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Urteil des EuGH vom 8.9.2010

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Offline Ilona

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Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« am: 08 September 2010, 17:27:05 »
Hallo zusammen,

der EuGH hat heute drei Urteile zu deutschen Vorlageverfahren bekannt gegeben. Auf der Homepage könnt ihr die Urteil nachlesen:

http://curia.europa.eu/jurisp/cgi-bin/form.pl?lang=DE&Submit=rechercher&numaff=C-409/06

Für alle, die es kürzer mögen, hier die Pressemitteilung dazu:

Presse und Information
Gerichtshof der Europäischen Union
PRESSEMITTEILUNG Nr. 78/10
Luxemburg, den 8. September 2010
   Urteile in der Rechtssache C 409/06,
Winner Wetten GmbH / Bürgermeisterin der Stadt Bergheim,
in den verbundenen Rechtssachen C 316/07, C 358/07, C 359/07, C 360/07, C 409/07 und C 410/07,
Markus Stoß u. a / Wetteraukreis,
Kulpa Automatenservice Asperg GmbH u. a. / Land Baden-Württemberg,
und in der Rechtssache C 46/08,
Carmen Media Group Ltd / Land Schleswig-Holstein u. a.
________________________________________
Mit dem im Rahmen der Organisation von Sportwetten und Lotterien in Deutschland errichteten staatlichen Monopol wird das Ziel der Bekämpfung der mit Glücksspielen verbundenen Gefahren nicht in kohärenter und systematischer Weise verfolgt

In Deutschland sind die Zuständigkeiten im Spielsektor zwischen dem Bund und den Ländern aufgeteilt. In den meisten Ländern besteht ein regionales Monopol auf die Veranstaltung von Sportwetten und Lotterien, während die Veranstaltung von Pferdewetten und der Betrieb von Spielautomaten sowie Spielkasinos privaten Betreibern übertragen ist, die über eine Erlaubnis hierfür verfügen. Mit dem am 1. Juli 2004 in Kraft getretenen Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland haben die Länder einen einheitlichen Rahmen für die Veranstaltung von Glücksspielen geschaffen; hiervon ausgenommen sind Spielkasinos. Im Anschluss an ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts wurde dieser Vertrag durch den am 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Glücksspielstaatsvertrag ersetzt. Nach diesem Vertrag ist jede Veranstaltung oder Vermittlung von Glücksspielen im Internet verboten.
In den vorliegenden Rechtssachen ersuchen mehrere deutsche Gerichte den Gerichtshof, sich zur Vereinbarkeit der Glücksspielregelung in Deutschland mit dem Recht der Union zu äußern.
In den verbundenen Rechtssachen C 316/07, C 358/07 bis C 360/07, C 409/07 und C 410/07 haben die Verwaltungsgerichte Gießen und Stuttgart über Rechtsstreitigkeiten zwischen Vermittlern von Sportwetten und deutschen Behörden zu entscheiden, die diesen Vermittlern untersagt haben, in Hessen bzw. in Baden-Württemberg Sportwetten anzubieten, die von den österreichischen Unternehmen Happybet Sportwetten und Web.coin, dem maltesischen Unternehmen Tipico, der britischen Gesellschaft Happy Bet und der in Gibraltar ansässigen Gesellschaft Digibet veranstaltet werden. Diese Unternehmen verfügen in ihren jeweiligen Heimatländern über Erlaubnisse zur Veranstaltung von Sportwetten.
In der Rechtssache C 46/08 hat das Schleswig-Holsteinische Verwaltungsgericht darüber zu entscheiden, ob das Land Schleswig-Holstein den Antrag des Unternehmens Carmen Media Group, seine Sportwetten in Deutschland über das Internet anbieten zu dürfen, zu Recht zurückgewiesen hat, obwohl dieses Unternehmen in Gibraltar, wo es seinen Sitz hat, bereits über eine „off-shore-Lizenz“ verfügt, die ihm das Veranstalten von Wetten nur außerhalb Gibraltars gestattet.
In der Rechtssache C 409/06 schließlich ist das Verwaltungsgericht Köln mit einem Rechtsstreit zwischen einem Vermittler für Sportwetten, der für Rechnung des maltesischen Unternehmens Tipico tätig ist, und den deutschen Behörden befasst worden. Dieses Gericht möchte vom Gerichtshof wissen, ob der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vor den nationalen Rechtsordnungen es zulässt, dass die Mitgliedstaaten eine Regelung über ein staatliches Sportwettenmonopol, das unzulässige Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs mit sich bringt, ausnahmsweise während einer Übergangszeit weiterhin anwenden.
Der Gerichtshof stellt zunächst fest, dass die deutsche Regelung über Sportwetten eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs und der Niederlassungsfreiheit darstellt. Er weist allerdings darauf hin, dass eine solche Beschränkung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses wie der Vermeidung von Anreizen zu übermäßigen Ausgaben für das Spielen und der Bekämpfung der Spielsucht gerechtfertigt sein kann. Die nationalen Maßnahmen, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, müssen aber zu ihrer Verwirklichung geeignet sein und dürfen nur solche Beschränkungen vorsehen, die dafür erforderlich sind.
Insoweit ist der Gerichtshof der Auffassung, dass es den Mitgliedstaaten freisteht, in dem Bestreben, die Spiellust und den Betrieb der Spiele in kontrollierte Bahnen zu lenken, staatliche Monopole zu schaffen. Insbesondere lassen sich mit einem solchen Monopol die mit dem Glücksspielsektor verbundenen Gefahren wirksamer beherrschen als mit einem System, in dem privaten Veranstaltern die Veranstaltung von Wetten unter dem Vorbehalt der Einhaltung der in dem entsprechenden Bereich geltenden Rechtsvorschriften erlaubt würde.
Sodann weist der Gerichtshof darauf hin, dass der Umstand, dass von verschiedenen Arten von Glücksspielen einige einem staatlichen Monopol und andere einer Regelung unterliegen, nach der privaten Veranstaltern eine Erlaubnis erteilt wird, für sich genommen die Kohärenz des deutschen Systems nicht in Frage stellen kann. Diese Spiele weisen nämlich unterschiedliche Merkmale auf.
Gleichwohl haben die deutschen Gerichte nach Ansicht des Gerichtshofs angesichts der von ihnen in den vorliegenden Rechtssachen getroffenen Feststellungen Grund zu der Schlussfolgerung, dass die deutsche Regelung die Glücksspiele nicht in kohärenter und systematischer Weise begrenzt. Zum einen führen nämlich die Inhaber der staatlichen Monopole intensive Werbekampagnen durch, um die Gewinne aus den Lotterien zu maximieren, und entfernen sich damit von den Zielen, die das Bestehen dieser Monopole rechtfertigen. Zum anderen betreiben oder dulden die deutschen Behörden in Bezug auf Glücksspiele wie Kasino  oder Automatenspiele, die nicht dem staatlichen Monopol unterliegen, aber ein höheres Suchtpotenzial aufweisen als die vom Monopol erfassten Spiele, eine Politik, mit der zur Teilnahme an diesen Spielen ermuntert wird. Unter diesen Umständen lässt sich das präventive Ziel des Monopols nicht mehr wirksam verfolgen, so dass das Monopol nicht mehr gerechtfertigt werden kann.
Im Übrigen weist der Gerichtshof darauf hin, dass die dieses Monopol betreffende nationale Regelung, die gegen die Grundfreiheiten der Union verstößt, auch während der Zeit, die erforderlich ist, um sie mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen, nicht weiter angewandt werden darf.
Schließlich legt der Gerichtshof dar, dass die Mitgliedstaaten bei der Festlegung des Niveaus des Schutzes gegen die von Glücksspielen ausgehenden Gefahren über einen weiten Wertungsspielraum verfügen. Daher – und in Ermangelung jeglicher gemeinschaftlicher Harmonisierung dieses Bereichs – sind sie nicht verpflichtet, die von anderen Mitgliedstaaten im Glücksspielsektor erteilten Erlaubnisse anzuerkennen. Aus den gleichen Gründen und angesichts der Gefahren, die im Internet angebotene Glücksspiele im Vergleich zu herkömmlichen Glücksspielen aufweisen, können die Mitgliedstaaten auch das Anbieten von Glücksspielen im Internet verbieten.
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HINWEIS: Im Wege eines Vorabentscheidungsersuchens können die Gerichte der Mitgliedstaaten in einem bei ihnen anhängigen Rechtsstreit dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts oder nach der Gültigkeit einer Handlung der Union vorlegen. Der Gerichtshof entscheidet nicht über den nationalen Rechtsstreit. Es ist Sache des nationalen Gerichts, über die Rechtssache im Einklang mit der Entscheidung des Gerichtshofs zu entscheiden. Diese Entscheidung bindet in gleicher Weise andere nationale Gerichte, die mit einem ähnlichen Problem befasst werden.
 
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Zur Verwendung durch die Medien bestimmtes nichtamtliches Dokument, das den Gerichtshof nicht bindet.
Der Volltext des Urteils wird am Tag der Verkündung auf der Curia-Website veröffentlicht
Pressekontakt:  (+352) 4303 3255
Filmaufnahmen von der Verkündung des Urteils sind verfügbar über 
„Europe by Satellite“  (+32) 2 2964106




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Offline Mike

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Re: Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« Antwort #1 am: 09 September 2010, 13:07:35 »
Hallo Ilona,

mich überrascht diese Urteil in keinster Weise. Die Doppelmoral der Politik erfährt nun ihre Konsequenzen.

Viel spannender ist die Frage, was nun? Es werden umfangreiche Schadensersatzklagen, in nicht unerheblicher Höhe, eingereicht werden. Sollten diese, wovon ich ausgehe, erfolgreich sein, so zahlt der Steuerzahler die Zeche.

Wird die "Spielverordnung" für Automaten in den Spielhallen wieder nur angespasst, oder gibt es endlich die dringend erforderlichen Änderungen auf Landesebene. Begrenzung der Spielhallen, gemäßigte Öffnungszeiten, Einführung einer Sperrdatei, Einführung einer neutralen Kontrollfunktion......

Für einen süchtigen Spieler o. die zukünftig Betroffenen sollte die Möglichkeit zum Selbstschutz, sprich einheitliche Richtlinien durch alle "Glückspielsparten", auch Spielhallen geschaffen werden. Egal ob stattliche o. private Betreiber. Der Spielerschutz steht an erster Stelle, so verstehe ich auch das Urteil.

Eine Freigabe des Marktes unter klaren gesetzlichen Regelnführt dazu, dass


1) Ein einheitlicher Spielerschutz besteht.
2) Umsätze der Betreiber in Deutschland versteuert werden müssen!
3) Lizenzen begrenzt werden.
4) Steuereinahmen erheblich steigen.
5) Mehr Prävention betrieben werden kann, da die Mittel zur Verfügung stehen.
6) Eine neutrale Kontrollbehörde finanziert werden kann.
7) Alle Betreiber den gleichen Bedingungen unterliegen.
8) Soziale u. sportliche Förderungen auch von privaten Betreiber finanziert werden müssen.


Klare Verhältnisse sind möglich. Mal sehen welche Partei o. einzelnen Politiker daran wirklich ein Interesse haben?

Gruß

Mike





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Offline Ilona

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Re: Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« Antwort #2 am: 09 September 2010, 19:10:02 »
Hi Mike, da muss ich dir widersprechen. Eine Öffnung des Marktes wird zu einer Expansion des Marktes führen. Das Ziel wird sein, dass mehr Menschen mehr Geld pro Kopf verspielen. Ein
großer Glücksspielmarkt führt automatisch zu großen Problemen. Das hängt zusammen. Aus suchtpräventiver Sucht ist ein kleiner Markt das Mittel der Wahl. Den kannst du wiederum nur in einem Monopol realisieren. Die Entwicklung seit Inkrafttreten des GlüStV ging schon in die richtige Richtung. Es war alles noch nicht 100% aber immerhin. Versemmelt hat das Wirtschaftsministerium das Monopol. Suchtverbände und Suchfachleute  weisen seit Jahren darauf hin, dass die Spielautomaten besser reguliert werden müssen. Was ist passiert? Nix! Rein gar nix! Ich bin mehr als gespannt welche Konsequenzen man da jetzt zieht. Personeller und inhaltlicher Art! Liebe Grüße, Ilona 

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Offline Mike

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Re: Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« Antwort #3 am: 10 September 2010, 13:56:54 »
Hi Ilona,

sollte eine Rekulierung nur durch ein Monopol zu erreichen sein, dann spreche ich mich selbstverständlich ausschließlich dafür aus. Bis jetzt wurden weder rechtliche noch marktübliche Voraussetzungen geschaffen.

So lange dies nicht der Fall ist, sehe ich den Druck der privaten Anbieter durchweg positiv. Die Vergangenheit hat gezeigt, dass sich die staatliche Seite nur bewegt, wenn sie dazu gezwungen wird.

Der Eindruck entsteht, dass das Hauptziel der Politik (Wirtschaftsministerium) allein auf die Erhaltung des Monopols ausgerichtet ist. Motto "Alle Einnahmen für uns". Der Spielerschutz wird bis heute mit den Füssen getreten. Oder wie erklärt sich der Glücksspielverband, dass es immer noch keine Einlaßkontrollen für Spielhallen gibt? So etwas sollte auch trotz Gewerberecht möglich sein. Es liegt an dem Gesetzgeber die rechtlichen Voraussetzungen zu schaffen. Wer fordert so etwas überhaupt? Wer traut sich mit Nachdruck daran?

Die Hoffnung, dass eine neue Spielverordnung für ausreichend Spielerschutz sorgt teile ich nicht. Weder längere Spielabläufe, kleinere Einsätze, geringere Höchstgewinne......werden die Anzahl der Spieler verringern.

Wenn für alle Angebote, Spielhallen, Wettanbieter, Lotto, Kasino u.s.w. die Möglichkeit besteht eine Selbstsperre zu vereinbaren, dann werden sich die Zahlen verändern. Die Spielhallen-Zocker sind gerade seit Einführung der Einlaßkontrollen für Automaten-Kasino explodiert.

Eine Begrenzung des Angebots mit klaren Regeln u. Kontrollfunktionen erscheint mir die beste Lösung. Ob es sich dann um ein Monopol o. einen kontrollierten, freien Markt handelt, ist für mich nicht entscheident, solange es funktioniert.


Gruß

Mike
« Letzte Änderung: 10 September 2010, 13:58:59 von Mike »

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Offline Mike

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Re: Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« Antwort #4 am: 22 September 2010, 00:00:27 »
Hallo Ilona,

wollte mal Nachfragen. Gibt es mittlerweile entsprechende Reaktionen auf das Urteil? Innerhalb der Medien wird das Thema nur am Rand behandelt. Welche Richtung könnt ihr als Verband bis jetzt erkennen?

Die Spielhallenbetreiber haben recht schnell reagiert. Es wird erweitert u. aufgekauft wie ich es noch nie erlebt habe. Es herscht keinerlei Angst, dass es zu drastischen Einschnitten kommt. Lediglich die Anzahl der Spielhallen könnte begrenzt werden, so die Aussagen der Betreiber. Gerade deshalb wolle man jetzt massiv vergrößern.

Angst sieht anders aus.

Gruß

Mike

Re: Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« Antwort #5 am: 22 September 2010, 23:04:35 »


... das ist etwas, was auch mich brennend interessiert.

Lieben Gruß an Alle

Pünktchen

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Offline Ilona

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Re: Urteil des EuGH vom 8.9.2010
« Antwort #6 am: 23 September 2010, 21:01:41 »
Hallo zusammen, bin in Tübingen beim Suchtkongress. Zur Eröffnung hat sich die Bundesdrogenbeauftragte ganz eindeutig für eine bessere Regulierung des gewerblichen Automatenspiels ausgesprochen. Das ist doch schon mal was! Weitere Infos wenn ich wieder zuhause bin.
LG Ilona   

 

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