würdest du einem aktiven Zocker raten zu investieren? Bei einem verantwortungsvollen Ratgeber würde selbst in diesem Fall die Antwort nein lauten. Er oder sie würde den Gewinn eh wieder verspielen, früher oder später, und damit würde das alte Muster nur intensiviert werden. Würdest du überhaupt einem Menschen empfehlen diese 20 Cent zu "investieren"? Nach reiflichen Überlegen bin ich für mich zu dem Schluss gekommen: Nein, ich würde es niemanden empfehlen. Einer Organisation,einer Firma oder Verein: Ja klar! Dieser Investmentgesellschaft liegen völlig andere Rahmenbedingungen zugrunde als einem einzelnen Menschen. Die Belegschaft würde nicht euphorisch reagieren und überlegen von nun an in Spielhallen gehen. Vielleicht würde die Belegschaft ausloten wollen, ob sich da ein Businesscase erschließen könnte ...
Ich will damit sagen: Aus meiner Sicht muss dein Fazit aus der Sucht lauten: Never ever. Grundsolide Geldanlage ist eben etwas anderes als Zocken.
Ich habe mir nur für mich Gedanken gemacht und teile sie, vielleicht sind sie von Interesse, vielleicht auch nicht.
Alles Gute!