Hi Mia!
Herzlich willkommen!
Ich komme gerade vom ersten von drei Tagen Seminar zum Thema Selbstfürsorge in der Arbeit mit Glückspielsüchtigen.
Mir qualmt noch der Schädel, sitze ich doch als einziger Spieler unter all den sympathischen Profis.
Auch ist mir bewusst, dass mich das Seminar nicht zu einem Profi macht. Doch ich kann Anregungen sammeln, die ich vielleicht hier im Forum, aber auch in meinem Privat- und Arbeitsleben einbringen kann.
Und so geht mir gerade das Wort Selbstfürsorge nicht aus dem Sinn, wenn ich Deinen Beitrag lese.
Wie sorgst Du Dich um Dein Selbst?
Ich fühle mich innerlich zur Zeit total „schwer“ und irgendwo möchte ich keinen sehen, da ich eigentlich ein offener und ehrlicher Mensch bin, habe ich das Gefühl alle zu belügen, einfach indem ich nichts sage (zum Teil sagen möchte).
Sobald ich meinen Mann ansehe frage ich mich wie weit er schon drinsteckt und ob es „noch“ der Anfang ist oder wie es weiter geht.
Wann lässt dieses Gefühl der Ohnmacht bei einem selber nach? Ich fühle mich wie gegen den Kopf getreten, ständig kommen die Bilder dieser Intervention wieder hoch
Es ist unnötig zu sagen, dass dies für Dich ungemein gefährlich ist - Du weisst es - deshalb schreibst Du hier, um das Verhalten zu ändern/durchbrechen.
Rede, Rede, rede ... aber ziehe Dich bitte nicht in Dich selbst zurück.
Als Spieler habe ich das lange Jahre gemacht - es ist selbstzerstörerisch.
Du kannst nicht in den Stiefeln Deines Mannes laufen - aber in Deinen eigenen.
Es ist egal, ob er es mit der Therapie nun erst meint oder nicht. Die Frage ist, wie entscheidest Du für Dich?
Was möchtest Du? Was wünschst Du Dir? Welche Ziele siehst Du für Dein oder auch für Euer Leben? Das Leben Eurer Tochter?
Was davon ist realistisch umsetzbar, wenn er weiter spielt oder abstinent bleibt?
Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Dich? Und welche lässt Du ihn spüren?
Er hat mich mehrmals belogen ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, das macht mich sooo wütend.
Es gibt in einem Modell zum Thema "Selbst" einen Bereich, der sich blinder Fleck nennt.
Jeder hat ihn - doch bei einem Spieler - oder Süchtigen im Allgemeinen, ist er um einiges größer.
Hier packt er bewusst oder unbewusst alles hinein, was ihn belasten könnte.
(Du machst derzeit das Gleiche ...)
So bleibt sein kleiner "Privater Bereich", sowie auch der ebenso kleine "öffentliche Bereich" des Selbst, wunderbar sauber.
Ich habe das bisher immer erklärt mit dem Selbstbetrug und den verschobenen Prioritäten.
Vielleicht erklärt es sich Dir dadurch einfacher ...
Für einen Spieler verschieben sich im Laufe seines Suchtlebens seine Prioritäten.
Die Sucht überholt im Laufe der Zeit - und doch schleichend - "fast" unbewusst für den Spieler selbst - alles Andere.
Es ist kein Vorsatz eines schäbigen Charakters - es ist ein suchtbedingter Prozess, der bei dem Einen frappierender ausfällt als bei einem anderen.
Zu der Zeit der Diebstähle und der Lügen standet Eure Tochter und Du also nicht mehr an Nummer eins der Prioritätenliste.
Es ging ihm einzig und alleine um die Befriedigung der Sucht. Der Hauptteil der Gedankengänge dreht sich dabei nur noch um die Suchtausübung und ihre Finanzierung.
Alles was in der Liste nach dem Spielen kommt, ist dann im wahresten Sinne des Wortes zweitrangig.
Jeder gesunde Menschenverstand sorgt sich doch hier um die Auswirkungen - oder?
Was, wenn es auffliegt? Wenn er den Job verliert? Was, wenn er dadurch Dich und Deine Tochter verliert?
Diese Gedanken werden ganz schnell an Seite geschoben, so sie denn überhaupt selbst wahrgenommen werden.
Ich behaupte ja immer noch, dass Spieler von ihrem Wesen her nicht grundsätzlich schlecht sind.
Wenn wir nach einem solchen Vorfall wieder zur Besinnung kommen, dann laufen uns die Gedanken an die Konsequenzen nach - sie verfolgen uns bei Tag und bei Nacht.
Doch wir sprechen nicht darüber - ich habe dies in meiner Familie z.B. nicht gelernt.
Meine Eltern waren zwar präsent - aber für "persönliche" Gespräche nicht greifbar.
So sprach ich meine Eltern im Jugendlichenalter auf meine UnterleibsOP als Vorschulkind an.
"Es könnte sein, dass Du keine Kinder haben wirst." - das war es.
Kein ... schockiert Dich die Nachricht? Was denkst Du darüber? Wie fühlst Du Dich nun, da Du es weisst?
Aber auch kein: Wir lieben Dich so wie Du bist ...
Vielleicht hat auch Dein Mann nie gelernt über seine Probleme und Gefühle zu reden.
Der ganze Prozess des Diebstahls und der Suchtausübung fällt, mal grob formulierst, unter den Kontrollverlust.
Diesen können wir uns - aus heutiger Sicht für mich völlig normal eigentlich - nicht erklären.
Wir schämen uns für unser Verhalten.
Was liegt da näher, als die allernächste Person anzulügen? Ist das nicht der einfachste Weg überhaupt?
Es ist aber auch der einfachste Weg "nichts" zu tun. Denn wenn ich mich offenbare, heisst das gleichzeitig, dass ich mich mit mir beschäftigen muss.
Da ist wieder etwas, was wir meistens nicht gelernt haben.
"Männlichkeit" spielt auch eine Rolle. Du schreibst hier von der Insolvenz der Firma und den Schulden dadurch, die noch lange abgetragen werden müssen.
Diese Fälle sind mir schon häufig unter gekommen.
Der Mann sieht sich hier in der Rolle des Ernährers - des Versorgers - des Jägers, wenn man so mag.
Wie empfindet er die Insolvenz? Ist es nicht ein Scheitern? Ein Versagen auf ganzer evolutionärer Strecke?
Wie gehe ich damit um? Mit wem kann ich da reden? Mit Dir? Die Person, die mich liebt und deshalb aufzubauen versucht? Wäre das die Ehrlichkeit, die ich benötige? ...
Also fresse ich es lieber in mich hinein ... verschweige es Dir ...
Liebe Mia, ich bin jetzt etwas in die hypothetischen Gedankengänge eines Spielers eingetaucht.
Was hättest Du anders machen können? Wo hättest Du eingreifen und unterstützen können?
Du hattest doch keine Chance oder?
Zum Schluss möchte ich noch sagen, dass ich mit meinem Beitrag nichts entschuldige, was den Spieler betrifft.
Aber vielleicht hilft es Dir es ein wenig besser zu verstehen und ein wenig Distanz zu den persönlich empfundenen Verletzungen zu finden.
Ich würde mich freuen, wenn Du - nur für Dich - zusiehst, dass Du eine Angehörigen-SHG findest.
Diese sind eher selten vertreten. Daher empfehle ich immer, falls keine in der Nähe existiert, stattdessen eine Spieler-SHG aufzusuchen.
Manche machen einmal monatlich "offene Meetings" - also mit Angehörigen - bei anderen darfst Du jederzeit erscheinen.
Meine Gruppe gehörte zu den erstgenannten - erschien aber eine Angehörige zum Spieler-Meeting, wurden die Spieler reihum gefragt, ob dies in Ordnung wäre. Nicht einmal hat ein Spieler interveniert und abgelehnt.
Manchmal nahm sich aber auch einer der alten Hasen dem Angehörigen an und machte ein parallel stattfindendes Meeting.
Alternativ kannst Du Dir - wieder nur für Dich - einen Termin bei einer Beratungsstelle vereinbaren.
Diese Institutionen sind nämlich nicht nur für Spieler da.