Bäume sind tief verwurzelt, sie sind geerdet. Vielleicht nicht die Birke, die sich als mein Lebensbaum zeigen mag und nach Selma Lagerlöf's „Wunsersamen Reise“ bis hoch an den Polarkreis wächst und gedeiht.
So ist mir immer mehr gelegen, nach meinen Fluchtpunkten zu suchen:
Als ich im Sommer 1969 eine Fahrradtour durch Schleswig-Holsten unternahm, 17 jährig, mahnte sich mein Vater darum, daß ich einen Jugendherbersausweis beantragte, daß ich ein Bett und eine warme Mahlzeit bekam, vom Herbersvater. Die Tour führte mich auch durch Kappeln an der Schlei, dort wo mein Vater den Urlaub mit meinen beiden Schwestern verbrachte. Ich blieb in den Ferien immer daheim, bei der Mutter. Gestern erzählte meine Schwester von ihrer jünsten Reise durch SH und wie wir Kinder Kappeln erlebten. Wenn ich an die Tour damals denke, die unendlich stille Heide,der besinnliche Aufenthalt vor der Gedenkstätte Bergen Belsen, die Hügellandschaften, Panzerstraßen, vergessene blütenrankende Dörfer und abends ein paar Wote mit ebensolchen Radlern, dann zweifele ich an meiner Fluchtphantasie. Welches Erbe erhielt ich von meinem Vater, was habe ich aber verprasst? Weder als Kind, noch als Heranwachsender habe ich meinen Vater kennen gelernt. Das Begreifen, dessen, daß eine Fahrradtour mit Begegnungen und Erlebnissen ein Lebensquell ist, der Bäume Früchte tragen lässt, war mir damals fremd. De Resonanz verschwand im Spiegel des kleinen gekränkten Ich's, stetig und stetig, Geldstück um Geldstück, bis alles verspielt war. Wem soll ich sagen: "Vater, ich habe gesündigt im Himmel und auf Erden, ich bin es nicht Wert, dein Sohn zu sein": E ist immer eine stille Runde, die mir erlaubt, diesen Satz zu sagen. Bäume brauchen Wasser zum Leben, ich brauche Tränen um zu Leben. Wenn ich diesen Satz nur still ausdrücke, für mich, dann werde ich weich. Ist es der Altar, sind es die Meetings, oder das Nebelhorn in der Ferne, auf dem ich zurückkehre, zum Vater, zum liebevollen verständigen sorgenden Vater? Was will ich alles tun, um zurück kehren zu können... Als ich in Uniform in der Heide am Anfang der Panzerstrße auf Übung war, hatten wir unseren Toilettenraum im Schweinestall. Der krasse Gegensatz zur Uniform. Schweine sind gescheite hochsensible und emotionale Wesen. Wer mag es sich erlauben, diese Spezies destruktiv zu brandmarken, nur weil sieAllesfresser sind, alles sich gefallen lassen, sogar sich belachen zu lassen. Ich möchte den Vater nur um Solidarität bitten.
Das Gefühl des miteinander Feierns lässt ein Festtagsgefühl wachsen. Der gute Anzug passt noch, den ich zu Chorkonzerten trug. Heute singe ich wieder leise Lieder: "Du schöner Lebensbaum... (EG 96) Feiern dürfen auch im kleinen Rahmen stattfinden, wie der Genuß einer warmen Mittagsmahlzeit. Innehalten, Danke sagen und genießen. Ich mag nicht mehr an meine Fast-Food-Zeit denken, und tue es doch. Samstag war ich in einem Kreis von Menschen, die den aufrichtigen Wunsch haben, ihr zwanghaftes Essverhalten zu stoppen. Halt sagen, vor unerfüllter Sehnsucht nach einer stabilen Vaterfigur und Stärke darin gewinnen, nicht als übermächtige adipöse Figur aufzutreten. So stand ich Samstag vor einem großen altehrwürdigen Wasserturm in Braunschweig und blickte hoch über die wolkenverhangene Spitze. Unten ligen die Toten. Das Schild am Friedhofseingang weist auf die Opfer des Nazionalsozialismus hin. Die Tränen kommen wieder.
Es ist ein Ring der Liebe, der Menschen aus einer Zwangslage bringt und in Gelassenheit bei den Händen hält, aber auch ein Weg, der feste Schuhe braucht. Meine sind durchgelaufen und lösen sich allmählich auf. Es fühlt sich an wie die Birke am Nordkap, klein aber zäh. durchgetrewten. Manchmal schäme ich mich noch, weil ich immer noch auf der Suche bin. Ich fürchte den Weg des Neides und der Degradierung immer noch. Daß jemand auf mich neidisch werden könnte? Wie lange bin ich spielfrei.... Nur für Heute will ich keine Angst haben. Das Bekenntnis der Abhängigkeiten braucht einen liebevollen Raum.
Mein Vater war in Kriegsgefangenschaft. Er hat dort Französisch - und Deutschsprachige Schilder und Plakate geschrieben. Vielleicht schon etwas verbindendes, das Frieden schafft, so wie sein Auftrag vom Land Niedersachsen, eine kleine Ausstellung mit Plakaten, die an die Schrecken des Holocaust erinnern, Anfang der 1960er Jahre in Bergen Belsen zu errichten.
Ich wünsche mir Situationen, in denen ich still sein kann und schweigend meinem Vater danken kann. Es ist wie im Abspann eines schwarz-weiß-Films: als der Abspann des Films: Schindlers Liste liefe, habe ich weder vorher noch später je einen Mann so weinen sehen, wie meinen leiblichen Vater neben mir. Wir haben uns fest in die Arme genommen.