Unterstützen Sie unsere Arbeit Jetzt spenden!
Hallo Gast
Online-Selbsthilfegruppen Glücksspielsucht
» Mittwochsgruppe    |    » Samstagsgruppe
     

Tagebuch "Scherbenhaufen"

  • 4 Antworten
  • 5022 Aufrufe
Tagebuch "Scherbenhaufen"
« am: 02 März 2017, 23:06:17 »
Es ist soweit ich will nicht mehr mit diesem Scheiß zu tun haben!!!!!!!! Das vierte Mal in Folge schaffe ich es nach Gehaltseingang keine Minute, bis ich das Haus verlasse und schnurstraks die Spielbank aufgesucht habe. Jedes Mal bin ich mit komplett verspieltem Gehalt nach Hause gegangen.

Die Vorgeschichte
Ich lebe in einer Wohnung, die Gehaltsbestandteil ist, ich habe also kein Risiko im Moment, dass ich Obdachlos werden oder mir der Strom abgedreht werden könnte. Alles schon passiert in der Vergangenheit.
Die letzten drei Monate habe ich mich immer noch durch den Monat retten können: Hier mal ein 10er, da Mal ein 20er, aber es zog sich schon immer mehr zu..... Teilweise wurde ich vor anderen Leuten angesprochen und geriet in Erklärungsnot. Dieses Mal wollte ich alles zurückzahlen und mir Gutscheine kaufen für den Supermarkt und und und.... Ich hatte mir dieses schon die letzten Monate vorgenommen.

Die Situation
Am heutigen 2. März habe ich nichts mehr und weiß auch nicht woher ich etwas bekommen sollte. Ein Spieler hat immer einen „Notfallplan B“ in der Tasche, so war es zumindest bei mir, auch wenn es scheinbar keinen Ausweg gab, es gab immer eine kleine Resthoffnung. Nicht so jetzt: Ich habe nichts mehr und hungere seit zwei Tagen. Gehalt kommt wieder in 28 Tagen. Ich lebe in Irland, es gibt nicht einmal Pfandflaschen, mit denen ich mir früher einen Beutel Nudeln zusammengesucht hätte. Ich habe mir kein Busticket gekauft, um zur Arbeit zu kommen, jeden Tag heißt es jetzt 5 km zu Fuß hin, 5 km zurück.

Der Entschluss
Ich habe bereits drei Therapien gemacht und oft gesagt: Ich spiele nicht mehr. Jetzt steht mein Entschluss fest: 20 Jahre sind genug. Ich hoffe diesen Monat zu überleben, laut Internet ist es möglich ohne Essen für 4 Wochen wenn man genug Wasser zu sich nimmt, nach einigen Tagen soll auch das Hungergefühl deutlich nachlassen.

Die Zukunft
Überstehe ich diesen Monat, werde ich nicht mehr spielen, ich werde mir auch nicht mehr ausmalen, was ich mir alles kaufen will und werde. In Deutschland steht eine Geldstrafe in Tagessätzen und eine Strafverfolgung aus. Ich werde zurückgehen, sobald ich mir die Rückreise verdient habe und angeschafft habe was ich für das Gefängnis brauche, also eigentlich nur einen Fernseher in passender Größe. Ich gehe zurück und stelle mich der Vergangenheit. Die Alternative: Mich umbringen: Ich will aber eigentlich gar nicht sterben, meine drei Selbstmordversuche der Vergangenheit waren nie konsequent genug.

Was ich hier machen will
Ich habe in der Vergangenheit viel mitgelesen, ein paar Mal auch Beiträge selber geschrieben und gute Hinweise bekommen, auch den, dass ich noch nicht so weit war. Ich habe auch die letzten Monate oft über meine Vergangenheit nachgedacht und was das Spielen mich alles gekostet hat aber alles war wie weggeblasen nach Gehaltseingang. Ich hoffe, dass wenn ich den nächsten erlebe, ich die Kraft finde in dieses Tagebuch, was ich hier zukünftig führen möchte, einzublicken. Ich möchte erzählen was für Gedanken tagsüber vorherrschten und mich an die Vergangenheit erinnern, natürlich bin ich auch für jede Rückmeldung dankbar.

Re: Tagebuch "Scherbenhaufen"
« Antwort #1 am: 02 März 2017, 23:18:11 »
Donnerstag, 2. März 2017
Der Hunger ist heute schlimm, Zigaretten und Bier vermisse ich null. Ich habe mich zurückgelehnt und eine Bestandsaufnahme gemacht, was ich dem Spielen wirklich zu "verdanken" habe:

- Ausbildung Reserveoffizier nicht zu Ende gemacht - wollte durch vorzeitiges Ende schneller an die Abfindung
- Studium abgebrochen und stattdessen einen schlecht-bezahlten Job angenommen
- keinen Kontakt zu meiner Familie seit fast 10 Jahren
- zwei gutbezahlte Jobs verloren
- Führerschein 2 x verloren: Der Alkohol war oft ein Freund im Casino, das Taxi zurück nicht mehr drinne, diesen wird es auch nicht mehr wiedergeben
- straffällig geworden, Trunkenheitsfahrten, Betrug und Diebstahl, die Strafverfolgung von diesem steht noch aus, eine Geldstrafe (vermutlich) wegen der zweiten Trunkenheitsfahrt ist
noch offen, nach meinem letzten Gehalt berechnet und kann nicht bezahlt werden. Ich werde mir auch nicht merh erklären, dass ich nur das Geld dafür gewinnen möchte
- viele echte Freunde gehabt, die trotz allem zu mir gestanden haben, auch diese irgendwann verprellt
- einen Sohn von 6 Jahren, den ich das letzte Mal vor fast einem Jahr gesehen habe

Warum bin ich spielen gegangen? "Warum spielst Du?" hat mich mein Therapeut immer wieder gefragt... Ich möchte jetzt gar nicht anfangen, was in meiner Kindheit alles schief gelaufen ist, als Kernaussage bleibt für mich: In der Spielbank war es immer zumindest theoretisch möglich, diese aufzusuchen und wieder mit allen gelösten Problemen zu verlassen. Ich war immer der Meinung, dass sich mit Geld notfalls alles lösen lässt.

 

*

Offline Olli

  • *****
  • 7.340
Re: Tagebuch "Scherbenhaufen"
« Antwort #2 am: 03 März 2017, 11:06:44 »
Hi!

Vielen Dank für Deine Gedanken!

Mich schockt es sehr, dass Du Dich 4 Wochen von Wasser ernähren möchtest ...
Vielleicht funktioniert es ja ... wenn Du genug Fettreserven hast ... wenn Du körperlich topfit bist (Rauchen und Alkohol sprechen eigentlich eine andere Sprache?!).
Dann die Regelarbeit ... dazu der morgendliche und abendliche Sport - der Weg zur und von der Arbeit ...

Mir kommt das einem geplanten Selbstmord auf Raten sehr nahe ...

In Dublin gibt es die "Food bank" ... wenn ich richtig gelesen habe das Pendant zur hiesigen Tafel.
Es gibt also auch in Irland Hilfsorganisationen, an die Du Dich wenden könntest.
Du kannst Dich auch an die Caritas Irland wenden:
Postal Address Trócaire,
 Maynooth,
 Co.Kildare,
 Republic of Ireland.
Telephone +353 1 62 93 333
Fax +353 1 62 90 061
Email info@trocaire.ie
Website www.trocaire.org
Facebook trocaireireland
Twitter trocaire
Wenn Du anrufst, werden sie Dich sicherlich an eine Zweigstelle in Deiner Nähe verweisen.
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Tagebuch "Scherbenhaufen"
« Antwort #3 am: 03 März 2017, 16:28:20 »
Freitag, der 03.März 2017
Vielen Dank Olli für den Hinweis, dass hatte ich aber schon versucht: Es wird eine Art Berechtigungsschein benötigt, den ich nicht bekomme, da ich in fester Arbeit bin. Vorschuss beim Arbeitgeber ebenfalls nicht, da bin ich bereits abgeblitzt, genauso wie bei der Bank bei der Frage nach der Einrichtung eines Überziehungskredites.

Ich male mir aber immerhin seit SEHR langer Zeit mal nicht mehr aus, was ich mir alles kaufen und anschaffen werde von den künftigen Gewinnen, denn es wird keine Gewinne geben, meine Schulden werde ich nicht bezahlen können, nur die Kleinbeträge. Aber ich habe auch kaum noch Wünsche: Einen Monat ohne Hunger leben ohne die Tage zu zählen, an dessen Tagen ich Zigaretten habe und auch mal nach Feierabend auf ein Bierchen mitgehen kann.

Ich habe früher immer Fantasien gehabt, dass ich auf all die Entbehrungen lächelnd zurückblicken würde, irgendwann wenn der große Gewinn da ist.

Er wird nicht kommen fertig aus. Ich sehe jetzt nur noch realistisch in die Zukunft: Diese sieht nicht rosig aus: Wohl ein wenig Haft, keine Wohnung, keine Arbeit, sollte ich eine Wohnung bekommen keine Einrichtung etc. Das Problem: Spielen löst dieses auch nicht.

Ich bin in der Vergangenheit bereits einmal durch die Obdachlosigkeit gegangen, aber habe es damals geschafft eine Wohnung zu bekommen und vor allem mich selber im Casino zu sperren. Dann ging ich in Therapie und schaffte es zwei mal eine Cinderella Story des beruflichen Aufstiegs. Ich versuche mich jetzt auf diese Tage zurückzubesinnen. Ich konzentrierte mich darauf nur noch für den Tag zu leben und genau das tue ich jetzt auch: Ich löse Probleme nur noch für einen Tag und hoffe, dass diese irgendwie vorbeigehen. Und sollte ich es so noch nicht gesagt haben: „Spiel! Ich kapituliere, ich habe keine Chance, Du bist stärker als ich!“

Re: Tagebuch "Scherbenhaufen"
« Antwort #4 am: 02 Mai 2017, 08:51:03 »
Hallo,

ich habe deine Beiträge mit einer Gänsehaut gelesen und frage mich, wie es dir geht. Es besorgt mich, dass du nach dem letzten Beitrag nichts mehr von dir hast hören lassen.

Wie geht es dir, wie ist deine Situation? Ich hoffe, es geht dir gut!

Hardy

 

Wir danken dem AOK Bundesverband für die Finanzierung des technischen Updates dieses Forums