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Ich bin Angehörige, brauche Rat.

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Ich bin Angehörige, brauche Rat.
« am: 29 September 2011, 21:00:19 »
Guten Tag zusammen,

es geht um meinen kleinen Bruder. Zuerst einmal eine Zusammenfassung. Mein Bruder ist im November letzten Jahres 18 geworden. An seiner Geburtstagsfeier hat jemand aus der Familie ihn kurz mal mit in die Spielhalle genommen, nur so zum Spaß weil er sie ja jetzt betreten durfte.
Seitdem wurde es sehr merkwürdig, er hat nach langem draufhin arbeiten in diesem Jahr eine Ausbildung bekommen, vorher hat er etwa 80 Euro verdient (Praktikum) und hatte dann noch Taschengeld zusätzlich, er kam auf etwa 140 Euro im Monat, diese waren auch immer direkt anfang des Monats verschwunden. Später hat er sein Taschengeld auf die Wochen verteilt bekommen, jeden Freitag, am Samstagmorgen war dies auch immer weg.
Im August hat er seine Ausbildung angefangen und bekommt 428 Euro, anfang September war dieses Geld innerhalb von 24 Stunden komplett weg. Er muss zu hause nichts abgeben oder sich selbst versorgen, d.h. er hat sein ganzes Geld für sich um über den Monat zu kommen um mal Essen zugehen oder Party zumachen.
Er bemerkt selbst das er ein Problem hat und hat daher meinen Mann und mich gebeten seine Kontokarte zu behalten um ihm dabei zu helfen Kontrolle über sein Geld zu bekommen. Heute kam sein Ausbildungsgehalt und als er anrief um zum Konto zu gehen war mein Mann, der die Karte bei sich hat, noch arbeiten und mein Bruder ist völlig ausgeflippt und hat im Gespräch einfach aufgelegt, nachdem er darüber geschimpft hat es wäre sein Geld und es sei scheisse das mein Mann die Karte mitgenomen hat. Nachdem er sich beruhigt hat sind wir zur Bank gefahren um Geld für ihn abzuholen. Da er einige Dinge auch schon ins Pfandhaus bringt (auch Dinge die nicht ihm gehören) hat er heute etwas mehr Geld mitgenommen um ein Teil unserer Tante rauszuholen. Da ich weiss dass das Pfandhaus geschlossen hatte, hat er das Geld auch bei sich. Nachdem wir ihn gegen 19 Uhr an der Strassenecke zu seinem zuhause rausgelassen haben ist er nun schon seit 2 Stunden nicht zuhause eingetroffen, leider weiss keiner in welcher Spielhalle genau er ist sonst würde man ja mal hingehen um zu schauen ob er wieder dort ist.
Vor einiger Zeit hat er sich selbst bei einer Suchtberatung gemeldet und die haben ihn vertröstet, sie hätten keinen Platz frei. Zur Zeit hat er noch keine wirklichen Schulden, also nichts was man nicht mit 2 Monatsraten begleichen könnte aber ich und auch der Rest der Familie hat das Gefühl sobald er Geld in der Hand hat sieht er sein Spielproblem nicht mehr, aber sobald es leer ist merkt er das er mistgebaut hat und das er kein Geld mehr hat um bei der Arbeit mit den Kollegen mal was essen zu gehen. Seine Ausbildung lässt er nach 2 Monaten auch schon teilweise schleifen, denn es kommt hinzu das er phasenweise auch sehr viel Alkohol trinkt, aber meistens nur dann wenn das Geld zum spielen fehlt, da er fürs trinken nichts braucht weil ne Party ist immer mal irgendwo.
Ich frage mich nun was kann ich als seine Schwester tun, ich kann ihn ja schlecht zu einer Beratungstelle schleifen wenn er nicht will und wenn er es freiwillig macht dann auch nur solange wie er Lust dazu hat. Ich habe die Hoffnung noch irgendwie vermeiden zu können das er sich in größere Schulden reinreisst oder seine Beziehung zur Familie noch weiter zerstört, denn vertrauen tut ihm keiner mehr.
Vielleicht könnt ihr mir ja nen Rat geben wie ich ihn davon überzeugen kann das er sich einen anderen Therapieplatz sucht denn hier, in Hamburg, gibt es ja mehr als den einen wo er angerufen hat.

Vielen Dank

*

Offline Olli

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Re: Ich bin Angehörige, brauche Rat.
« Antwort #1 am: 30 September 2011, 08:53:10 »
Hi Jacky!

Herzlich willkommen!

Ich finde es klasse, dass Du Dich informieren möchtest, um Deinem Bruder zu helfen.
Jedoch wird Dir meine Ansicht nicht gefallen ...

Selber wurde ich in jungen Jahren mehrfach aus den SH geholt - es wurde geschimpft, gebettelt - ich wurde rausgeschmissen und wieder aufgenommen - keine Ahnung mehr wie oft das war.
Tatsache war, ich konnte mich auf meine Angehörigen verlassen.
Brauchte lediglich die Zeit für mich arbeiten zu lassen.
Irgendwer rief mich immer an - dann folgten Gespräche - es gab von mir Versprechungen, die ich in diesem Moment absolut ehrlich meinte.
Doch dann kehrte wieder Ruhe ein und der Alltag überschwemmte uns.
Ich selber ging wieder spielen.
Dabei ließ ich über Jahre mein Geld verwalten - dies schlief wieder ein - ich flog wieder auf ...
Ich WOLLTE spielen - und so zog sich das Ganze über 20 Jahre lang hin ...

Was ich mir heute wünsche wäre eine "mögliche" Chance gewesen.
In all der Zeit habe ich nur relativ gering die Konsequenzen meines Handelns verspürt - ich wurde immer wieder aufgefangen - sanft und vor allen Dingen liebevoll.
Was wäre also gewesen, wenn meine Eltern sich erstens ernsthaft informiert hätten und zweitens resultierend daraus 100 %-ig konsequent gewesen wären?
Was, wenn sie mich nicht wieder aufgenommen hätten?
Ich hätte mir ein Zimmer nehmen müssen - wäre mit der Miete in Rückstand geraten - hätte es wieder verloren.
Es wäre eng geworden am Ende des Monats mit den Nahrungsmitteln - ich hätte gehungert.
All das und noch vieles mehr hätte mich vielleicht nachdenken lassen über mich.
Vielleicht - nur vielleicht! - hätte ich früher umgedacht.

Ich weiss, dass mich dieses Wunschdenken heute nicht weiterbringt.
Die Zeit ist Vergangenheit und nicht mehr abänderbar.
Doch wenn ich heute einen Beitrag wie Deinen lese, dann überkommt mich ein Gefühl des Bedauerns, dass mir diese Chance nicht vergönnt war.

Wie könnte also nun Eure Abgrenzung und Eure Konsequenz aussehen?

Es gibt die verschiedensten Möglichkeiten ...

Das könnte damit beginnen, dass er zur Suchtberatung gehen "muss" - und ihn jemand begleitet.
Dort bekommt man immer Termine - manchmal aber erst in zwei oder mehr Wochen.
Gar keinen Termin bekommen gibt es nicht - da hat er Euch wohl belogen.
Da er den Bezug zum Geld verloren hat, reicht es nicht einfach die Karte zu nehmen und ihm Taschengeld in die Hand zu drücken.
Ich möchte Euch nicht weh tun - Ihr handelt im guten Glauben - aber Ihr verzögert lediglich das Unvermeidliche.
Er muss seine Ausgaben belegen - jeden einzelnen Cent.
Über seine Ausgaben muss er Buch führen und darüber Rechenschaft ablegen.
Natürlich hört sich das nach Bevormundung an - zum Teil ist es das auch.
Viel wichtiger ist es aber, dass ihm sein Suchtmittel (Geld) entzogen wird und er wieder lernt, dass es das gesetzliche Zahlungsmittel ist.
Lasst ihn sich eine Adresse für eine SHG heraussuchen - dort anrufen - und regelmäßig hingehen.

Du wirst Dich nun fragen - ja, aber wenn er doch einfach nicht aufhören will - wenn er zwar mitmacht, aber nichts verändert ...?
Dann bleibt Euch noch die Möglichkeit, ihn gewären zu lassen - Karte zurückgeben und abwarten.
Keiner der Angehörigen möchte sehen, wie ein geliebter Mensch sich selber zerstört.
Doch auch dieses "fallen lassen" - ist ein mächtiges Werkzeug - es ist eine aktive Hilfe.

Natürlich bedeutet es nicht, den Kontakt abzubrechen.
Ihr dürft ihn durchaus moralisch unterstützen und lieben.
Er darf wissen, dass er bei Euch immer Hilfe einfordern darf - mit einer Einschränkung - der Finanziellen.

Dein Bruder ist krank - spielsüchtig - er wird es sein Leben lang sein.
Wenn er dies verinnerlicht hat, dann kann er lernen damit wunderbar und spielfrei zu leben.
Dazu muss er sein Leben aber auch selber in die Hand nehmen - Verantwortung für sein Leben übernehmen lernen.
Er muss lernen, dass seine Entscheidungen für ihn Auswirkungen haben.
Dadurch wird er lernen, dass er viele Entscheidungen beeinflussen und lenken kann.

Nachtrag: Was ich Dir geschrieben habe ist kein Rat - es resultiert aus meinen Erfahrungen und es gibt sicherlich weitere Wege als die, die ich genannt habe.
Sprecht in der Familie miteinander ( WICHTIG ! ) und entscheidet gemeinsam Eure Vorgehensweisen.
Und noch etwas - oben auf dieser Seite steht eine Telefonnummer - auch Du darfst dort anrufen ...
« Letzte Änderung: 30 September 2011, 08:57:05 von Olli »
Gute 24 h
Olaf


(Da ich kein Jurist bin, darf ich auch keine Rechtsberatung machen oder Handlungsanweisungen geben.
Ich gebe hier lediglich unverbindlich meine Meinung und Erfahrungen wieder.)
Hier geht es zum Samstagsmeeting_ https://us02web.zoom.us/j/87305340826?pwd=UnFyMlB6bkwyTHU3NGVISWFGNSs2

Re: Ich bin Angehörige, brauche Rat.
« Antwort #2 am: 30 September 2011, 12:17:28 »
Vielen Dank für deine Antwort. Ich denke ich werde meine ganze Familie mal zusammen holen damit wir uns etwas überlegen können. Aber deine Ansichstweise ist sehr interessant und ich denke dein Beitrag kann vielleicht auch dazu beitragen die richtige entscheidung zu treffen. Ich werde mich natürlich zusätzlich noch mit einer Beratungsstelle in Verbindung setzen und mir da Rat holen, vielleicht kommt mein Bruder ja mit.

Lg Jacky

 

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