Als Autor beschäftige ich mich mit dem Thema Glücksspiel. Mit der folgenden Kurzgeschichte möchte ich sowohl Angehörige als auch den Spielern selbst durch das Erzählen der Geschichte, die Welt der Spieler verdeutlichen. Vielleicht trägt die Geschichte zu einem besseren Verständnis und Verstehen bei. Ich denke, erst wenn man richtig begriffen hat, dass man spielsüchtig ist, kann man auch was ändern.
Viel Spass bei der Geschichte.
Ein ganz normales Spiel
von
Erwin J. Seel
“Eine Cola, wie immer?” begrüßt Marlene Klaus, der gerade seine Lieblingsspielothek Sonnenglück betritt.
Klaus erwidert: „Oh, ja. Das kann ich jetzt gut gebrauchen. Ich bin total ausgetrocknet. Draußen ist heute eine Bullenhitze.“
In der Spielothek ist es angenehm kühl. Hier kann man es aushalten. Die Klimaanlage sorgt für eine gleichbleibende Temperatur. Das künstliche Licht verdrängt das Gefühl für die Tageszeit. Hier ist es egal, ob es Tag oder Nacht ist. Zeit spielt auch keine Rolle. Hier gibt es keine Zeit, nicht einmal eine Uhr.
Klaus ist Stammkunde der Spielothek und geht gezielt auf seine Lieblingsglücksspielmaschine zu, die Gott sei Dank frei. Schnell holt er aus seiner Geldbörse einen Zehneuroschein heraus und steckt ihn in den Schlitz der Maschine, die den Schein mit einem leis ratternden Geräusch einzieht. Klaus wählt das beliebte Bücherspiel aus und schon erklingt die bekannte Musik des Spieles, die Klaus manchmal bis in den Schlaf verfolgt. Ohne nachzudenken wählt Klaus den Spieleinsatz aus. Er will es zunächst mit zwanzigfachem Einsatz spielen. Das sind zwanzig Cent Einsatz pro Spiel. Er hat es sich mittlerweile auf dem Sessel bequem gemacht und eine Zigarette angesteckt.
„Hier deine Cola“, sagt Marlene zu Klaus. Sie stellt das Glas auf ein kleines Tischchen neben dem Spielautomaten und geht bereits weiter, während Klaus ein kleinlautes „Danke“ sagt.
Klaus ist schon tief in die Welt der Spielenden versunken. Um ihn herum singen die Glücksspielautomaten ihr Lied. Ein Lied, das wie ein Bach beruhigend wirkt. Wenn da nicht ab und zu ein Tusch ertönte, der ihn von seinem Spiel ablenkt und ihn wissen lässt, dass irgendein anderer Mitspieler einen größeren Gewinn erzielt hat.
Klaus drückt erwartungsvoll die Starttaste des Automaten und beobachtet gespannt die drehenden Rollen, die nacheinander zum Stehen kommen. Zwei Bücher hat er bekommen. Schade, denn mit drei Büchern hätte er die Freispiele gehabt. Zumindest hat er nichts verloren. Eigentlich fängt es gut an und Klaus drückt wieder die Starttaste. Bei den nächsten Spielen hat er kein Glück. Keinen einzigen Gewinn. Klaus muss warten, bis die Maschine das Geld umgebucht hat, bis er erneut die Starttaste drücken kann. So macht ihm das Spiel keinen Spaß. Er überlegt und rechnet kurz nach. Jetzt hat er wohl schon zwölf Spiele infolge keine Gewinne gehabt. Bei der nächsten Umdrehung müsste eigentlich was kommen. Doch Klaus wird wieder enttäuscht, und er entschließt sich, den Einsatz zu erhöhen, was bedeutet, dass er länger warten muss, bis er die Starttaste drücken kann. Es werden immer nur zwanzig Cent umgebucht. Klaus spielt nun mit dreißigfachen Einsatz. Die Strategie geht auf. Gleich bei der ersten Umdrehung gewinnt Klaus drei Euro. Allerdings war dies eine Eintagsfliege, denn die nächsten zehn Umdrehungen sind wieder Luschen. „So eine Scheißmaschine“, denkt Klaus und ändert seinen Einsatz. Er spielt wieder mit zwanzigfachem Einsatz. Jetzt kommen hin und wieder kleine Gewinne, doch von der Serie - keine Spur.
Klaus hat mittlerweile die zehn Euro verspielt und holt seinen zweiten Zehner aus dem Geldbeutel. Er hat nicht gemerkt, dass er bereits drei Zigaretten geraucht hat. Seine Cola ist leer und er ruft Marlene zu: „Marlene, kann ich bitte noch eine Cola haben?“
Marlene sagt: „Aber sicher.“ Sie schenkt ein frisches Glas Cola ein und bringt es Klaus.
Klaus spielt weiter und hat alles um sich herum vergessen. Die drehenden Rollen des Geldspielautomaten mit ihren bunten Symbolen und der wiederkehrenden Musik wirken wie ein Pendel, das Klaus wie in Trance versetzt. Plötzlich sind sie da, die drei Bücher und Klaus bekommt zehn Freispiele. Klaus ist nun hellwach und voller Erwartung. Mit zwanzig Cent kann man schon Einiges gewinnen. Einmal sah Klaus einen Spieler, der mit zwanzig Cent Einsatz eintausend Euro gewonnen hat. Das kommt aber äußerst selten vor.
Klaus ist von dem Ergebnis der Freispiele sehr enttäuscht. Gerade mal zwei Euro hat er gewonnen. „Das kann doch nicht sein“, denkt er und versucht sein Glück weiterhin. Mit kleinen Gewinnen gelingt es ihm, sich über Wasser zu halten. Er spielt bereits zwei Stunden und hat fünfzig Euro verloren. Eigentlich wollte er nur zehn Euro einsetzen. Jetzt hatte er jedoch schon so viel Geld verloren. Da konnte er doch nicht aufhören.
Klaus holt seinen letzten zehn Euroschein aus dem Geldbeutel und steckt ihn in die Maschine. Mit wenig Erfolg, so scheint es zunächst, denn sehr schnell schmilzt sein Guthaben auf zwei Euro. Doch dann, ganz unerwartet, bekommt Klaus nochmals die Freispiele. Wieder drei Bücher und dazu gleich eine ganze Reihe Könige. Klaus freut sich über die Freispiele, die ihm einige gute Gewinne bringen. Am Ende der Freispiele hat er fünfundsechzig Euro Guthaben. Unterm Strich sind das fünf Euro Gewinn.
Anstatt sich das Geld auszahlen zu lassen und mit Gewinn zu gehen, spielt Klaus weiter. Gedanken an seine Frau Petra, die zuhause auf ihn wartet, verdrängt er.
„Vielleicht hat die Maschine aufgemacht“, überlegt er und spielt mit fünfzigfachen Einsatz weiter. Sein Mut wird zunächst prompt belohnt. Klaus erzielt einige Gewinne und erhöht dadurch sein Guthaben auf achtzig Euro. Er fühlte sich gut. Auf seine Maschine kann er sich halt verlassen. Klaus spielt weiter und weiter. Mittlerweile hat er seine fünfte Cola getrunken und das zweite Päckchen Zigaretten angefangen.
Marlene hatte ihm zwischenzeitlich verschiedene Schokolandenriegel gebracht. In der Spielothek sollen sich die Spieler wohl fühlen und keinen Durst oder Hunger haben. Deshalb gibt es Getränke und Snaks umsonst.
Ein Mitspieler, der an einer anderen Glücksspielmaschine sein Glück versucht, ist es gelungen, sich durch das Risikospiel zweimal auf je einhundertvierzig Euro hochzudrücken.
Klaus muss nicht hinschauen. Er erkennt an den Spielgeräuschen und den Siegestuschen die Gewinne. Sein Spielnachbar hat das gewonnen, was Klaus gut gebraucht hätte. Ein
Gewinn von zwei- oder dreihundert Euro. Doch seine verdammte Maschine will keine rechten Gewinne ausspuken. Er wird von ihr hingehalten. Doch Klaus bleibt seiner Glücksspielmaschine treu, und verspielt sein letztes Geld. Für heute ist das Spiel zu Ende. „Das nächste Mal läuft es bestimmt besser“, denkt er beim Gehen. „Hoffentlich knackt keiner meinen Jackpot.“