Hallo zusammen,
ich weiss gar nicht so recht, wo ich anfangen soll. Heute habe ich Geburtstag, ich werde 29 Jahre alt. Gestern Abend habe ich mit meiner neuen WG in meinen Geburtstag hineingefeiert, nur ganz ruhig mit einem Bierchen. Doch mir ist nicht nach Feiern zumute. Die letzten 3 Tage habe ich mal wieder 200€ verspielt. 4x 50€ Einzahlungen mit Paysafecard, weil meine Kreditkarte schon gesperrt ist, bzw. mein Vater eine SMS Tan für jede Überweisung erhält. Aber irgendwie benötige ich ja Bargeld und Paysafe ist dann doch wieder eine Möglichkeit, zu zocken. Ich habe die letzten drei Tage, die ich eigentlich mit Lernen für meine bevorstehenden Prüfungen verbringen sollte, insgesamt ca. 14 Stunden gezockt, zunächst verloren, immer wieder eingezahlt, bis ich schließlich mein Geld zurückgewonnen hatte und sogar noch einen anständigen Gewinn obendrauf. Ich habe die Auszahlung beantragt, wollte mich danach irgendwie blocken, das Passwort ohne hinzusehen ändern, etc. Alles hat nichts gebracht, ein paar Stunden später ist alles verzockt, wie im Rausch mit Einsätzen von bis zu 20€.
Ich spiele jetzt seit 8,5 Jahren, angefangen habe ich nach meiner ersten Depression (ich bin bipolar oder nach dem alten Begriff manisch-depressiv). Anfangs habe ich (wie wahrscheinlich die Meisten hier) eher zufällig mit Freunden in einem Bowlingcenter das erste Mal gezockt. Doch im Gegensatz zu wahrscheinlich den Meisten, war ich ziemlich schnell getriggert und verbrachte viele Nachmittage nach der Schule (ich holte mein Abitur nach) in Spielotheken. Im Nachhinein ist mir bewusst geworden, dass wir Spieler wahrscheinlich schon mit dieser Neigung (fürs Risiko?) geboren werden, schon als Kind war ich von Losen, Lotterien und allem Ähnlichen auf dem Jahrmarkt fasziniert.
Die Jahre gingen dahin, ich begann ein Studium aber spielte dennoch weiter. Trotz Nebenjob war ich meistens pleite und konnte mir nie wirklich viel leisten, was natürlich bei Familie und Freunden Fragen aufwarf. Ich wurde ein Meister im Lügen ohne Rotwerden. Ein paar Mal versuchte halbherzig etwas gegen meine Sucht zu unternehmen, tat es aber nie wirklich, da ich keine Schulden hatte und auch sonst in meinem Leben alles gut lief.
2015 verbrachte ich ein Auslandssemester in Spanien und hatte das bisher beste halbe Jahr meines Lebens, in welchem ich auch nur einmal spielte. Dann hatte ich meine erste Manie, gefolgt von der schlimmsten Depression, was mich ein halbes Jahr in eine Klinik brachte. Das Positive war, ich spielte in dieser ganzen Zeit nicht, hatte fast vergessen, dass ich einmal süchtig war. Als es mir wieder besser ging, schrieb ich meine Bachelorarbeit und ging das erste Mal wieder als Ablenkung und auch wegen dem Druck zocken. Seitdem zocke ich so heftig wie noch nie. Ich habe den Bachelor erfolgreich abgeschlossen und bin in meinem Master, gerade komme ich von einem Auslandshalbjahr in Südamerika zurück. Es war eine unglaublich geile Zeit, man sollte meinen, dass man dort die Sucht vergisst – Pustekuchen! In jedem Land, das ich bereiste, zockte ich mindestens einmal, teilweise musste ich hungern, da ich auf die Überweisungen meines Vaters angewiesen war und diese öfters verzockte, sodass ich irgendeine Ausrede erfinden musste, um neues Geld zu bekommen.
Im Vergleich zu anderen Spielern habe ich keine schlimmen Schulden, „nur“ ca 5000€ bei meinem Vater. Dennoch habe ich bestimmt über die Jahre ca 30000€ verzockt und mir geht es beschissen. Ich habe viele Menschen durch das Spielen enttäuscht und bin teilweise sogar beschaffungskriminell geworden. Einen Bezug zu Geld hatte ich auch vor dem Zocken schon nicht, nun lebe ich phasenweise asketisch und spare Geld, das am Ende wieder in den Automaten landet. Im schlimmsten Fall gewinne ich dabei, denn dann spiele ich mehrere Tage wie im Rausch, bis ich alles wieder verspielt habe und dabei sogar eine Art Erleichterung fühle. Dabei ist es egal, wie hoch die Summe ist, die ich gewinne, die Einsätze steigen proportional zum Gewinn. Einmal war ich für 2 Monate bereits stationär in einer Suchtklinik, ein paar Mal bei den Anonymen Spielern und immer mal wieder bei der Caritas Glücksspielberatung. Nichts konnte mich jedoch wirklich vom Spielen abhalten. Stattdessen schaue ich mir sogar in spielfreien Zeiten Zockervideos, die es ja nun zu genüge auf Youtube gibt, an, bis ich wieder so getriggert bin, selbst zu zocken.
Das Paradoxe ist, dass es mir vom Spielen abgesehen sehr gut geht! Ich bin in meinem Masterstudium, habe einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, habe meine bipolare Störung gut im Griff (seit 3 Jahren schon phasenfrei) und würde mich als humorvollen, intelligenten und optimistischen Menschen beschreiben. Das Zocken zieht mich aber immer wieder so sehr herunter, dass ich alles andere auf einmal nicht mehr zu schätzen weiss. Einmal mehr starte ich also ein Tagebuch, um endlich von dieser schlimmen Sucht loszukommen und mir auch Unterstützung bei euch zu holen. Ich hoffe, der Text war nicht zu lange und für den ein oder anderen interessant zu lesen.
Steppenwolf